Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite

auf polizeiliches Gebot verrauchen, der beschränkte Unterthanenverstand sah nicht ein, daß man sich auf Kommando begeistern und entgeistern müsse. Da man aber in der Wirklichkeit nichts die Begeisterung anregendes fand, so flüchtete man nach recht deutscher Art in das alle Zeit offene Reich der Träume. Je kläglicher das Deutschland der Gegenwart ausschaute, desto herrlicher erschien das geträumte einer romantischen Vergangenheit. Es begann die Zeit der tragikomischen Teutschheit, die sich in Sprache und Kleidung, in Turnen und Singen Luft machte. Der Häuptling dieser teutschen Jünglinge war der Turnvater Jahn. Wie kläglich schwach mußte sich eine Regierung fühlen, der der gute Jahn als ein gefährlicher Mensch erschien!

Unser Franz Lieber, welcher von den Schlachtfeldern Lignys und Namurs in die Schulstuben des Berliner grauen Klosters zurückgekehrt war, folgte dem Zuge der Zeit als einer der eifrigsten. Er ward der Liebling Jahns, sang und turnte trotz einem bei den neu belebten olympischen Spielen, deren Schauplatz unsere biedere Hasenhaide war; und ganz im Stillen träumte er vielleicht von der Wiederherstellung des Reiches Karls des Großen, wobei er dann sehr wahrscheinlich seinen lieben Turnvater auf den Stuhl des Frankenkönigs setzte. Kurz, er war ein ganzer Teutscher. Noch im späten Alter gedenkt er mit gutmüthigem Lächeln dieser holden Jugendeselei. Doch hatte dieselbe für ihn recht ernste Folgen. Damals war kein kindisches Spiel zu harmlos, um nicht als staatsgefährlich zu erscheinen. Eine fürsichtige Polizei hielt den Staat für so morsch und wurmstichig, daß er durch das Singen und Turnen der Teutomanen bis zum Einstürzen erschüttert werde. Im Jahre des Unheils 1819 wurde Lieber zusammen mit Jahn verhaftet und auf die Festung gebracht. Er war beschuldigt: "unpatriotische Gefühle zu hegen," ein Verbrechen, nachdem man in allen Strafgesetzbüchern

auf polizeiliches Gebot verrauchen, der beschränkte Unterthanenverstand sah nicht ein, daß man sich auf Kommando begeistern und entgeistern müsse. Da man aber in der Wirklichkeit nichts die Begeisterung anregendes fand, so flüchtete man nach recht deutscher Art in das alle Zeit offene Reich der Träume. Je kläglicher das Deutschland der Gegenwart ausschaute, desto herrlicher erschien das geträumte einer romantischen Vergangenheit. Es begann die Zeit der tragikomischen Teutschheit, die sich in Sprache und Kleidung, in Turnen und Singen Luft machte. Der Häuptling dieser teutschen Jünglinge war der Turnvater Jahn. Wie kläglich schwach mußte sich eine Regierung fühlen, der der gute Jahn als ein gefährlicher Mensch erschien!

