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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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Ich wanderte über eine Stunde lang auf diesen Gän-
gen, war aber sehr verwundert, das Ganze in solchem
Grade vernachlässigt zu finden, daß ich an den mei-
sten Stellen im hohen Grase waten, und mich durch
die verwachsenen Pflanzungen durcharbeiten mußte.
Auch das Wohnhaus schien verfallen. Später erfuhr
ich, daß der Besitzer sein Vermögen in London im
Spiel eingebüßt! Da ich fürchtete, zu viel Zeit zu
verlieren, gab ich den Besuch von Festinoig und sei-
ner berühmten Wasserfälle auf, nahm einen frischen
sociable *) und Pferde beim Wirth, und machte mich
nach dem 10 Meilen entfernten Tremadoc auf, eine
sehr belohnende Fahrt, obgleich der Weg der schlech-
teste war, den ich noch in Groß-Britannien angetrof-
fen. Einige Meilen führt er im Meere fort, nämlich
in einem Theil desselben, welchen ein reicher Particu-
lier, Herr Maddocks, durch einen ungeheuren Damm
abgeschnitten, und dadurch ein fruchtbares Terrain,
von der Größe eines Rittergutes, gewonnen hat.
Von diesem Damme, welcher 20 Fuß hoch und zwei
Meilen lang, genießt man eine der prächtigsten Aus-
sichten. Das abgeschnittene Becken formt einen fast
regelmäßigen Halbzirkel, dessen Wände von dem gan-
zen Amphitheater des Gebirges gebildet zu seyn schei-
nen. Hier hat der Kunstfleiß des Menschen den
Schleier vom Meeresboden hinweg gezogen, und
statt der Schiffe zieht jetzt der Pflug seine Furchen
durch die weite Fläche -- aber links deckt noch der

*) Eine Art viersitziger, leichter Calesche, ohne Verdeck.

Ich wanderte über eine Stunde lang auf dieſen Gän-
gen, war aber ſehr verwundert, das Ganze in ſolchem
Grade vernachläſſigt zu finden, daß ich an den mei-
ſten Stellen im hohen Graſe waten, und mich durch
die verwachſenen Pflanzungen durcharbeiten mußte.
Auch das Wohnhaus ſchien verfallen. Später erfuhr
ich, daß der Beſitzer ſein Vermögen in London im
Spiel eingebüßt! Da ich fürchtete, zu viel Zeit zu
verlieren, gab ich den Beſuch von Feſtinoig und ſei-
ner berühmten Waſſerfälle auf, nahm einen friſchen
sociable *) und Pferde beim Wirth, und machte mich
nach dem 10 Meilen entfernten Tremadoc auf, eine
ſehr belohnende Fahrt, obgleich der Weg der ſchlech-
teſte war, den ich noch in Groß-Britannien angetrof-
fen. Einige Meilen führt er im Meere fort, nämlich
in einem Theil deſſelben, welchen ein reicher Particu-
lier, Herr Maddocks, durch einen ungeheuren Damm
abgeſchnitten, und dadurch ein fruchtbares Terrain,
von der Größe eines Rittergutes, gewonnen hat.
Von dieſem Damme, welcher 20 Fuß hoch und zwei
Meilen lang, genießt man eine der prächtigſten Aus-
ſichten. Das abgeſchnittene Becken formt einen faſt
regelmäßigen Halbzirkel, deſſen Wände von dem gan-
zen Amphitheater des Gebirges gebildet zu ſeyn ſchei-
nen. Hier hat der Kunſtfleiß des Menſchen den
Schleier vom Meeresboden hinweg gezogen, und
ſtatt der Schiffe zieht jetzt der Pflug ſeine Furchen
durch die weite Fläche — aber links deckt noch der

*) Eine Art vierſitziger, leichter Caleſche, ohne Verdeck.
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[124/0148] Ich wanderte über eine Stunde lang auf dieſen Gän- gen, war aber ſehr verwundert, das Ganze in ſolchem Grade vernachläſſigt zu finden, daß ich an den mei- ſten Stellen im hohen Graſe waten, und mich durch die verwachſenen Pflanzungen durcharbeiten mußte. Auch das Wohnhaus ſchien verfallen. Später erfuhr ich, daß der Beſitzer ſein Vermögen in London im Spiel eingebüßt! Da ich fürchtete, zu viel Zeit zu verlieren, gab ich den Beſuch von Feſtinoig und ſei- ner berühmten Waſſerfälle auf, nahm einen friſchen sociable *) und Pferde beim Wirth, und machte mich nach dem 10 Meilen entfernten Tremadoc auf, eine ſehr belohnende Fahrt, obgleich der Weg der ſchlech- teſte war, den ich noch in Groß-Britannien angetrof- fen. Einige Meilen führt er im Meere fort, nämlich in einem Theil deſſelben, welchen ein reicher Particu- lier, Herr Maddocks, durch einen ungeheuren Damm abgeſchnitten, und dadurch ein fruchtbares Terrain, von der Größe eines Rittergutes, gewonnen hat. Von dieſem Damme, welcher 20 Fuß hoch und zwei Meilen lang, genießt man eine der prächtigſten Aus- ſichten. Das abgeſchnittene Becken formt einen faſt regelmäßigen Halbzirkel, deſſen Wände von dem gan- zen Amphitheater des Gebirges gebildet zu ſeyn ſchei- nen. Hier hat der Kunſtfleiß des Menſchen den Schleier vom Meeresboden hinweg gezogen, und ſtatt der Schiffe zieht jetzt der Pflug ſeine Furchen durch die weite Fläche — aber links deckt noch der *) Eine Art vierſitziger, leichter Caleſche, ohne Verdeck.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/148>, abgerufen am 28.04.2024.