Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

Kurz, die Braminen sollen diese Dunkelheit so
weit treiben, daß sie sich nicht nur vor dem Volke
unbekannter Kunstwörter bedienen, sondern
auch die bekanntesten Dinge in eine geheimniß-
volle Sprache eingehüllt haben. Die Stadt
Bernares, welche in Bengalen am Flusse
Ganges liegt, ist die allgemeine Schule, und
gleichsam das Athen für den indischen Adel.
Hieher kommen auch die Braminen und Mön-
che, welche sich den Wissenschaften widmen.
Sie sind nicht in Collegia und Klassen vertheilt,
wie in Europa, sondern die Lehrer sind --
mehr nach der Schule der alten Griechen --
durch die Stadt in ihren Häusern zerstreut,
und hakten sich besonders gerne in den Gärten
der Vorstädte auf. Die Lehrer haben vier,
sechs bis sieben Schüler, und die berühmtesten
zwölf bis funfzehn, welche zehn oder zwölf
Jahro bey ihnen zubringen. Denn sie sind
überaus träge und faul, und zudem werden sie
durch keine Hoffnung einer guten Beförderung
zu den Wissenschaften aufgemuntert.

Ihr erstes Studium heißt Hanskrit, d. i.
eine reine Sprache, die von der gemeinen in-
dianischen ganz abgeht, und nur den Lehrern
bekannt ist. Weil ihre heiligen Bücher, die
von sehr hohem Alter sind, in dieser Sprache
geschrieben worden; so nennen sie selbige heilig
und göttlich. Wenn sie diese Sprache, die sehr
schwer ist, gelernt haben, so legen sie sich ordent-
licherweise auf die Lesung des Puran, welches

die
C c 3

Kurz, die Braminen ſollen dieſe Dunkelheit ſo
weit treiben, daß ſie ſich nicht nur vor dem Volke
unbekannter Kunſtwoͤrter bedienen, ſondern
auch die bekannteſten Dinge in eine geheimniß-
volle Sprache eingehuͤllt haben. Die Stadt
Bernares, welche in Bengalen am Fluſſe
Ganges liegt, iſt die allgemeine Schule, und
gleichſam das Athen fuͤr den indiſchen Adel.
Hieher kommen auch die Braminen und Moͤn-
che, welche ſich den Wiſſenſchaften widmen.
Sie ſind nicht in Collegia und Klaſſen vertheilt,
wie in Europa, ſondern die Lehrer ſind —
mehr nach der Schule der alten Griechen —
durch die Stadt in ihren Haͤuſern zerſtreut,
und hakten ſich beſonders gerne in den Gaͤrten
der Vorſtaͤdte auf. Die Lehrer haben vier,
ſechs bis ſieben Schuͤler, und die beruͤhmteſten
zwoͤlf bis funfzehn, welche zehn oder zwoͤlf
Jahro bey ihnen zubringen. Denn ſie ſind
uͤberaus traͤge und faul, und zudem werden ſie
durch keine Hoffnung einer guten Befoͤrderung
zu den Wiſſenſchaften aufgemuntert.

Ihr erſtes Studium heißt Hanſkrit, d. i.
eine reine Sprache, die von der gemeinen in-
dianiſchen ganz abgeht, und nur den Lehrern
bekannt iſt. Weil ihre heiligen Buͤcher, die
von ſehr hohem Alter ſind, in dieſer Sprache
geſchrieben worden; ſo nennen ſie ſelbige heilig
und goͤttlich. Wenn ſie dieſe Sprache, die ſehr
ſchwer iſt, gelernt haben, ſo legen ſie ſich ordent-
licherweiſe auf die Leſung des Puran, welches