Unser Franz Lieber, welcher von den Schlachtfeldern Lignys und Namurs in die Schulstuben des Berliner grauen Klosters zurückgekehrt war, folgte dem Zuge der Zeit als einer der eifrigsten. Er ward der Liebling Jahns, sang und turnte trotz einem bei den neu belebten olympischen Spielen, deren Schauplatz unsere biedere Hasenhaide war; und ganz im Stillen träumte er vielleicht von der Wiederherstellung des Reiches Karls des Großen, wobei er dann sehr wahrscheinlich seinen lieben Turnvater auf den Stuhl des Frankenkönigs setzte. Kurz, er war ein ganzer Teutscher. Noch im späten Alter gedenkt er mit gutmüthigem Lächeln dieser holden Jugendeselei. Doch hatte dieselbe für ihn recht ernste Folgen. Damals war kein kindisches Spiel zu harmlos, um nicht als staatsgefährlich zu erscheinen. Eine fürsichtige Polizei hielt den Staat für so morsch und wurmstichig, daß er durch das Singen und Turnen der Teutomanen bis zum Einstürzen erschüttert werde. Im Jahre des Unheils 1819 wurde Lieber zusammen mit Jahn verhaftet und auf die Festung gebracht. Er war beschuldigt: „unpatriotische Gefühle zu hegen,“ ein Verbrechen, nachdem man in allen Strafgesetzbüchern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0013" n="13"/>
auf polizeiliches Gebot verrauchen, der beschränkte Unterthanenverstand sah nicht ein, daß man sich auf Kommando begeistern und entgeistern müsse. Da man aber in der Wirklichkeit nichts die Begeisterung anregendes fand, so flüchtete man nach recht deutscher Art in das alle Zeit offene Reich der Träume. Je kläglicher das Deutschland der Gegenwart ausschaute, desto herrlicher erschien das geträumte einer romantischen Vergangenheit. Es begann die Zeit der tragikomischen Teutschheit, die sich in Sprache und Kleidung, in Turnen und Singen Luft machte. Der Häuptling dieser teutschen Jünglinge war der Turnvater <hi rendition="#g">Jahn</hi>. Wie kläglich schwach mußte sich eine Regierung fühlen, der der gute <hi rendition="#g">Jahn</hi> als ein gefährlicher Mensch erschien!</p>
        <p>Unser <hi rendition="#g">Franz Lieber</hi>, welcher von den Schlachtfeldern Lignys und Namurs in die Schulstuben des Berliner grauen Klosters zurückgekehrt war, folgte dem Zuge der Zeit als einer der eifrigsten. Er ward der Liebling <hi rendition="#g">Jahns</hi>, sang und turnte trotz einem bei den neu belebten olympischen Spielen, deren Schauplatz unsere biedere Hasenhaide war; und ganz im Stillen träumte er vielleicht von der Wiederherstellung des Reiches Karls des Großen, wobei er dann sehr wahrscheinlich seinen lieben Turnvater auf den Stuhl des Frankenkönigs setzte. Kurz, er war ein ganzer Teutscher. Noch im späten Alter gedenkt er mit gutmüthigem Lächeln dieser holden Jugendeselei. Doch hatte dieselbe für ihn recht ernste Folgen. Damals war kein kindisches Spiel zu harmlos, um nicht als staatsgefährlich zu erscheinen. Eine fürsichtige Polizei hielt den Staat für so morsch und wurmstichig, daß er durch das Singen und Turnen der Teutomanen bis zum Einstürzen erschüttert werde. Im Jahre des Unheils 1819 wurde <hi rendition="#g">Lieber</hi> zusammen mit <hi rendition="#g">Jahn</hi> verhaftet und auf die Festung gebracht. Er war beschuldigt: &#x201E;unpatriotische Gefühle zu hegen,&#x201C; ein Verbrechen, nachdem man in allen Strafgesetzbüchern
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0013] auf polizeiliches Gebot verrauchen, der beschränkte Unterthanenverstand sah nicht ein, daß man sich auf Kommando begeistern und entgeistern müsse. Da man aber in der Wirklichkeit nichts die Begeisterung anregendes fand, so flüchtete man nach recht deutscher Art in das alle Zeit offene Reich der Träume. Je kläglicher das Deutschland der Gegenwart ausschaute, desto herrlicher erschien das geträumte einer romantischen Vergangenheit. Es begann die Zeit der tragikomischen Teutschheit, die sich in Sprache und Kleidung, in Turnen und Singen Luft machte. Der Häuptling dieser teutschen Jünglinge war der Turnvater Jahn. Wie kläglich schwach mußte sich eine Regierung fühlen, der der gute Jahn als ein gefährlicher Mensch erschien! Unser Franz Lieber, welcher von den Schlachtfeldern Lignys und Namurs in die Schulstuben des Berliner grauen Klosters zurückgekehrt war, folgte dem Zuge der Zeit als einer der eifrigsten. Er ward der Liebling Jahns, sang und turnte trotz einem bei den neu belebten olympischen Spielen, deren Schauplatz unsere biedere Hasenhaide war; und ganz im Stillen träumte er vielleicht von der Wiederherstellung des Reiches Karls des Großen, wobei er dann sehr wahrscheinlich seinen lieben Turnvater auf den Stuhl des Frankenkönigs setzte. Kurz, er war ein ganzer Teutscher. Noch im späten Alter gedenkt er mit gutmüthigem Lächeln dieser holden Jugendeselei. Doch hatte dieselbe für ihn recht ernste Folgen. Damals war kein kindisches Spiel zu harmlos, um nicht als staatsgefährlich zu erscheinen. Eine fürsichtige Polizei hielt den Staat für so morsch und wurmstichig, daß er durch das Singen und Turnen der Teutomanen bis zum Einstürzen erschüttert werde. Im Jahre des Unheils 1819 wurde Lieber zusammen mit Jahn verhaftet und auf die Festung gebracht. Er war beschuldigt: „unpatriotische Gefühle zu hegen,“ ein Verbrechen, nachdem man in allen Strafgesetzbüchern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-23T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-23T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-23T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/13
Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/13>, abgerufen am 23.04.2024.