Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

daß er, mehr als hundert Schritt vor dem andern,
zum zweiten Sprung an die Mauer kam. Hier
aber, gegen alle Erwartung, refüsirte er zu springen,
weil der Reiter ihn nicht hinlänglich in seiner Ge-
walt hatte. Ehe er zum Gehorsam gebracht werden
konnte, wurde er vom Braunen erreicht. Dieser
machte seinen Sprung glücklich, und nun alle Kräfte
anstrengend, kam er so weit vor, daß ihm der Sieg
jetzt sicher schien. Die Wetten standen 10 zu 1. Die
letzte Mauer drohte indeß noch -- und ward ihm
auch in der That verderblich. Das schon matte Pferd,
im schnellen Rennen seine letzten Kräfte erschöpfend,
versuchte zwar willig den Satz, konnte ihn aber
nicht mehr effektuiren, und die Mauer halb einbre-
chend, kollerte es blutig gestoßen über und über, den
Reiter unter seiner Last so begrabend, daß er nicht
fähig war es wieder zu besteigen. Der Reiter Kil-
larney's hatte, während dies vorging, seinen wider-
spenstigen Gaul endlich bezwungen, vollendete, un-
ter dem Zujauchzen der Menge, beide sich folgende
Sprünge, und ritt dann im Schritt, ganz gemäch-
lich und ohne fernern Rival, dem Ziele zu. Dort fand
ich ihn aber so erschöpft, daß er kaum sprechen konnte.

Während den Zwischenräumen der verschiedenen
früheren Rennen, war ich mehreren Damen und
Herren vorgestellt worden, die mich alle sehr gast-
frei auf ihre Landsitze einluden. Ich folgte aber
lieber dem Sohne meines Wirths, der mir versprach,
mir die Schönste aller Schönen zu zeigen, wenn ich
mich seiner Leitung überlassen wolle, und mich nicht

daß er, mehr als hundert Schritt vor dem andern,
zum zweiten Sprung an die Mauer kam. Hier
aber, gegen alle Erwartung, refüſirte er zu ſpringen,
weil der Reiter ihn nicht hinlänglich in ſeiner Ge-
walt hatte. Ehe er zum Gehorſam gebracht werden
konnte, wurde er vom Braunen erreicht. Dieſer
machte ſeinen Sprung glücklich, und nun alle Kräfte
anſtrengend, kam er ſo weit vor, daß ihm der Sieg
jetzt ſicher ſchien. Die Wetten ſtanden 10 zu 1. Die
letzte Mauer drohte indeß noch — und ward ihm
auch in der That verderblich. Das ſchon matte Pferd,
im ſchnellen Rennen ſeine letzten Kräfte erſchöpfend,
verſuchte zwar willig den Satz, konnte ihn aber
nicht mehr effektuiren, und die Mauer halb einbre-
chend, kollerte es blutig geſtoßen über und über, den
Reiter unter ſeiner Laſt ſo begrabend, daß er nicht
fähig war es wieder zu beſteigen. Der Reiter Kil-
larney’s hatte, während dies vorging, ſeinen wider-
ſpenſtigen Gaul endlich bezwungen, vollendete, un-
ter dem Zujauchzen der Menge, beide ſich folgende
Sprünge, und ritt dann im Schritt, ganz gemäch-
lich und ohne fernern Rival, dem Ziele zu. Dort fand
ich ihn aber ſo erſchöpft, daß er kaum ſprechen konnte.

