Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

Haare aus, und werfen sich von Zeit zu Zeit
auf die Erde, als ob sie vor Schmerzen ohn-
mächtig würden. Sie nehmen Hände voll Er-
de oder Sand, werfen sichs auf den Kopf oder
in das Gesicht, laufen, stehen stille, und ma-
chen unzählige Gebährden, um die Heftigkeit
ihrer Betrübniß auszudrücken. Unmittelbar
nach dem Leichenbegängniß, theilen die Erben
die Verlassenschaft zu gleichen Theilen, oder sie
vergleichen sich, entweder vermöge eines Macht-
spruchs des Emirs, oder auf Rath ihrer ge-
meinschaftlichen guten Freunde, denn selten,
wie vorhin bewiesen ist, fangen sie einen Pro-
ceß an. Ueberdieß wollen die Erbschaften bey
ihnen nicht viel sagen: die Eigenschaft ihres
Vermögens, das in nichts als in Zelten, Haus-
rath und Vieh besteht, giebt keinen Anlaß zu
großen Streitigkeiten.

Man hat übrigens den Bedouinen zu allen
Zeiten einen unersättlichen Geiz und einen un-
überwindlichen Hang zu Raubereyen vorgewor-
fen. Das ist nun freylich richtig; aber daß
sie doch so grausam verfahren und wüthen sol-
len, wie einige Reisebeschreiber vorgeben, ist
eine Unwahrheit, und kann durch keinen zu-
verläßigen Scribenten bewiesen werden. Uebri-
gens versichert man, daß sie sehr höflich und
großmüthig gegen Fremde sind, welche sie um
ihre Gastfreyheit ansprechen, und sich mit Zu-
trauen ihnen überlassen. Ihre Gewohnheit ist,

die
S 2

Haare aus, und werfen ſich von Zeit zu Zeit
auf die Erde, als ob ſie vor Schmerzen ohn-
maͤchtig wuͤrden. Sie nehmen Haͤnde voll Er-
de oder Sand, werfen ſichs auf den Kopf oder
in das Geſicht, laufen, ſtehen ſtille, und ma-
chen unzaͤhlige Gebaͤhrden, um die Heftigkeit
ihrer Betruͤbniß auszudruͤcken. Unmittelbar
nach dem Leichenbegaͤngniß, theilen die Erben
die Verlaſſenſchaft zu gleichen Theilen, oder ſie
vergleichen ſich, entweder vermoͤge eines Macht-
ſpruchs des Emirs, oder auf Rath ihrer ge-
meinſchaftlichen guten Freunde, denn ſelten,
wie vorhin bewieſen iſt, fangen ſie einen Pro-
ceß an. Ueberdieß wollen die Erbſchaften bey
ihnen nicht viel ſagen: die Eigenſchaft ihres
Vermoͤgens, das in nichts als in Zelten, Haus-
rath und Vieh beſteht, giebt keinen Anlaß zu
großen Streitigkeiten.

Man hat uͤbrigens den Bedouinen zu allen
Zeiten einen unerſaͤttlichen Geiz und einen un-
uͤberwindlichen Hang zu Raubereyen vorgewor-
fen. Das iſt nun freylich richtig; aber daß
ſie doch ſo grauſam verfahren und wuͤthen ſol-
len, wie einige Reiſebeſchreiber vorgeben, iſt
eine Unwahrheit, und kann durch keinen zu-
verlaͤßigen Scribenten bewieſen werden. Uebri-
gens verſichert man, daß ſie ſehr hoͤflich und
großmuͤthig gegen Fremde ſind, welche ſie um
ihre Gaſtfreyheit anſprechen, und ſich mit Zu-
trauen ihnen uͤberlaſſen. Ihre Gewohnheit iſt,

