Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Wegen meinen Brustschmerzen vermochte ich gestern
Abend nur kurze Promenaden, mit dem Sohne des
Hauses, in den lieblichen Gärten zu machen, und
der Versuch, einen nahen höheren Berg zu besteigen,
bekam mir fast übel, so daß ich nachher bis zum Es-
sen mich mit den Zeitungen amüsiren mußte. In
dem langen Wust war ein guter Einfall, den ich
Dir zitire. Der Artikel sprach von der Thronrede,
worin die Worte vorkommen: "dem Speaker wird
befohlen, dem Volke zu seiner allgemeinen Glück-
seligkeit zu gratuliren." Dies, meint der Berichter-
statter, sey doch so insolent, sich so offenbar über
dieses arme Volk lustig zu machen, obgleich es al-
lerdings gegründet sey, daß die Wahrheit von ihm
in dergleichen Dingen nie erwartet werden dürfe,
denn, fährt er fort, sollte wirklich je ein König oder
Minister so wahnsinnig seyn, um die reine Wahr-
heit bei ähnlicher Gelegenheit sprechen zu wollen, so
müsse er ja gleich im Anfang der Rede, statt dem
gewöhnlichen exordium "Mylords and Gentlemen
sagen My knaves and dupes. (Mes fripons et du-
pes.")

Unser Wirth ist ein Mitglied des Yacht-Clubs,
und ein leidenschaftlicher Freund des Meeres. Daher
hätte auch unser dine jedem Katholiken in der Fasten-
zeit genügen müssen, denn es bestand nur aus Fi-
schen, vortrefflich auf mannichfache Arten zubereitet.
Eine Austerbank, unter den Fenstern, sandte gleich-
falls dazu ihre schlüpfrigen, noch Salzwasser feuch-
ten, Bewohner. Zum Dessert aber lieferten die vor

Wegen meinen Bruſtſchmerzen vermochte ich geſtern
Abend nur kurze Promenaden, mit dem Sohne des
Hauſes, in den lieblichen Gärten zu machen, und
der Verſuch, einen nahen höheren Berg zu beſteigen,
bekam mir faſt übel, ſo daß ich nachher bis zum Eſ-
ſen mich mit den Zeitungen amüſiren mußte. In
dem langen Wuſt war ein guter Einfall, den ich
Dir zitire. Der Artikel ſprach von der Thronrede,
worin die Worte vorkommen: „dem Speaker wird
befohlen, dem Volke zu ſeiner allgemeinen Glück-
ſeligkeit zu gratuliren.“ Dies, meint der Berichter-
ſtatter, ſey doch ſo inſolent, ſich ſo offenbar über
dieſes arme Volk luſtig zu machen, obgleich es al-
lerdings gegründet ſey, daß die Wahrheit von ihm
in dergleichen Dingen nie erwartet werden dürfe,
denn, fährt er fort, ſollte wirklich je ein König oder
Miniſter ſo wahnſinnig ſeyn, um die reine Wahr-
heit bei ähnlicher Gelegenheit ſprechen zu wollen, ſo
müſſe er ja gleich im Anfang der Rede, ſtatt dem
gewöhnlichen exordium „Mylords and Gentlemen
ſagen My knaves and dupes. (Mes fripons et du-
pes.“)

Unſer Wirth iſt ein Mitglied des Yacht-Clubs,
und ein leidenſchaftlicher Freund des Meeres. Daher
hätte auch unſer diné jedem Katholiken in der Faſten-
zeit genügen müſſen, denn es beſtand nur aus Fi-
ſchen, vortrefflich auf mannichfache Arten zubereitet.
Eine Auſterbank, unter den Fenſtern, ſandte gleich-
falls dazu ihre ſchlüpfrigen, noch Salzwaſſer feuch-
ten, Bewohner. Zum Deſſert aber lieferten die vor