die
C c 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0431" n="405"/>
Kurz, die Braminen &#x017F;ollen die&#x017F;e Dunkelheit &#x017F;o<lb/>
weit treiben, daß &#x017F;ie &#x017F;ich nicht nur vor dem Volke<lb/>
unbekannter Kun&#x017F;two&#x0364;rter bedienen, &#x017F;ondern<lb/>
auch die bekannte&#x017F;ten Dinge in eine geheimniß-<lb/>
volle Sprache eingehu&#x0364;llt haben. Die Stadt<lb/><hi rendition="#fr">Bernares,</hi> welche in Bengalen am Flu&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Ganges liegt, i&#x017F;t die allgemeine Schule, und<lb/>
gleich&#x017F;am das Athen fu&#x0364;r den indi&#x017F;chen Adel.<lb/>
Hieher kommen auch die Braminen und Mo&#x0364;n-<lb/>
che, welche &#x017F;ich den Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften widmen.<lb/>
Sie &#x017F;ind nicht in Collegia und Kla&#x017F;&#x017F;en vertheilt,<lb/>
wie in Europa, &#x017F;ondern die Lehrer &#x017F;ind &#x2014;<lb/>
mehr nach der Schule der alten Griechen &#x2014;<lb/>
durch die Stadt in ihren Ha&#x0364;u&#x017F;ern zer&#x017F;treut,<lb/>
und hakten &#x017F;ich be&#x017F;onders gerne in den Ga&#x0364;rten<lb/>
der Vor&#x017F;ta&#x0364;dte auf. Die Lehrer haben vier,<lb/>
&#x017F;echs bis &#x017F;ieben Schu&#x0364;ler, und die beru&#x0364;hmte&#x017F;ten<lb/>
zwo&#x0364;lf bis funfzehn, welche zehn oder zwo&#x0364;lf<lb/>
Jahro bey ihnen zubringen. Denn &#x017F;ie &#x017F;ind<lb/>
u&#x0364;beraus tra&#x0364;ge und faul, und zudem werden &#x017F;ie<lb/>
durch keine Hoffnung einer guten Befo&#x0364;rderung<lb/>
zu den Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften aufgemuntert.</p><lb/>
          <p>Ihr er&#x017F;tes Studium heißt <hi rendition="#fr">Han&#x017F;krit, d. i.</hi><lb/>
eine <hi rendition="#fr">reine Sprache,</hi> die von der gemeinen in-<lb/>
diani&#x017F;chen ganz abgeht, und nur den Lehrern<lb/>
bekannt i&#x017F;t. Weil ihre heiligen Bu&#x0364;cher, die<lb/>
von &#x017F;ehr hohem Alter &#x017F;ind, in die&#x017F;er Sprache<lb/>
ge&#x017F;chrieben worden; &#x017F;o nennen &#x017F;ie &#x017F;elbige heilig<lb/>
und go&#x0364;ttlich. Wenn &#x017F;ie die&#x017F;e Sprache, die &#x017F;ehr<lb/>
&#x017F;chwer i&#x017F;t, gelernt haben, &#x017F;o legen &#x017F;ie &#x017F;ich ordent-<lb/>
licherwei&#x017F;e auf die Le&#x017F;ung des Puran, welches<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C c 3</fw><fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[405/0431] Kurz, die Braminen ſollen dieſe Dunkelheit ſo weit treiben, daß ſie ſich nicht nur vor dem Volke unbekannter Kunſtwoͤrter bedienen, ſondern auch die bekannteſten Dinge in eine geheimniß- volle Sprache eingehuͤllt haben. Die Stadt Bernares, welche in Bengalen am Fluſſe Ganges liegt, iſt die allgemeine Schule, und gleichſam das Athen fuͤr den indiſchen Adel. Hieher kommen auch die Braminen und Moͤn- che, welche ſich den Wiſſenſchaften widmen. Sie ſind nicht in Collegia und Klaſſen vertheilt, wie in Europa, ſondern die Lehrer ſind — mehr nach der Schule der alten Griechen — durch die Stadt in ihren Haͤuſern zerſtreut, und hakten ſich beſonders gerne in den Gaͤrten der Vorſtaͤdte auf. Die Lehrer haben vier, ſechs bis ſieben Schuͤler, und die beruͤhmteſten zwoͤlf bis funfzehn, welche zehn oder zwoͤlf Jahro bey ihnen zubringen. Denn ſie ſind uͤberaus traͤge und faul, und zudem werden ſie durch keine Hoffnung einer guten Befoͤrderung zu den Wiſſenſchaften aufgemuntert. Ihr erſtes Studium heißt Hanſkrit, d. i. eine reine Sprache, die von der gemeinen in- dianiſchen ganz abgeht, und nur den Lehrern bekannt iſt. Weil ihre heiligen Buͤcher, die von ſehr hohem Alter ſind, in dieſer Sprache geſchrieben worden; ſo nennen ſie ſelbige heilig und goͤttlich. Wenn ſie dieſe Sprache, die ſehr ſchwer iſt, gelernt haben, ſo legen ſie ſich ordent- licherweiſe auf die Leſung des Puran, welches die C c 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/431
Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/431>, abgerufen am 25.11.2024.