in den Stutereyen und dem Heerden Vieh. Die meisten von ihnen handeln mit den Kar- wanen, die durch ihr Gebiet ziehen, an wel- che sie ihre Pferde (die den grösten Theil ihres Handels ausmachen) und Vieh -- welches aus Ziegen und Schafen besteht, denn das Land bringt fast nichts als Tamarin- den und Heidekraut hervor -- gegen Lein- wand, Tuch, Kaffe, Reis und andre Bedürf- nisse, vertauschen. Diesen Handel treiben nicht nur die Schechs, sondern auch ihre Un- terthanen.
Die Bedouinen haben bey ihren Streitig- keiten und peinlichen Klagen, weder Advo- katen noch Gerichtsschreiber, ja nicht einmal Gerichtsdiener, welche, wie bey den Türken, die streitenden Partheyen vor Gericht fodern. Zuweilen wählen sie zu ihrem Richter den er- fahrensten Bedouinen im Lager. Der Emir entscheidet alle Rechtssachen, auf die Aussage der Zeugen und der Partheyen, jedesmal mit lauter Stimme, und ohne etwas nieder zu- schreiben. Sein Ausspruch wird in dem Au- genblick vollzogen, ohne daß jemand etwas dawieder einwenden könnte. Der Schech ent- scheidet, wenn der Emir nicht gegenwärtig ist; aber seine Entscheidung ist nicht unwiderruf- lich. -- Die Bedouinen erscheinen so selten als möglich vor dem Emir oder dem Schech; sie beklagen sich lieber bey ihres Gleichen, in- sonderheit bey denen, die sie als die uneigen-
nützigsten
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in den Stutereyen und dem Heerden Vieh. Die meiſten von ihnen handeln mit den Kar- wanen, die durch ihr Gebiet ziehen, an wel- che ſie ihre Pferde (die den groͤſten Theil ihres Handels ausmachen) und Vieh — welches aus Ziegen und Schafen beſteht, denn das Land bringt faſt nichts als Tamarin- den und Heidekraut hervor — gegen Lein- wand, Tuch, Kaffe, Reis und andre Beduͤrf- niſſe, vertauſchen. Dieſen Handel treiben nicht nur die Schechs, ſondern auch ihre Un- terthanen.
Die Bedouinen haben bey ihren Streitig- keiten und peinlichen Klagen, weder Advo- katen noch Gerichtsſchreiber, ja nicht einmal Gerichtsdiener, welche, wie bey den Tuͤrken, die ſtreitenden Partheyen vor Gericht fodern. Zuweilen waͤhlen ſie zu ihrem Richter den er- fahrenſten Bedouinen im Lager. Der Emir entſcheidet alle Rechtsſachen, auf die Ausſage der Zeugen und der Partheyen, jedesmal mit lauter Stimme, und ohne etwas nieder zu- ſchreiben. Sein Ausſpruch wird in dem Au- genblick vollzogen, ohne daß jemand etwas dawieder einwenden koͤnnte. Der Schech ent- ſcheidet, wenn der Emir nicht gegenwaͤrtig iſt; aber ſeine Entſcheidung iſt nicht unwiderruf- lich. — Die Bedouinen erſcheinen ſo ſelten als moͤglich vor dem Emir oder dem Schech; ſie beklagen ſich lieber bey ihres Gleichen, in- ſonderheit bey denen, die ſie als die uneigen-
nuͤtzigſten
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in den Stutereyen und dem Heerden Vieh.
Die meiſten von ihnen handeln mit den Kar-
wanen, die durch ihr Gebiet ziehen, an wel-
che ſie ihre Pferde (die den groͤſten Theil
ihres Handels ausmachen) und Vieh —
welches aus Ziegen und Schafen beſteht,
denn das Land bringt faſt nichts als Tamarin-
den und Heidekraut hervor — gegen Lein-
wand, Tuch, Kaffe, Reis und andre Beduͤrf-
niſſe, vertauſchen. Dieſen Handel treiben
nicht nur die Schechs, ſondern auch ihre Un-
terthanen.
Die Bedouinen haben bey ihren Streitig-
keiten und peinlichen Klagen, weder Advo-
katen noch Gerichtsſchreiber, ja nicht einmal
Gerichtsdiener, welche, wie bey den Tuͤrken,
die ſtreitenden Partheyen vor Gericht fodern.
Zuweilen waͤhlen ſie zu ihrem Richter den er-
fahrenſten Bedouinen im Lager. Der Emir
entſcheidet alle Rechtsſachen, auf die Ausſage
der Zeugen und der Partheyen, jedesmal mit
lauter Stimme, und ohne etwas nieder zu-
ſchreiben. Sein Ausſpruch wird in dem Au-
genblick vollzogen, ohne daß jemand etwas
dawieder einwenden koͤnnte. Der Schech ent-
ſcheidet, wenn der Emir nicht gegenwaͤrtig iſt;
aber ſeine Entſcheidung iſt nicht unwiderruf-
lich. — Die Bedouinen erſcheinen ſo ſelten
als moͤglich vor dem Emir oder dem Schech;
ſie beklagen ſich lieber bey ihres Gleichen, in-
ſonderheit bey denen, die ſie als die uneigen-
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/285>, abgerufen am 22.11.2024.
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