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0170" n="146"/>
Wegen meinen Bru&#x017F;t&#x017F;chmerzen vermochte ich ge&#x017F;tern<lb/>
Abend nur kurze Promenaden, mit dem Sohne des<lb/>
Hau&#x017F;es, in den lieblichen Gärten zu machen, und<lb/>
der Ver&#x017F;uch, einen nahen höheren Berg zu be&#x017F;teigen,<lb/>
bekam mir fa&#x017F;t übel, &#x017F;o daß ich nachher bis zum E&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en mich mit den Zeitungen amü&#x017F;iren mußte. In<lb/>
dem langen Wu&#x017F;t war <hi rendition="#g">ein</hi> guter Einfall, den ich<lb/>
Dir zitire. Der Artikel &#x017F;prach von der Thronrede,<lb/>
worin die Worte vorkommen: &#x201E;dem Speaker wird<lb/><hi rendition="#g">befohlen</hi>, dem Volke zu &#x017F;einer allgemeinen Glück-<lb/>
&#x017F;eligkeit zu gratuliren.&#x201C; Dies, meint der Berichter-<lb/>
&#x017F;tatter, &#x017F;ey doch &#x017F;o in&#x017F;olent, &#x017F;ich &#x017F;o offenbar über<lb/>
die&#x017F;es arme Volk lu&#x017F;tig zu machen, obgleich es al-<lb/>
lerdings gegründet &#x017F;ey, daß die Wahrheit von ihm<lb/>
in dergleichen Dingen nie erwartet werden dürfe,<lb/>
denn, fährt er fort, &#x017F;ollte wirklich je ein König oder<lb/>
Mini&#x017F;ter &#x017F;o wahn&#x017F;innig &#x017F;eyn, um die reine Wahr-<lb/>
heit bei ähnlicher Gelegenheit &#x017F;prechen zu wollen, &#x017F;o<lb/>&#x017F;&#x017F;e er ja gleich im Anfang der Rede, &#x017F;tatt dem<lb/>
gewöhnlichen <hi rendition="#aq">exordium &#x201E;Mylords and Gentlemen</hi><lb/>
&#x017F;agen <hi rendition="#aq">My knaves and dupes. (Mes fripons et du-<lb/>
pes.&#x201C;)</hi></p><lb/>
          <p>Un&#x017F;er Wirth i&#x017F;t ein Mitglied des Yacht-Clubs,<lb/>
und ein leiden&#x017F;chaftlicher Freund des Meeres. Daher<lb/>
hätte auch un&#x017F;er <hi rendition="#aq">diné</hi> jedem Katholiken in der Fa&#x017F;ten-<lb/>
zeit genügen mü&#x017F;&#x017F;en, denn es be&#x017F;tand nur aus Fi-<lb/>
&#x017F;chen, vortrefflich auf mannichfache Arten zubereitet.<lb/>
Eine Au&#x017F;terbank, unter den Fen&#x017F;tern, &#x017F;andte gleich-<lb/>
falls dazu ihre &#x017F;chlüpfrigen, noch Salzwa&#x017F;&#x017F;er feuch-<lb/>
ten, Bewohner. Zum De&#x017F;&#x017F;ert aber lieferten die vor<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0170] Wegen meinen Bruſtſchmerzen vermochte ich geſtern Abend nur kurze Promenaden, mit dem Sohne des Hauſes, in den lieblichen Gärten zu machen, und der Verſuch, einen nahen höheren Berg zu beſteigen, bekam mir faſt übel, ſo daß ich nachher bis zum Eſ- ſen mich mit den Zeitungen amüſiren mußte. In dem langen Wuſt war ein guter Einfall, den ich Dir zitire. Der Artikel ſprach von der Thronrede, worin die Worte vorkommen: „dem Speaker wird befohlen, dem Volke zu ſeiner allgemeinen Glück- ſeligkeit zu gratuliren.“ Dies, meint der Berichter- ſtatter, ſey doch ſo inſolent, ſich ſo offenbar über dieſes arme Volk luſtig zu machen, obgleich es al- lerdings gegründet ſey, daß die Wahrheit von ihm in dergleichen Dingen nie erwartet werden dürfe, denn, fährt er fort, ſollte wirklich je ein König oder Miniſter ſo wahnſinnig ſeyn, um die reine Wahr- heit bei ähnlicher Gelegenheit ſprechen zu wollen, ſo müſſe er ja gleich im Anfang der Rede, ſtatt dem gewöhnlichen exordium „Mylords and Gentlemen ſagen My knaves and dupes. (Mes fripons et du- pes.“) Unſer Wirth iſt ein Mitglied des Yacht-Clubs, und ein leidenſchaftlicher Freund des Meeres. Daher hätte auch unſer diné jedem Katholiken in der Faſten- zeit genügen müſſen, denn es beſtand nur aus Fi- ſchen, vortrefflich auf mannichfache Arten zubereitet. Eine Auſterbank, unter den Fenſtern, ſandte gleich- falls dazu ihre ſchlüpfrigen, noch Salzwaſſer feuch- ten, Bewohner. Zum Deſſert aber lieferten die vor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/170
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/170>, abgerufen am 22.11.2024.