die
S 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0301" n="275"/>
Haare aus, und werfen &#x017F;ich von Zeit zu Zeit<lb/>
auf die Erde, als ob &#x017F;ie vor Schmerzen ohn-<lb/>
ma&#x0364;chtig wu&#x0364;rden. Sie nehmen Ha&#x0364;nde voll Er-<lb/>
de oder Sand, werfen &#x017F;ichs auf den Kopf oder<lb/>
in das Ge&#x017F;icht, laufen, &#x017F;tehen &#x017F;tille, und ma-<lb/>
chen unza&#x0364;hlige Geba&#x0364;hrden, um die Heftigkeit<lb/>
ihrer Betru&#x0364;bniß auszudru&#x0364;cken. Unmittelbar<lb/>
nach dem Leichenbega&#x0364;ngniß, theilen die Erben<lb/>
die Verla&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft zu gleichen Theilen, oder &#x017F;ie<lb/>
vergleichen &#x017F;ich, entweder vermo&#x0364;ge eines Macht-<lb/>
&#x017F;pruchs des Emirs, oder auf Rath ihrer ge-<lb/>
mein&#x017F;chaftlichen guten Freunde, denn &#x017F;elten,<lb/>
wie vorhin bewie&#x017F;en i&#x017F;t, fangen &#x017F;ie einen Pro-<lb/>
ceß an. Ueberdieß wollen die Erb&#x017F;chaften bey<lb/>
ihnen nicht viel &#x017F;agen: die Eigen&#x017F;chaft ihres<lb/>
Vermo&#x0364;gens, das in nichts als in Zelten, Haus-<lb/>
rath und Vieh be&#x017F;teht, giebt keinen Anlaß zu<lb/>
großen Streitigkeiten.</p><lb/>
          <p>Man hat u&#x0364;brigens den Bedouinen zu allen<lb/>
Zeiten einen uner&#x017F;a&#x0364;ttlichen Geiz und einen un-<lb/>
u&#x0364;berwindlichen Hang zu Raubereyen vorgewor-<lb/>
fen. Das i&#x017F;t nun freylich richtig; aber daß<lb/>
&#x017F;ie doch &#x017F;o grau&#x017F;am verfahren und wu&#x0364;then &#x017F;ol-<lb/>
len, wie einige Rei&#x017F;ebe&#x017F;chreiber vorgeben, i&#x017F;t<lb/>
eine Unwahrheit, und kann durch keinen zu-<lb/>
verla&#x0364;ßigen Scribenten bewie&#x017F;en werden. Uebri-<lb/>
gens ver&#x017F;ichert man, daß &#x017F;ie &#x017F;ehr ho&#x0364;flich und<lb/>
großmu&#x0364;thig gegen Fremde &#x017F;ind, welche &#x017F;ie um<lb/>
ihre Ga&#x017F;tfreyheit an&#x017F;prechen, und &#x017F;ich mit Zu-<lb/>
trauen ihnen u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en. Ihre Gewohnheit i&#x017F;t,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 2</fw><fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0301] Haare aus, und werfen ſich von Zeit zu Zeit auf die Erde, als ob ſie vor Schmerzen ohn- maͤchtig wuͤrden. Sie nehmen Haͤnde voll Er- de oder Sand, werfen ſichs auf den Kopf oder in das Geſicht, laufen, ſtehen ſtille, und ma- chen unzaͤhlige Gebaͤhrden, um die Heftigkeit ihrer Betruͤbniß auszudruͤcken. Unmittelbar nach dem Leichenbegaͤngniß, theilen die Erben die Verlaſſenſchaft zu gleichen Theilen, oder ſie vergleichen ſich, entweder vermoͤge eines Macht- ſpruchs des Emirs, oder auf Rath ihrer ge- meinſchaftlichen guten Freunde, denn ſelten, wie vorhin bewieſen iſt, fangen ſie einen Pro- ceß an. Ueberdieß wollen die Erbſchaften bey ihnen nicht viel ſagen: die Eigenſchaft ihres Vermoͤgens, das in nichts als in Zelten, Haus- rath und Vieh beſteht, giebt keinen Anlaß zu großen Streitigkeiten. Man hat uͤbrigens den Bedouinen zu allen Zeiten einen unerſaͤttlichen Geiz und einen un- uͤberwindlichen Hang zu Raubereyen vorgewor- fen. Das iſt nun freylich richtig; aber daß ſie doch ſo grauſam verfahren und wuͤthen ſol- len, wie einige Reiſebeſchreiber vorgeben, iſt eine Unwahrheit, und kann durch keinen zu- verlaͤßigen Scribenten bewieſen werden. Uebri- gens verſichert man, daß ſie ſehr hoͤflich und großmuͤthig gegen Fremde ſind, welche ſie um ihre Gaſtfreyheit anſprechen, und ſich mit Zu- trauen ihnen uͤberlaſſen. Ihre Gewohnheit iſt, die S 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/301
Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/301>, abgerufen am 25.11.2024.