Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.begeisterter Jugend entzückende Wahrheit geworden. Anfang Juli 1848 war er wieder in Europa. Aber was er dort fand, war wenig erfreulich. Schon in London traf ihn die Kunde, daß die Frankfurter Nationalversammlung den Bock zum Gärtner gemacht, einen österreichischen Erzherzog zum Reichsverweser gewählt hatte. Solcher Anfang ließ seinen politischen Scharfblick das Böseste ahnen, er war tief schmerzlich enttäuscht. Diese Enttäuschung mehrte sich, als er in Frankfurt die Entwicklung der Dinge aus nächster Nähe beobachtete "Es ist ein großes Unglück", schreibt er, "daß eine überwältigende Majorität der kontinentalen Bevölkerung bei Weitem mehr auf Frankreich sieht, als auf England." So konnte ihn auch die damals besonders in Baden herrschende republikanische Strömung nicht bestechen, "denn es war immer die französische Republik", sagte er, "deren Bekanntschaft zu machen ich in der Geschichte noch nicht die Ehre gehabt habe; denn ein königloser Zustand der Dinge ist noch nicht eine Republik." Es hat damals sicher wenig Männer gegeben, die mit solchem Blicke tiefer Staatsweisheit die Entwicklung der Dinge überschauten. Er ging auch nach Berlin, und was er dort sah, stimmte ihn nicht hoffnungsvoller. Gedrückt und entmuthigt kehrte er nach Columbia zurück. Der weitere Gang der Deutschen Dinge bestätigt seine trüben Ahnungen. Ein Jubel- und Traumjahr war es gewesen, dies 1848; aber der Jubel verstummte gar bald, Deutschland erwachte aus dem süßen Traum, und das Erwachen war abscheulich. Es waren die Tage von Olmütz und des reaktivirten Bundestages. Aber auch für Lieber's neues Vaterland zogen schwere Jahre herauf. Der Gegensatz zwischen Nord und Süd, zwischen freien und Sklavenstaaten, dieser Conflict, der an dem Lebensmark der Union zehrte, verschärfte sich mehr und mehr; er ward begeisterter Jugend entzückende Wahrheit geworden. Anfang Juli 1848 war er wieder in Europa. Aber was er dort fand, war wenig erfreulich. Schon in London traf ihn die Kunde, daß die Frankfurter Nationalversammlung den Bock zum Gärtner gemacht, einen österreichischen Erzherzog zum Reichsverweser gewählt hatte. Solcher Anfang ließ seinen politischen Scharfblick das Böseste ahnen, er war tief schmerzlich enttäuscht. Diese Enttäuschung mehrte sich, als er in Frankfurt die Entwicklung der Dinge aus nächster Nähe beobachtete „Es ist ein großes Unglück“, schreibt er, „daß eine überwältigende Majorität der kontinentalen Bevölkerung bei Weitem mehr auf Frankreich sieht, als auf England.“ So konnte ihn auch die damals besonders in Baden herrschende republikanische Strömung nicht bestechen, „denn es war immer die französische Republik“, sagte er, „deren Bekanntschaft zu machen ich in der Geschichte noch nicht die Ehre gehabt habe; denn ein königloser Zustand der Dinge ist noch nicht eine Republik.“ Es hat damals sicher wenig Männer gegeben, die mit solchem Blicke tiefer Staatsweisheit die Entwicklung der Dinge überschauten. Er ging auch nach Berlin, und was er dort sah, stimmte ihn nicht hoffnungsvoller. Gedrückt und entmuthigt kehrte er nach Columbia zurück. Der weitere Gang der Deutschen Dinge bestätigt seine trüben Ahnungen. Ein Jubel- und Traumjahr war es gewesen, dies 1848; aber der Jubel verstummte gar bald, Deutschland erwachte aus dem süßen Traum, und das Erwachen war abscheulich. Es waren die Tage von Olmütz und des reaktivirten Bundestages. Aber auch für Lieber’s neues Vaterland zogen schwere Jahre herauf. Der Gegensatz zwischen Nord und Süd, zwischen freien und Sklavenstaaten, dieser Conflict, der an dem Lebensmark der Union zehrte, verschärfte sich mehr und mehr; er ward <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0035" n="35"/> begeisterter