Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Nachmittag sah mich wieder zu Roß. Ich
suchte mir ungebahnte Wege in den wildesten Berg-
gegenden landeinwärts, mehreremal den reißenden
Fluß ohne Brücke passirend, und oft in den schönsten und
überraschendsten Aussichten schwelgend. Zuweilen be-
gegnete ich einsam arbeitenden Landmädchen, auf-
fallend hübsch in ihrer originellen Tracht, die den
Wuchs hervorhebt und den Busen sehr frei zeigt.
Sie sind aber dabei schüchtern wie Rehe und züchtig
wie Vestalinnen. Alles zeigt die Bergnatur, mein
Pferd auch! unermüdlich, wie eine Maschine aus
Stahl und Eisen, gallopirt es über die Steine berg-
auf und bergab, springt mit ungestörter Ruhe über
die Heckenthore, welche alle Augenblicke die Feldwege
verschließen, und macht mich weit eher müde, als es
selbst Müdigkeit fühlt. Das ist die wahre Art, spazieren
zu reiten -- viele Meilen weit, in Gegenden, die man
nie gesehen, wo man nicht weiß, wo man hinkömmt,
und sich den Rückweg ebenfalls von einer andern
Seite suchen muß. Heute gerieth ich zuletzt in einen
Park, wo hölzerne, mit weißer Oelfarbe angestri-
chene Statüen, seltsam mit der erhabnen Natur kon-
trastirten. Kein Mensch ließ sich sehen, nur Hun-
derte von Kaninchen streckten ihre Köpfe aus den
durchlöcherten Bergabhängen hervor, oder jagten
eilig über den Weg. Allerlei wunderliche Dinge ver-
riethen den Besitzer als einen Sonderling. Am be-
sten nahm sich ein schwarzer Fichtenwald aus, der
rund umher ein Ring von glanzfarbigen Malven ein-
faßte. Ich kam endlich auf einer kahlen Höhe wieder

Der Nachmittag ſah mich wieder zu Roß. Ich
ſuchte mir ungebahnte Wege in den wildeſten Berg-
gegenden landeinwärts, mehreremal den reißenden
Fluß ohne Brücke paſſirend, und oft in den ſchönſten und
überraſchendſten Ausſichten ſchwelgend. Zuweilen be-
gegnete ich einſam arbeitenden Landmädchen, auf-
fallend hübſch in ihrer originellen Tracht, die den
Wuchs hervorhebt und den Buſen ſehr frei zeigt.
Sie ſind aber dabei ſchüchtern wie Rehe und züchtig
wie Veſtalinnen. Alles zeigt die Bergnatur, mein
Pferd auch! unermüdlich, wie eine Maſchine aus
Stahl und Eiſen, gallopirt es über die Steine berg-
auf und bergab, ſpringt mit ungeſtörter Ruhe über
die Heckenthore, welche alle Augenblicke die Feldwege
verſchließen, und macht mich weit eher müde, als es
ſelbſt Müdigkeit fühlt. Das iſt die wahre Art, ſpazieren
zu reiten — viele Meilen weit, in Gegenden, die man
nie geſehen, wo man nicht weiß, wo man hinkömmt,
und ſich den Rückweg ebenfalls von einer andern
Seite ſuchen muß. Heute gerieth ich zuletzt in einen
Park, wo hölzerne, mit weißer Oelfarbe angeſtri-
chene Statüen, ſeltſam mit der erhabnen Natur kon-
traſtirten. Kein Menſch ließ ſich ſehen, nur Hun-
derte von Kaninchen ſtreckten ihre Köpfe aus den
durchlöcherten Bergabhängen hervor, oder jagten
eilig über den Weg. Allerlei wunderliche Dinge ver-
riethen den Beſitzer als einen Sonderling. Am be-
ſten nahm ſich ein ſchwarzer Fichtenwald aus, der
rund umher ein Ring von glanzfarbigen Malven ein-
faßte. Ich kam endlich auf einer kahlen Höhe wieder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0168" n="144"/>
          <p>Der Nachmittag &#x017F;ah mich wieder zu Roß. Ich<lb/>
&#x017F;uchte mir ungebahnte Wege in den wilde&#x017F;ten Berg-<lb/>
gegenden landeinwärts, mehreremal den reißenden<lb/>
Fluß ohne <choice><sic>Bru&#x0307;cke</sic><corr>Brücke</corr></choice> pa&#x017F;&#x017F;irend, und oft in den &#x017F;chön&#x017F;ten und<lb/>