Während den Zwiſchenräumen der verſchiedenen
früheren Rennen, war ich mehreren Damen und
Herren vorgeſtellt worden, die mich alle ſehr gaſt-
frei auf ihre Landſitze einluden. Ich folgte aber
lieber dem Sohne meines Wirths, der mir verſprach,
mir die Schönſte aller Schönen zu zeigen, wenn ich
mich ſeiner Leitung überlaſſen wolle, und mich nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0255" n="231"/>
daß er, mehr als hundert Schritt vor dem andern,<lb/>
zum zweiten Sprung an die Mauer kam. Hier<lb/>
aber, gegen alle Erwartung, refü&#x017F;irte er zu &#x017F;pringen,<lb/>
weil der Reiter ihn nicht hinlänglich in &#x017F;einer Ge-<lb/>
walt hatte. Ehe er zum Gehor&#x017F;am gebracht werden<lb/>
konnte, wurde er vom Braunen erreicht. Die&#x017F;er<lb/>
machte &#x017F;einen Sprung glücklich, und nun alle Kräfte<lb/>
an&#x017F;trengend, kam er &#x017F;o weit vor, daß ihm der Sieg<lb/>
jetzt &#x017F;icher &#x017F;chien. Die Wetten &#x017F;tanden 10 zu 1. Die<lb/>
letzte Mauer drohte indeß noch &#x2014; und ward ihm<lb/>
auch in der That verderblich. Das &#x017F;chon matte Pferd,<lb/>
im &#x017F;chnellen Rennen &#x017F;eine letzten Kräfte er&#x017F;chöpfend,<lb/>
ver&#x017F;uchte zwar willig den Satz, konnte ihn aber<lb/>
nicht mehr effektuiren, und die Mauer halb einbre-<lb/>
chend, kollerte es blutig ge&#x017F;toßen über und über, den<lb/>
Reiter unter &#x017F;einer La&#x017F;t &#x017F;o begrabend, daß er nicht<lb/>
fähig war es wieder zu be&#x017F;teigen. Der Reiter Kil-<lb/>
larney&#x2019;s hatte, während dies vorging, &#x017F;einen wider-<lb/>
&#x017F;pen&#x017F;tigen Gaul endlich bezwungen, vollendete, un-<lb/>
ter dem Zujauchzen der Menge, beide &#x017F;ich folgende<lb/>
Sprünge, und ritt dann im Schritt, ganz gemäch-<lb/>
lich und ohne fernern Rival, dem Ziele zu. Dort fand<lb/>
ich ihn aber &#x017F;o er&#x017F;chöpft, daß er kaum &#x017F;prechen konnte.</p><lb/>
          <p>Während den Zwi&#x017F;chenräumen der ver&#x017F;chiedenen<lb/>
früheren Rennen, war ich mehreren Damen und<lb/>
Herren vorge&#x017F;tellt worden, die mich alle &#x017F;ehr ga&#x017F;t-<lb/>
frei auf ihre Land&#x017F;itze einluden. Ich folgte aber<lb/>
lieber dem Sohne meines Wirths, der mir ver&#x017F;prach,<lb/>
mir die Schön&#x017F;te aller Schönen zu zeigen, wenn ich<lb/>
mich &#x017F;einer Leitung überla&#x017F;&#x017F;en wolle, und mich nicht<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0255] daß er, mehr als hundert Schritt vor dem andern, zum zweiten Sprung an die Mauer kam. Hier aber, gegen alle Erwartung, refüſirte er zu ſpringen, weil der Reiter ihn nicht hinlänglich in ſeiner Ge- walt hatte. Ehe er zum Gehorſam gebracht werden konnte, wurde er vom Braunen erreicht. Dieſer machte ſeinen Sprung glücklich, und nun alle Kräfte anſtrengend, kam er ſo weit vor, daß ihm der Sieg jetzt ſicher ſchien. Die Wetten ſtanden 10 zu 1. Die letzte Mauer drohte indeß noch — und ward ihm auch in der That verderblich. Das ſchon matte Pferd, im ſchnellen Rennen ſeine letzten Kräfte erſchöpfend, verſuchte zwar willig den Satz, konnte ihn aber nicht mehr effektuiren, und die Mauer halb einbre- chend, kollerte es blutig geſtoßen über und über, den Reiter unter ſeiner Laſt ſo begrabend, daß er nicht fähig war es wieder zu beſteigen. Der Reiter Kil- larney’s hatte, während dies vorging, ſeinen wider- ſpenſtigen Gaul endlich bezwungen, vollendete, un- ter dem Zujauchzen der Menge, beide ſich folgende Sprünge, und ritt dann im Schritt, ganz gemäch- lich und ohne fernern Rival, dem Ziele zu. Dort fand ich ihn aber ſo erſchöpft, daß er kaum ſprechen konnte. Während den Zwiſchenräumen der verſchiedenen früheren Rennen, war ich mehreren Damen und Herren vorgeſtellt worden, die mich alle ſehr gaſt- frei auf ihre Landſitze einluden. Ich folgte aber lieber dem Sohne meines Wirths, der mir verſprach, mir die Schönſte aller Schönen zu zeigen, wenn ich mich ſeiner Leitung überlaſſen wolle, und mich nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/255
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/255>, abgerufen am 27.04.2024.