Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

über alle Hofweiber und Verschnittene, als die
Beherrscherinn anzusehen. Sie entscheidet auch
die Streitigkeiten, läßt die Unbändigen bestra-
fen, damit Ruhe und Friede erhalten werde.
Indessen weiß doch der König diejenigen Wei-
ber, die er besonders achtet, vor der Eifersucht
der Königinn in Sicherheit zu bringen. --

Die Landesgewohnheit erlaubt den Töchtern
keinen Umgang mit den Junggesellen. Sie
werden von der Mutter fleißig gehütet, und
wegen der geringsten Freyheit scharf bestraft.
Allein die Natur, welche mehr Gewalt hat, als
alle Gesetze, treibt sie nicht selten dazu, dann
und wann, insonderheit des Abends, einen un-
vermerkten Ausgang zu wagen. -- Sie wer-
den zum Ehestande zeitig reif, und deswegen
verheyrathet man sie auch schon im eilften oder
zwölften Jahre. Es giebt zwar siamische
Jungfern, welche sich Zeitlebens nicht verheyra-
then wollen, es wählt aber doch keine das Klo-
sterleben eher bis sie schon alt ist.

Die Eltern eines jungen Menschen halten,
vermittelst betagter Frauen, bey den Eltern der
Jungfer um sie an. Fällt gleich die Antwort
geneigt aus, so hinderts doch nicht, die Jung-
fer um ihre Neigung zu fragen. Allein, die
Eltern laßen sich die Geburtszeit des Freyers
sagen, und zeigen dagegen gleichfalls die Zeit
an, wenn ihre Tochter gebohren ist. Beyde
Theile laufen alsdann zum Wahrsager, und
vernehmen, ob die Ehe bis an den Tod ohne

Schei-

uͤber alle Hofweiber und Verſchnittene, als die
Beherrſcherinn anzuſehen. Sie entſcheidet auch
die Streitigkeiten, laͤßt die Unbaͤndigen beſtra-
fen, damit Ruhe und Friede erhalten werde.
Indeſſen weiß doch der Koͤnig diejenigen Wei-
ber, die er beſonders achtet, vor der Eiferſucht
der Koͤniginn in Sicherheit zu bringen. —

Die Landesgewohnheit erlaubt den Toͤchtern
keinen Umgang mit den Junggeſellen. Sie
werden von der Mutter fleißig gehuͤtet, und
wegen der geringſten Freyheit ſcharf beſtraft.
Allein die Natur, welche mehr Gewalt hat, als
alle Geſetze, treibt ſie nicht ſelten dazu, dann
und wann, inſonderheit des Abends, einen un-
vermerkten Ausgang zu wagen. — Sie wer-
den zum Eheſtande zeitig reif, und deswegen
verheyrathet man ſie auch ſchon im eilften oder
zwoͤlften Jahre. Es giebt zwar ſiamiſche
Jungfern, welche ſich Zeitlebens nicht verheyra-
then wollen, es waͤhlt aber doch keine das Klo-
ſterleben eher bis ſie ſchon alt iſt.

Die Eltern eines jungen Menſchen halten,
vermittelſt betagter Frauen, bey den Eltern der
Jungfer um ſie an. Faͤllt gleich die Antwort
geneigt aus, ſo hinderts doch nicht, die Jung-
fer um ihre Neigung zu fragen. Allein, die
Eltern laßen ſich die Geburtszeit des Freyers
ſagen, und zeigen dagegen gleichfalls die Zeit
an, wenn ihre Tochter gebohren iſt. Beyde
Theile laufen alsdann zum Wahrſager, und
vernehmen, ob die Ehe bis an den Tod ohne