überra&#x017F;chend&#x017F;ten Aus&#x017F;ichten &#x017F;chwelgend. Zuweilen be-<lb/>
gegnete ich ein&#x017F;am arbeitenden Landmädchen, auf-<lb/>
fallend hüb&#x017F;ch in ihrer originellen Tracht, die den<lb/>
Wuchs hervorhebt und den Bu&#x017F;en &#x017F;ehr frei zeigt.<lb/>
Sie &#x017F;ind aber dabei &#x017F;chüchtern wie Rehe und züchtig<lb/>
wie Ve&#x017F;talinnen. Alles zeigt die Bergnatur, mein<lb/>
Pferd auch! unermüdlich, wie eine Ma&#x017F;chine aus<lb/>
Stahl und Ei&#x017F;en, gallopirt es über die Steine berg-<lb/>
auf und bergab, &#x017F;pringt mit unge&#x017F;törter Ruhe über<lb/>
die Heckenthore, welche alle Augenblicke die Feldwege<lb/>
ver&#x017F;chließen, und macht mich weit eher müde, als es<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t Müdigkeit fühlt. Das i&#x017F;t die wahre Art, &#x017F;pazieren<lb/>
zu reiten &#x2014; viele Meilen weit, in Gegenden, die man<lb/>
nie ge&#x017F;ehen, wo man nicht weiß, wo man hinkömmt,<lb/>
und &#x017F;ich den Rückweg ebenfalls von einer andern<lb/>
Seite &#x017F;uchen muß. Heute gerieth ich zuletzt in einen<lb/>
Park, wo hölzerne, mit weißer Oelfarbe ange&#x017F;tri-<lb/>
chene Statüen, &#x017F;elt&#x017F;am mit der erhabnen Natur kon-<lb/>
tra&#x017F;tirten. Kein Men&#x017F;ch ließ &#x017F;ich &#x017F;ehen, nur Hun-<lb/>
derte von Kaninchen &#x017F;treckten ihre Köpfe aus den<lb/>
durchlöcherten Bergabhängen hervor, oder jagten<lb/>
eilig über den Weg. Allerlei wunderliche Dinge ver-<lb/>
riethen den Be&#x017F;itzer als einen Sonderling. Am be-<lb/>
&#x017F;ten nahm &#x017F;ich ein &#x017F;chwarzer Fichtenwald aus, der<lb/>
rund umher ein Ring von glanzfarbigen Malven ein-<lb/>
faßte. Ich kam endlich auf einer kahlen Höhe wieder<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0168] Der Nachmittag ſah mich wieder zu Roß. Ich ſuchte mir ungebahnte Wege in den wildeſten Berg- gegenden landeinwärts, mehreremal den reißenden Fluß ohne Brücke paſſirend, und oft in den ſchönſten und überraſchendſten Ausſichten ſchwelgend. Zuweilen be- gegnete ich einſam arbeitenden Landmädchen, auf- fallend hübſch in ihrer originellen Tracht, die den Wuchs hervorhebt und den Buſen ſehr frei zeigt. Sie ſind aber dabei ſchüchtern wie Rehe und züchtig wie Veſtalinnen. Alles zeigt die Bergnatur, mein Pferd auch! unermüdlich, wie eine Maſchine aus Stahl und Eiſen, gallopirt es über die Steine berg- auf und bergab, ſpringt mit ungeſtörter Ruhe über die Heckenthore, welche alle Augenblicke die Feldwege verſchließen, und macht mich weit eher müde, als es ſelbſt Müdigkeit fühlt. Das iſt die wahre Art, ſpazieren zu reiten — viele Meilen weit, in Gegenden, die man nie geſehen, wo man nicht weiß, wo man hinkömmt, und ſich den Rückweg ebenfalls von einer andern Seite ſuchen muß. Heute gerieth ich zuletzt in einen Park, wo hölzerne, mit weißer Oelfarbe angeſtri- chene Statüen, ſeltſam mit der erhabnen Natur kon- traſtirten. Kein Menſch ließ ſich ſehen, nur Hun- derte von Kaninchen ſtreckten ihre Köpfe aus den durchlöcherten Bergabhängen hervor, oder jagten eilig über den Weg. Allerlei wunderliche Dinge ver- riethen den Beſitzer als einen Sonderling. Am be- ſten nahm ſich ein ſchwarzer Fichtenwald aus, der rund umher ein Ring von glanzfarbigen Malven ein- faßte. Ich kam endlich auf einer kahlen Höhe wieder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/168
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/168>, abgerufen am 11.12.2024.