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Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

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mich, ich hätte daher nicht in völliger Zurückgezogenheit in Berlin leben können ... Der König besitzt keine Charakterstärke und ist unter den gegenwärtigen Umständen der ungeeignetste Monarch, der nur möglich ist ... In Preußen ist kein Verlangen nach Freiheit, nach echt bürgerlichem Fortschritt oder gesunden Gesetzen, die ich aus Instinkt liebe, gleich wie der Grieche seine Freiheit liebte ... Ich kann nicht gegen die Freiheit handeln, und das würde bei der Entwicklung der Dinge alsbald von mir verlangt werden, so daß ich mich verloren fühlen und den Tag verfluchen müßte, an dem ich dieses freie Land verlassen hätte". So kehrte er denn in seine columbische Verbannung zurück.

Aber nur wenige Jahre war er wieder dort, da kam wundersame Kunde über den Ocean. Es schien, als wolle die alte Welt sich verjüngen, als sei auch dort über Nacht der stolze Baum der Freiheit emporgeschossen, mit seinen,mächtigen Zweigen den alten Erdtheil überschattend. "Das Volk stand auf, der Sturm brach los," - das Jubel- und Traumjahr 1848 war gekommen, sein Frühlingsorcan brauste über Deutschland dahin. Und lenzesfroher Jubelruf brach hervor aus der Brust des wackeren Freiheitskämpfers, da er die schier märchenhafte Kunde vernahm. Am Tage, nachdem die Nachricht gekommen, wollte er seine Vorlesung halten. "Ich begann" - so erzählte er, - "aber ich konnte nicht. Ich sagte: Meine jungen Freunde, ich bin heute unbrauchbar für Sie. Es ist Nachricht gekommen, daß auch Deutschland sich erhoben hat, und mein Herz ist voll zum Ueberströmen. Ich -! Aber ich glaubte ersticken zu müssen. Die Studenten verließen den Hörsaal mit einem herzlichen Hurrah auf das alte Deutschland. Ich eilte nach Hause und fiel auf mein Bett und weinte wie ein Kind - nein, weit mehr, wie ein Mann!" Nun war für ihn kein Halten mehr in der Ferne, mit eigenen Augen mußte er sehen, ob wirklich die Blüthenträume

mich, ich hätte daher nicht in völliger Zurückgezogenheit in Berlin leben können … Der König besitzt keine Charakterstärke und ist unter den gegenwärtigen Umständen der ungeeignetste Monarch, der nur möglich ist … In Preußen ist kein Verlangen nach Freiheit, nach echt bürgerlichem Fortschritt oder gesunden Gesetzen, die ich aus Instinkt liebe, gleich wie der Grieche seine Freiheit liebte … Ich kann nicht gegen die Freiheit handeln, und das würde bei der Entwicklung der Dinge alsbald von mir verlangt werden, so daß ich mich verloren fühlen und den Tag verfluchen müßte, an dem ich dieses freie Land verlassen hätte“. So kehrte er denn in seine columbische Verbannung zurück.

Aber nur wenige Jahre war er wieder dort, da kam wundersame Kunde über den Ocean. Es schien, als wolle die alte Welt sich verjüngen, als sei auch dort über Nacht der stolze Baum der Freiheit emporgeschossen, mit seinen,mächtigen Zweigen den alten Erdtheil überschattend. „Das Volk stand auf, der Sturm brach los,“ – das Jubel- und Traumjahr 1848 war gekommen, sein Frühlingsorcan brauste über Deutschland dahin. Und lenzesfroher Jubelruf brach hervor aus der Brust des wackeren Freiheitskämpfers, da er die schier märchenhafte Kunde vernahm. Am Tage, nachdem die Nachricht gekommen, wollte er seine Vorlesung halten. „Ich begann“ – so erzählte er, – „aber ich konnte nicht. Ich sagte: Meine jungen Freunde, ich bin heute unbrauchbar für Sie. Es ist Nachricht gekommen, daß auch Deutschland sich erhoben hat, und mein Herz ist voll zum Ueberströmen. Ich –! Aber ich glaubte ersticken zu müssen. Die Studenten verließen den Hörsaal mit einem herzlichen Hurrah auf das alte Deutschland. Ich eilte nach Hause und fiel auf mein Bett und weinte wie ein Kind – nein, weit mehr, wie ein Mann!“ Nun war für ihn kein Halten mehr in der Ferne, mit eigenen Augen mußte er sehen, ob wirklich die Blüthenträume

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[34/0034] mich, ich hätte daher nicht in völliger Zurückgezogenheit in Berlin leben können … Der König besitzt keine Charakterstärke und ist unter den gegenwärtigen Umständen der ungeeignetste Monarch, der nur möglich ist … In Preußen ist kein Verlangen nach Freiheit, nach echt bürgerlichem Fortschritt oder gesunden Gesetzen, die ich aus Instinkt liebe, gleich wie der Grieche seine Freiheit liebte … Ich kann nicht gegen die Freiheit handeln, und das würde bei der Entwicklung der Dinge alsbald von mir verlangt werden, so daß ich mich verloren fühlen und den Tag verfluchen müßte, an dem ich dieses freie Land verlassen hätte“. So kehrte er denn in seine columbische Verbannung zurück. Aber nur wenige Jahre war er wieder dort, da kam wundersame Kunde über den Ocean. Es schien, als wolle die alte Welt sich verjüngen, als sei auch dort über Nacht der stolze Baum der Freiheit emporgeschossen, mit seinen,mächtigen Zweigen den alten Erdtheil überschattend. „Das Volk stand auf, der Sturm brach los,“ – das Jubel- und Traumjahr 1848 war gekommen, sein Frühlingsorcan brauste über Deutschland dahin. Und lenzesfroher Jubelruf brach hervor aus der Brust des wackeren Freiheitskämpfers, da er die schier märchenhafte Kunde vernahm. Am Tage, nachdem die Nachricht gekommen, wollte er seine Vorlesung halten. „Ich begann“ – so erzählte er, – „aber ich konnte nicht. Ich sagte: Meine jungen Freunde, ich bin heute unbrauchbar für Sie. Es ist Nachricht gekommen, daß auch Deutschland sich erhoben hat, und mein Herz ist voll zum Ueberströmen. Ich –! Aber ich glaubte ersticken zu müssen. Die Studenten verließen den Hörsaal mit einem herzlichen Hurrah auf das alte Deutschland. Ich eilte nach Hause und fiel auf mein Bett und weinte wie ein Kind – nein, weit mehr, wie ein Mann!“ Nun war für ihn kein Halten mehr in der Ferne, mit eigenen Augen mußte er sehen, ob wirklich die Blüthenträume

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Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/34>, abgerufen am 27.04.2024.