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Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

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Leiden noch lange nicht ihr Ende erreicht. Er ward von einem der überfüllten Lazarethe zum andern geschleppt; überall fehlte es an Aerzten; seine nur mangelhaft verbundenen Wunden brachen immer von Neuem auf, und so verlebte er in Elend und Jammer, mitten unter Todten und Sterbenden, fürchterliche Tage. Endlich fand er in Lüttich durch glücklichen Zufall Obdach und Pflege. Zu derselben Zeit lag einer seiner Brüder verwundet im Lazareth zu Brüssel, ein andrer in Aachen. Es war das Schicksal der Familie - wie später, so auch schon hier - an den Leiden ihres Volkes mit eignem, blutigem Leid Theil zu nehmen.

"Obwohl ich lange Zeit", erzählt Franz, "unter der Pflege eines Arztes in Lüttich blieb, kehrte ich doch so bald als möglich - und zwar zu bald für meine Gesundheit - zu meiner Mutter zurück, wie unsere Soldaten ihre Compagnie zu nennen pflegten."

Dieser aufopfernde Muth kam dem tapferen Jüngling theuer zu stehen. Sein geschwächter Körper ertrug die neuen Strapazen nicht; ein bösartiger Typhus befiel ihn, und lange Zeit verbrachte er in elendem Zustand in den Lazarethen von Aachen und Cöln.

Endlich kam der Friede in's Land, und endlich erlangte auch der wackere Kämpfer seine Gesundheit wieder. Froh eilte er in die geliebte Heimath zurück, deren Freiheit er mit seinem Blute hatte erringen helfen. Welcher Lohn aber erwartete dort ihn und seine Leidens- und Kampfgenossen?

Es giebt wenige Epochen in der innern Geschichte der Völker, welche sich an trauriger Niedrigkeit mit den Jahrzehnten vergleichen lassen, die für den größten Theil Deutschlands auf die sogenannten Freiheitskriege folgten. Die Jämmerlichkeit dieser Zeit tritt nur um so greller hervor durch den Kontrast zu der mächtigen

Leiden noch lange nicht ihr Ende erreicht. Er ward von einem der überfüllten Lazarethe zum andern geschleppt; überall fehlte es an Aerzten; seine nur mangelhaft verbundenen Wunden brachen immer von Neuem auf, und so verlebte er in Elend und Jammer, mitten unter Todten und Sterbenden, fürchterliche Tage. Endlich fand er in Lüttich durch glücklichen Zufall Obdach und Pflege. Zu derselben Zeit lag einer seiner Brüder verwundet im Lazareth zu Brüssel, ein andrer in Aachen. Es war das Schicksal der Familie – wie später, so auch schon hier – an den Leiden ihres Volkes mit eignem, blutigem Leid Theil zu nehmen.

„Obwohl ich lange Zeit“, erzählt Franz, „unter der Pflege eines Arztes in Lüttich blieb, kehrte ich doch so bald als möglich – und zwar zu bald für meine Gesundheit – zu meiner Mutter zurück, wie unsere Soldaten ihre Compagnie zu nennen pflegten.“

Dieser aufopfernde Muth kam dem tapferen Jüngling theuer zu stehen. Sein geschwächter Körper ertrug die neuen Strapazen nicht; ein bösartiger Typhus befiel ihn, und lange Zeit verbrachte er in elendem Zustand in den Lazarethen von Aachen und Cöln.

Endlich kam der Friede in’s Land, und endlich erlangte auch der wackere Kämpfer seine Gesundheit wieder. Froh eilte er in die geliebte Heimath zurück, deren Freiheit er mit seinem Blute hatte erringen helfen. Welcher Lohn aber erwartete dort ihn und seine Leidens- und Kampfgenossen?

Es giebt wenige Epochen in der innern Geschichte der Völker, welche sich an trauriger Niedrigkeit mit den Jahrzehnten vergleichen lassen, die für den größten Theil Deutschlands auf die sogenannten Freiheitskriege folgten. Die Jämmerlichkeit dieser Zeit tritt nur um so greller hervor durch den Kontrast zu der mächtigen

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[11/0011] Leiden noch lange nicht ihr Ende erreicht. Er ward von einem der überfüllten Lazarethe zum andern geschleppt; überall fehlte es an Aerzten; seine nur mangelhaft verbundenen Wunden brachen immer von Neuem auf, und so verlebte er in Elend und Jammer, mitten unter Todten und Sterbenden, fürchterliche Tage. Endlich fand er in Lüttich durch glücklichen Zufall Obdach und Pflege. Zu derselben Zeit lag einer seiner Brüder verwundet im Lazareth zu Brüssel, ein andrer in Aachen. Es war das Schicksal der Familie – wie später, so auch schon hier – an den Leiden ihres Volkes mit eignem, blutigem Leid Theil zu nehmen. „Obwohl ich lange Zeit“, erzählt Franz, „unter der Pflege eines Arztes in Lüttich blieb, kehrte ich doch so bald als möglich – und zwar zu bald für meine Gesundheit – zu meiner Mutter zurück, wie unsere Soldaten ihre Compagnie zu nennen pflegten.“ Dieser aufopfernde Muth kam dem tapferen Jüngling theuer zu stehen. Sein geschwächter Körper ertrug die neuen Strapazen nicht; ein bösartiger Typhus befiel ihn, und lange Zeit verbrachte er in elendem Zustand in den Lazarethen von Aachen und Cöln. Endlich kam der Friede in’s Land, und endlich erlangte auch der wackere Kämpfer seine Gesundheit wieder. Froh eilte er in die geliebte Heimath zurück, deren Freiheit er mit seinem Blute hatte erringen helfen. Welcher Lohn aber erwartete dort ihn und seine Leidens- und Kampfgenossen? Es giebt wenige Epochen in der innern Geschichte der Völker, welche sich an trauriger Niedrigkeit mit den Jahrzehnten vergleichen lassen, die für den größten Theil Deutschlands auf die sogenannten Freiheitskriege folgten. Die Jämmerlichkeit dieser Zeit tritt nur um so greller hervor durch den Kontrast zu der mächtigen

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Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/11>, abgerufen am 25.04.2024.