Jugend entzückende Wahrheit geworden. Anfang Juli 1848 war er wieder in Europa. Aber was er dort fand, war wenig erfreulich. Schon in London traf ihn die Kunde, daß die Frankfurter Nationalversammlung den Bock zum Gärtner gemacht, einen österreichischen Erzherzog zum Reichsverweser gewählt hatte. Solcher Anfang ließ seinen politischen Scharfblick das Böseste ahnen, er war tief schmerzlich enttäuscht. Diese Enttäuschung mehrte sich, als er in Frankfurt die Entwicklung der Dinge aus nächster Nähe beobachtete „Es ist ein großes Unglück“, schreibt er, „daß eine überwältigende Majorität der kontinentalen Bevölkerung bei Weitem mehr auf Frankreich sieht, als auf England.“ So konnte ihn auch die damals besonders in Baden herrschende republikanische Strömung nicht bestechen, „denn es war immer die französische Republik“, sagte er, „deren Bekanntschaft zu machen ich in der Geschichte noch nicht die Ehre gehabt habe; denn ein königloser Zustand der Dinge ist noch nicht eine Republik.“ Es hat damals sicher wenig Männer gegeben, die mit solchem Blicke tiefer Staatsweisheit die Entwicklung der Dinge überschauten. Er ging auch nach Berlin, und was er dort sah, stimmte ihn nicht hoffnungsvoller. Gedrückt und entmuthigt kehrte er nach Columbia zurück. Der weitere Gang der Deutschen Dinge bestätigt seine trüben Ahnungen. Ein Jubel- und Traumjahr war es gewesen, dies 1848; aber der Jubel verstummte gar bald, Deutschland erwachte aus dem süßen Traum, und das Erwachen war abscheulich. Es waren die Tage von Olmütz und des reaktivirten Bundestages.</p> <p>Aber auch für <hi rendition="#g">Lieber’s</hi> neues Vaterland zogen schwere Jahre herauf. Der Gegensatz zwischen Nord und Süd, zwischen freien und Sklavenstaaten, dieser Conflict, der an dem Lebensmark der Union zehrte, verschärfte sich mehr und mehr; er ward </p> </div> </body> </text> </TEI> [35/0035]
begeisterter Jugend entzückende Wahrheit geworden. Anfang Juli 1848 war er wieder in Europa. Aber was er dort fand, war wenig erfreulich. Schon in London traf ihn die Kunde, daß die Frankfurter Nationalversammlung den Bock zum Gärtner gemacht, einen österreichischen Erzherzog zum Reichsverweser gewählt hatte. Solcher Anfang ließ seinen politischen Scharfblick das Böseste ahnen, er war tief schmerzlich enttäuscht. Diese Enttäuschung mehrte sich, als er in Frankfurt die Entwicklung der Dinge aus nächster Nähe beobachtete „Es ist ein großes Unglück“, schreibt er, „daß eine überwältigende Majorität der kontinentalen Bevölkerung bei Weitem mehr auf Frankreich sieht, als auf England.“ So konnte ihn auch die damals besonders in Baden herrschende republikanische Strömung nicht bestechen, „denn es war immer die französische Republik“, sagte er, „deren Bekanntschaft zu machen ich in der Geschichte noch nicht die Ehre gehabt habe; denn ein königloser Zustand der Dinge ist noch nicht eine Republik.“ Es hat damals sicher wenig Männer gegeben, die mit solchem Blicke tiefer Staatsweisheit die Entwicklung der Dinge überschauten. Er ging auch nach Berlin, und was er dort sah, stimmte ihn nicht hoffnungsvoller. Gedrückt und entmuthigt kehrte er nach Columbia zurück. Der weitere Gang der Deutschen Dinge bestätigt seine trüben Ahnungen. Ein Jubel- und Traumjahr war es gewesen, dies 1848; aber der Jubel verstummte gar bald, Deutschland erwachte aus dem süßen Traum, und das Erwachen war abscheulich. Es waren die Tage von Olmütz und des reaktivirten Bundestages.
Aber auch für Lieber’s neues Vaterland zogen schwere Jahre herauf. Der Gegensatz zwischen Nord und Süd, zwischen freien und Sklavenstaaten, dieser Conflict, der an dem Lebensmark der Union zehrte, verschärfte sich mehr und mehr; er ward
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