gleich der letzte Theil seit langer Zeit soll verlo- ren seyn.
Die Braminen sind über den Verlust dessel- ben sehr unzufrieden, weil sie sonst in größerer Hochachtung bey dem Volke stehen würden, als selbst die Könige.
Dieser Vedam enthält eine Sammlung der abergläubischen Gebräuche, ihrer alten Rishi oder Büßenden, womit ihre Meynungen von der Natur Gottes, der Seele u. s. w. verbun- den worden. Die beyden ersten Theile dieses Buchs, werden auf der ganzen Halbinsel In- diens, und die beyden letztern in Hindistan aus- geübt. Sie enthalten die ganze Theologie der Braminen, und werden nur auch von diesen ge- lesen; so, daß die Baniyanen, wenn sie beten, sich der Worte aus dem Buche Schaster und nicht der aus dem Vadam bedienen müßen. Das gemeine Volk darf weder aus diesem noch auch aus jenem etwas lernen. Im ganzen wer- den sie auch nie in den Pagoden vorgelesen, weil das Volk die Geheimniße, welche diese Bücher enthalten, nicht faßen kann. Einige Reisebe- schreiber wollen so gar versichern, daß die Bra- minen diese Bücher größestentheils selber nicht verständen, welches auch sehr leicht möglich seyn kann, zumal wenn man weiß, daß sie nicht in dem Sanskrit, welches die gelehrte Sprache der Braminen ist, sondern in einer weit ältern Sprache geschrieben sind.
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gleich der letzte Theil ſeit langer Zeit ſoll verlo- ren ſeyn.
Die Braminen ſind uͤber den Verluſt deſſel- ben ſehr unzufrieden, weil ſie ſonſt in groͤßerer Hochachtung bey dem Volke ſtehen wuͤrden, als ſelbſt die Koͤnige.
Dieſer Vedam enthaͤlt eine Sammlung der aberglaͤubiſchen Gebraͤuche, ihrer alten Riſhi oder Buͤßenden, womit ihre Meynungen von der Natur Gottes, der Seele u. ſ. w. verbun- den worden. Die beyden erſten Theile dieſes Buchs, werden auf der ganzen Halbinſel In- diens, und die beyden letztern in Hindiſtan aus- geuͤbt. Sie enthalten die ganze Theologie der Braminen, und werden nur auch von dieſen ge- leſen; ſo, daß die Baniyanen, wenn ſie beten, ſich der Worte aus dem Buche Schaſter und nicht der aus dem Vadam bedienen muͤßen. Das gemeine Volk darf weder aus dieſem noch auch aus jenem etwas lernen. Im ganzen wer- den ſie auch nie in den Pagoden vorgeleſen, weil das Volk die Geheimniße, welche dieſe Buͤcher enthalten, nicht faßen kann. Einige Reiſebe- ſchreiber wollen ſo gar verſichern, daß die Bra- minen dieſe Buͤcher groͤßeſtentheils ſelber nicht verſtaͤnden, welches auch ſehr leicht moͤglich ſeyn kann, zumal wenn man weiß, daß ſie nicht in dem Sanſkrit, welches die gelehrte Sprache der Braminen iſt, ſondern in einer weit aͤltern Sprache geſchrieben ſind.
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gleich der letzte Theil ſeit langer Zeit ſoll verlo-
ren ſeyn.
Die Braminen ſind uͤber den Verluſt deſſel-
ben ſehr unzufrieden, weil ſie ſonſt in groͤßerer
Hochachtung bey dem Volke ſtehen wuͤrden, als
ſelbſt die Koͤnige.
Dieſer Vedam enthaͤlt eine Sammlung der
aberglaͤubiſchen Gebraͤuche, ihrer alten Riſhi
oder Buͤßenden, womit ihre Meynungen von
der Natur Gottes, der Seele u. ſ. w. verbun-
den worden. Die beyden erſten Theile dieſes
Buchs, werden auf der ganzen Halbinſel In-
diens, und die beyden letztern in Hindiſtan aus-
geuͤbt. Sie enthalten die ganze Theologie der
Braminen, und werden nur auch von dieſen ge-
leſen; ſo, daß die Baniyanen, wenn ſie beten,
ſich der Worte aus dem Buche Schaſter und
nicht der aus dem Vadam bedienen muͤßen.
Das gemeine Volk darf weder aus dieſem noch
auch aus jenem etwas lernen. Im ganzen wer-
den ſie auch nie in den Pagoden vorgeleſen, weil
das Volk die Geheimniße, welche dieſe Buͤcher
enthalten, nicht faßen kann. Einige Reiſebe-
ſchreiber wollen ſo gar verſichern, daß die Bra-
minen dieſe Buͤcher groͤßeſtentheils ſelber nicht
verſtaͤnden, welches auch ſehr leicht moͤglich ſeyn
kann, zumal wenn man weiß, daß ſie nicht in
dem Sanſkrit, welches die gelehrte Sprache
der Braminen iſt, ſondern in einer weit aͤltern
Sprache geſchrieben ſind.
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/465>, abgerufen am 22.11.2024.
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