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von Preuschen, Hermione: Yoshiwara. Vom Freudenhaus des Lebens. Berlin, 1920.

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stolze, verschlossene Indra die Mutter so tief in ihre Seele blicken lassen. Aber die bittere Herzensnot prägte und zwang ihre Bekenntnisse. Sie erflehte eine telegraphische Geldsendung, damit sie heimlich entfliehen könne. Sie beschwor die Mutter bei allem, was ihr heilig sei, sie aus ihrer tiefen Not zu retten. Noch sei sie unschuldig, und sie schloß mit den Worten der Emilia Galotti: "Auch meine Sinne sind Sinne. Gewalt fürchte ich nicht, aber Verführung, Verführung ist die höchste Gewalt, rette mich, Mutter, wenn du nicht dein letztes Kind verlieren willst." -- Sie bat Brostoczicz bei seinem Kommen, den Brief, als Eilpost eingeschrieben, zu bestellen. Sie sah nicht seinen gequälten Gesichtsausdruck, und die unwillkürlich abwehrende Bewegung seiner Hände. Mit einem Seufzer steckte er den Brief in seine Brusttasche. Indra wollte, daß sie ihn beide gleich besorgten, sie selber hatte keinen Pfennig Geld mehr. Aber er murmelte etwas, das klang, wie wenn der Steamer doch erst übermorgen fortführe, und der Postschalter jetzt geschlossen sei. Indra mußte sich gedulden. Nun hatte sie seit ihrer Abreise

stolze, verschlossene Indra die Mutter so tief in ihre Seele blicken lassen. Aber die bittere Herzensnot prägte und zwang ihre Bekenntnisse. Sie erflehte eine telegraphische Geldsendung, damit sie heimlich entfliehen könne. Sie beschwor die Mutter bei allem, was ihr heilig sei, sie aus ihrer tiefen Not zu retten. Noch sei sie unschuldig, und sie schloß mit den Worten der Emilia Galotti: „Auch meine Sinne sind Sinne. Gewalt fürchte ich nicht, aber Verführung, Verführung ist die höchste Gewalt, rette mich, Mutter, wenn du nicht dein letztes Kind verlieren willst.“ — Sie bat Brostoczicz bei seinem Kommen, den Brief, als Eilpost eingeschrieben, zu bestellen. Sie sah nicht seinen gequälten Gesichtsausdruck, und die unwillkürlich abwehrende Bewegung seiner Hände. Mit einem Seufzer steckte er den Brief in seine Brusttasche. Indra wollte, daß sie ihn beide gleich besorgten, sie selber hatte keinen Pfennig Geld mehr. Aber er murmelte etwas, das klang, wie wenn der Steamer doch erst übermorgen fortführe, und der Postschalter jetzt geschlossen sei. Indra mußte sich gedulden. Nun hatte sie seit ihrer Abreise

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[73/0072] stolze, verschlossene Indra die Mutter so tief in ihre Seele blicken lassen. Aber die bittere Herzensnot prägte und zwang ihre Bekenntnisse. Sie erflehte eine telegraphische Geldsendung, damit sie heimlich entfliehen könne. Sie beschwor die Mutter bei allem, was ihr heilig sei, sie aus ihrer tiefen Not zu retten. Noch sei sie unschuldig, und sie schloß mit den Worten der Emilia Galotti: „Auch meine Sinne sind Sinne. Gewalt fürchte ich nicht, aber Verführung, Verführung ist die höchste Gewalt, rette mich, Mutter, wenn du nicht dein letztes Kind verlieren willst.“ — Sie bat Brostoczicz bei seinem Kommen, den Brief, als Eilpost eingeschrieben, zu bestellen. Sie sah nicht seinen gequälten Gesichtsausdruck, und die unwillkürlich abwehrende Bewegung seiner Hände. Mit einem Seufzer steckte er den Brief in seine Brusttasche. Indra wollte, daß sie ihn beide gleich besorgten, sie selber hatte keinen Pfennig Geld mehr. Aber er murmelte etwas, das klang, wie wenn der Steamer doch erst übermorgen fortführe, und der Postschalter jetzt geschlossen sei. Indra mußte sich gedulden. Nun hatte sie seit ihrer Abreise

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Zitationshilfe: von Preuschen, Hermione: Yoshiwara. Vom Freudenhaus des Lebens. Berlin, 1920, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuschen_yoshiwara_1920/72>, abgerufen am 24.11.2024.