Schei-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0324" n="298"/>
u&#x0364;ber alle Hofweiber und Ver&#x017F;chnittene, als die<lb/>
Beherr&#x017F;cherinn anzu&#x017F;ehen. Sie ent&#x017F;cheidet auch<lb/>
die Streitigkeiten, la&#x0364;ßt die Unba&#x0364;ndigen be&#x017F;tra-<lb/>
fen, damit Ruhe und Friede erhalten werde.<lb/>
Inde&#x017F;&#x017F;en weiß doch der Ko&#x0364;nig diejenigen Wei-<lb/>
ber, die er be&#x017F;onders achtet, vor der Eifer&#x017F;ucht<lb/>
der Ko&#x0364;niginn in Sicherheit zu bringen. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Die Landesgewohnheit erlaubt den To&#x0364;chtern<lb/>
keinen Umgang mit den Jungge&#x017F;ellen. Sie<lb/>
werden von der Mutter fleißig gehu&#x0364;tet, und<lb/>
wegen der gering&#x017F;ten Freyheit &#x017F;charf be&#x017F;traft.<lb/>
Allein die Natur, welche mehr Gewalt hat, als<lb/>
alle Ge&#x017F;etze, treibt &#x017F;ie nicht &#x017F;elten dazu, dann<lb/>
und wann, in&#x017F;onderheit des Abends, einen un-<lb/>
vermerkten Ausgang zu wagen. &#x2014; Sie wer-<lb/>
den zum Ehe&#x017F;tande zeitig reif, und deswegen<lb/>
verheyrathet man &#x017F;ie auch &#x017F;chon im eilften oder<lb/>
zwo&#x0364;lften Jahre. Es giebt zwar &#x017F;iami&#x017F;che<lb/>
Jungfern, welche &#x017F;ich Zeitlebens nicht verheyra-<lb/>
then wollen, es wa&#x0364;hlt aber doch keine das Klo-<lb/>
&#x017F;terleben eher bis &#x017F;ie &#x017F;chon alt i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Die Eltern eines jungen Men&#x017F;chen halten,<lb/>
vermittel&#x017F;t betagter Frauen, bey den Eltern der<lb/>
Jungfer um &#x017F;ie an. Fa&#x0364;llt gleich die Antwort<lb/>
geneigt aus, &#x017F;o hinderts doch nicht, die Jung-<lb/>
fer um ihre Neigung zu fragen. Allein, die<lb/>
Eltern laßen &#x017F;ich die Geburtszeit des Freyers<lb/>
&#x017F;agen, und zeigen dagegen gleichfalls die Zeit<lb/>
an, wenn ihre Tochter gebohren i&#x017F;t. Beyde<lb/>
Theile laufen alsdann zum Wahr&#x017F;ager, und<lb/>
vernehmen, ob die Ehe bis an den Tod ohne<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Schei-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[298/0324] uͤber alle Hofweiber und Verſchnittene, als die Beherrſcherinn anzuſehen. Sie entſcheidet auch die Streitigkeiten, laͤßt die Unbaͤndigen beſtra- fen, damit Ruhe und Friede erhalten werde. Indeſſen weiß doch der Koͤnig diejenigen Wei- ber, die er beſonders achtet, vor der Eiferſucht der Koͤniginn in Sicherheit zu bringen. — Die Landesgewohnheit erlaubt den Toͤchtern keinen Umgang mit den Junggeſellen. Sie werden von der Mutter fleißig gehuͤtet, und wegen der geringſten Freyheit ſcharf beſtraft. Allein die Natur, welche mehr Gewalt hat, als alle Geſetze, treibt ſie nicht ſelten dazu, dann und wann, inſonderheit des Abends, einen un- vermerkten Ausgang zu wagen. — Sie wer- den zum Eheſtande zeitig reif, und deswegen verheyrathet man ſie auch ſchon im eilften oder zwoͤlften Jahre. Es giebt zwar ſiamiſche Jungfern, welche ſich Zeitlebens nicht verheyra- then wollen, es waͤhlt aber doch keine das Klo- ſterleben eher bis ſie ſchon alt iſt. Die Eltern eines jungen Menſchen halten, vermittelſt betagter Frauen, bey den Eltern der Jungfer um ſie an. Faͤllt gleich die Antwort geneigt aus, ſo hinderts doch nicht, die Jung- fer um ihre Neigung zu fragen. Allein, die Eltern laßen ſich die Geburtszeit des Freyers ſagen, und zeigen dagegen gleichfalls die Zeit an, wenn ihre Tochter gebohren iſt. Beyde Theile laufen alsdann zum Wahrſager, und vernehmen, ob die Ehe bis an den Tod ohne Schei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/324
Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/324>, abgerufen am 16.06.2024.