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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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dingung ein Gentleman seyn, weil er von Allen der
abhängigste ist. Ein reicher Schuft dagegen kann,
wenn er eine gute Erziehung hat, so lange er seinen
Charakter (Ruf) leidlich zu menagiren versteht, *)
sogar für einen perfekt Gentleman gelten. In der
erclusiven Gesellschaft London's giebt es noch feinere
Nüancen. Wer dort z. B. schüchtern und höflich ge-
gen Damen sich beträgt, statt vertraulich, ohne viele
Rücksicht, und mit einer gewissen non chalance sie zu
behandeln, wird den Verdacht erregen, daß er kein
Gentleman sey; sollte der Unglückliche aber, bei einem
dine, gar zweimal Suppe verlangen, oder, bei einem
großen Frühstück, welches um Mitternacht endet und
um 3 Uhr Nachmittags angeht, in einer Abendtoilette
erscheinen -- so mag er ein Fürst und Millionair
seyn, aber ein Gentleman ist er nicht.

Doch zurück von Babylon's Zwang zu der Frei-
heit der Berge. Das Land, welches ich jetzt durch-
ritt, glich auffallend den flacheren Gegenden der
Schweiz, immer allmählig ansteigend, bis ich mich den
höchsten Bergen Wicklows gegenüber sah, deren Häup-
ter wieder gleich dem Snowdon, von Wolken verhüllt
erschienen. Das Thal von Glenmalure hat den Cha-
rakter einer todten Erhabenheit, mit dem das trübe
Wetter vortrefflich harmonirte. In der Mitte dessel-
ben steht, wie ein verwünschtes Schloß, eine große

*) Von Moralität ist dabei nicht die Rede, sondern nur
von Scandal.
Anm. d. H.

dingung ein Gentleman ſeyn, weil er von Allen der
abhängigſte iſt. Ein reicher Schuft dagegen kann,
wenn er eine gute Erziehung hat, ſo lange er ſeinen
Charakter (Ruf) leidlich zu menagiren verſteht, *)
ſogar für einen perfekt Gentleman gelten. In der
ercluſiven Geſellſchaft London’s giebt es noch feinere
Nüancen. Wer dort z. B. ſchüchtern und höflich ge-
gen Damen ſich beträgt, ſtatt vertraulich, ohne viele
Rückſicht, und mit einer gewiſſen non chalance ſie zu
behandeln, wird den Verdacht erregen, daß er kein
Gentleman ſey; ſollte der Unglückliche aber, bei einem
diné, gar zweimal Suppe verlangen, oder, bei einem
großen Frühſtück, welches um Mitternacht endet und
um 3 Uhr Nachmittags angeht, in einer Abendtoilette
erſcheinen — ſo mag er ein Fürſt und Millionair
ſeyn, aber ein Gentleman iſt er nicht.

Doch zurück von Babylon’s Zwang zu der Frei-
heit der Berge. Das Land, welches ich jetzt durch-
ritt, glich auffallend den flacheren Gegenden der
Schweiz, immer allmählig anſteigend, bis ich mich den
höchſten Bergen Wicklows gegenüber ſah, deren Häup-
ter wieder gleich dem Snowdon, von Wolken verhüllt
erſchienen. Das Thal von Glenmalure hat den Cha-
rakter einer todten Erhabenheit, mit dem das trübe
Wetter vortrefflich harmonirte. In der Mitte deſſel-
ben ſteht, wie ein verwünſchtes Schloß, eine große

*) Von Moralität iſt dabei nicht die Rede, ſondern nur
von Scandal.
Anm. d. H.
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[187/0211] dingung ein Gentleman ſeyn, weil er von Allen der abhängigſte iſt. Ein reicher Schuft dagegen kann, wenn er eine gute Erziehung hat, ſo lange er ſeinen Charakter (Ruf) leidlich zu menagiren verſteht, *) ſogar für einen perfekt Gentleman gelten. In der ercluſiven Geſellſchaft London’s giebt es noch feinere Nüancen. Wer dort z. B. ſchüchtern und höflich ge- gen Damen ſich beträgt, ſtatt vertraulich, ohne viele Rückſicht, und mit einer gewiſſen non chalance ſie zu behandeln, wird den Verdacht erregen, daß er kein Gentleman ſey; ſollte der Unglückliche aber, bei einem diné, gar zweimal Suppe verlangen, oder, bei einem großen Frühſtück, welches um Mitternacht endet und um 3 Uhr Nachmittags angeht, in einer Abendtoilette erſcheinen — ſo mag er ein Fürſt und Millionair ſeyn, aber ein Gentleman iſt er nicht. Doch zurück von Babylon’s Zwang zu der Frei- heit der Berge. Das Land, welches ich jetzt durch- ritt, glich auffallend den flacheren Gegenden der Schweiz, immer allmählig anſteigend, bis ich mich den höchſten Bergen Wicklows gegenüber ſah, deren Häup- ter wieder gleich dem Snowdon, von Wolken verhüllt erſchienen. Das Thal von Glenmalure hat den Cha- rakter einer todten Erhabenheit, mit dem das trübe Wetter vortrefflich harmonirte. In der Mitte deſſel- ben ſteht, wie ein verwünſchtes Schloß, eine große *) Von Moralität iſt dabei nicht die Rede, ſondern nur von Scandal. Anm. d. H.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/211>, abgerufen am 25.11.2024.