scheue, noch 10 Meilen im Dunkeln zu reiten. Un- terwegs erzählte er mir, daß die Bewußte, Mistriß L ..., heiße, die Tochter des ehemaligen holländi- schen Gouverneurs von ..... sey, und sich jetzt in dem einsamen Flecken Athenrye, der gesunden Luft wegen aufhalte, da sie, vom Clima angegriffen, an der Brust leide.
Um 10 Uhr kamen wir erst an, und überraschten sie in ihrem kleinen Häuschen (denn der Ort ist elend) beim Thee.
Ich möchte Dir dieses liebenswürdige Geschöpf be- schreiben, so daß Du sie vor Dir zu sehen glaubtest, überzeugt, daß Du sie, gleich mir, beim ersten Blicke lieben würdest. Ich fühle aber, daß hier Beschrei- bung nicht ausreicht. -- Alles an ihr ist Herz und Seele, und das beschreibt sich nicht! Sie war höchst einfach, ganz schwarz gekleidet, das Kleid bis an den Hals geschlossen, aber dennoch zeichnete es die schön- sten Formen. Ihre Gestalt war schlank und äußerst jugendlich, voll milder Grazie, und dennoch nicht ohne Lebhaftigkeit noch Feuer in ihren Bewegungen. Ihr Teint braun, rein und klar, und von einer sanften Glätte, wie Marmor. Schönere und glän- zendere schwarze Augen, und blendend weißere Zähne sah ich nie. Auch der Mund, mit der engelgleichen Kindlichkeit ihres Lächelns, war bezaubernd.
Ihr feiner, ungezwungener Anstand, die spielend geübte Grazie heiteren und witzigen Gesprächs, wa-
ſcheue, noch 10 Meilen im Dunkeln zu reiten. Un- terwegs erzählte er mir, daß die Bewußte, Miſtriß L …, heiße, die Tochter des ehemaligen holländi- ſchen Gouverneurs von ..... ſey, und ſich jetzt in dem einſamen Flecken Athenrye, der geſunden Luft wegen aufhalte, da ſie, vom Clima angegriffen, an der Bruſt leide.
Um 10 Uhr kamen wir erſt an, und überraſchten ſie in ihrem kleinen Häuschen (denn der Ort iſt elend) beim Thee.
Ich möchte Dir dieſes liebenswürdige Geſchöpf be- ſchreiben, ſo daß Du ſie vor Dir zu ſehen glaubteſt, überzeugt, daß Du ſie, gleich mir, beim erſten Blicke lieben würdeſt. Ich fühle aber, daß hier Beſchrei- bung nicht ausreicht. — Alles an ihr iſt Herz und Seele, und das beſchreibt ſich nicht! Sie war höchſt einfach, ganz ſchwarz gekleidet, das Kleid bis an den Hals geſchloſſen, aber dennoch zeichnete es die ſchön- ſten Formen. Ihre Geſtalt war ſchlank und äußerſt jugendlich, voll milder Grazie, und dennoch nicht ohne Lebhaftigkeit noch Feuer in ihren Bewegungen. Ihr Teint braun, rein und klar, und von einer ſanften Glätte, wie Marmor. Schönere und glän- zendere ſchwarze Augen, und blendend weißere Zähne ſah ich nie. Auch der Mund, mit der engelgleichen Kindlichkeit ihres Lächelns, war bezaubernd.
Ihr feiner, ungezwungener Anſtand, die ſpielend geübte Grazie heiteren und witzigen Geſprächs, wa-
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ſcheue, noch 10 Meilen im Dunkeln zu reiten. Un-
terwegs erzählte er mir, daß die Bewußte, Miſtriß
L …, heiße, die Tochter des ehemaligen holländi-
ſchen Gouverneurs von ..... ſey, und ſich jetzt in
dem einſamen Flecken Athenrye, der geſunden Luft
wegen aufhalte, da ſie, vom Clima angegriffen, an
der Bruſt leide.
Um 10 Uhr kamen wir erſt an, und überraſchten
ſie in ihrem kleinen Häuschen (denn der Ort iſt
elend) beim Thee.
Ich möchte Dir dieſes liebenswürdige Geſchöpf be-
ſchreiben, ſo daß Du ſie vor Dir zu ſehen glaubteſt,
überzeugt, daß Du ſie, gleich mir, beim erſten Blicke
lieben würdeſt. Ich fühle aber, daß hier Beſchrei-
bung nicht ausreicht. — Alles an ihr iſt Herz und
Seele, und das beſchreibt ſich nicht! Sie war höchſt
einfach, ganz ſchwarz gekleidet, das Kleid bis an den
Hals geſchloſſen, aber dennoch zeichnete es die ſchön-
ſten Formen. Ihre Geſtalt war ſchlank und äußerſt
jugendlich, voll milder Grazie, und dennoch nicht
ohne Lebhaftigkeit noch Feuer in ihren Bewegungen.
Ihr Teint braun, rein und klar, und von einer
ſanften Glätte, wie Marmor. Schönere und glän-
zendere ſchwarze Augen, und blendend weißere Zähne
ſah ich nie. Auch der Mund, mit der engelgleichen
Kindlichkeit ihres Lächelns, war bezaubernd.
Ihr feiner, ungezwungener Anſtand, die ſpielend
geübte Grazie heiteren und witzigen Geſprächs, wa-
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/256>, abgerufen am 25.11.2024.
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