eine wohlthätige, ja in unsrer Natur vielleicht be- gründete, wie wir deren so vielen unterworfen sind, und die ohnedem, wenn wir wahrhaft an sie glau- ben, auch für uns zur individuellen Wahrheit wer- den. Es scheint, unsre Natur habe das Vermögen, da wo die Wirklichkeit nicht mehr ausreicht, uns eine eingebildete selbst gemachte, als helfende Stütze, schaffen zu können. So giebt fromme Zuversicht auf speziellen Schutz, selbst in jeder Form des Aber- glaubens, Muth. Wer mit der Ueberzeugung in die Schlacht geht: durch einen Talisman feuerfest zu seyn, -- der kehrt sich an die Kugeln nicht mehr; höher aber noch wirkt der Enthusiasmus für Ideen, die unser Ich gebietend über die Außenwelt stellen, und so begeistert sah man oft religiöse Schwärmer die unerträglichsten körperlichen Schmerzen an sich mit wahrer Wunderkraft vernichten. So bilden sich auch Leidende und Gedrückte beseligende Hoffnungen einer künftigen Glückseligkeit, die sie schon hier entschä- digt -- alles Wirkungen des mächtigen Triebes der indi- viduellen Selbsterhaltung im weitesten Sinne, der das oben erwähnte Vermögen unsrer Natur in An- wendung bringt, sobald er es gebraucht -- daher endlich bei schwachen Charakteren die, zwar an sich ganz nutzlosen, aber sie doch beruhigenden Bekehrun- gen auf dem Todbette. Jeder muß am Ende diesem Bedürfniß in einer oder der andern Form seinen Tri- but bezahlen, d. h. jeder macht sich seinen irdischen Gott, und dies ist auch eine sich immer wiederholende Menschwerdung Gottes. Die Vorstellung des all-
eine wohlthätige, ja in unſrer Natur vielleicht be- gründete, wie wir deren ſo vielen unterworfen ſind, und die ohnedem, wenn wir wahrhaft an ſie glau- ben, auch für uns zur individuellen Wahrheit wer- den. Es ſcheint, unſre Natur habe das Vermögen, da wo die Wirklichkeit nicht mehr ausreicht, uns eine eingebildete ſelbſt gemachte, als helfende Stütze, ſchaffen zu können. So giebt fromme Zuverſicht auf ſpeziellen Schutz, ſelbſt in jeder Form des Aber- glaubens, Muth. Wer mit der Ueberzeugung in die Schlacht geht: durch einen Talisman feuerfeſt zu ſeyn, — der kehrt ſich an die Kugeln nicht mehr; höher aber noch wirkt der Enthuſiasmus für Ideen, die unſer Ich gebietend über die Außenwelt ſtellen, und ſo begeiſtert ſah man oft religiöſe Schwärmer die unerträglichſten körperlichen Schmerzen an ſich mit wahrer Wunderkraft vernichten. So bilden ſich auch Leidende und Gedrückte beſeligende Hoffnungen einer künftigen Glückſeligkeit, die ſie ſchon hier entſchä- digt — alles Wirkungen des mächtigen Triebes der indi- viduellen Selbſterhaltung im weiteſten Sinne, der das oben erwähnte Vermögen unſrer Natur in An- wendung bringt, ſobald er es gebraucht — daher endlich bei ſchwachen Charakteren die, zwar an ſich ganz nutzloſen, aber ſie doch beruhigenden Bekehrun- gen auf dem Todbette. Jeder muß am Ende dieſem Bedürfniß in einer oder der andern Form ſeinen Tri- but bezahlen, d. h. jeder macht ſich ſeinen irdiſchen Gott, und dies iſt auch eine ſich immer wiederholende Menſchwerdung Gottes. Die Vorſtellung des all-
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eine wohlthätige, ja in unſrer Natur vielleicht be-
gründete, wie wir deren ſo vielen unterworfen ſind,
und die ohnedem, wenn wir wahrhaft an ſie glau-
ben, auch für uns zur individuellen Wahrheit wer-
den. Es ſcheint, unſre Natur habe das Vermögen,
da wo die Wirklichkeit nicht mehr ausreicht, uns eine
eingebildete ſelbſt gemachte, als helfende Stütze,
ſchaffen zu können. So giebt fromme Zuverſicht
auf ſpeziellen Schutz, ſelbſt in jeder Form des Aber-
glaubens, Muth. Wer mit der Ueberzeugung in die
Schlacht geht: durch einen Talisman feuerfeſt zu
ſeyn, — der kehrt ſich an die Kugeln nicht mehr;
höher aber noch wirkt der Enthuſiasmus für Ideen,
die unſer Ich gebietend über die Außenwelt ſtellen,
und ſo begeiſtert ſah man oft religiöſe Schwärmer
die unerträglichſten körperlichen Schmerzen an ſich
mit wahrer Wunderkraft vernichten. So bilden ſich
auch Leidende und Gedrückte beſeligende Hoffnungen
einer künftigen Glückſeligkeit, die ſie ſchon hier entſchä-
digt — alles Wirkungen des mächtigen Triebes der indi-
viduellen Selbſterhaltung im weiteſten Sinne, der
das oben erwähnte Vermögen unſrer Natur in An-
wendung bringt, ſobald er es gebraucht — daher
endlich bei ſchwachen Charakteren die, zwar an ſich
ganz nutzloſen, aber ſie doch beruhigenden Bekehrun-
gen auf dem Todbette. Jeder muß am Ende dieſem
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Gott, und dies iſt auch eine ſich immer wiederholende
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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/154>, abgerufen am 24.11.2024.
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