nem Schech auf die Knie, und hielt ein langes Gebet, in welchem er seinen Meister um Hülfe anzurufen schien. Als er ihm hierauf die Hand geküßt, und sie auf seinen Kopf gelegt hatte, so sprang er auf, warf seinen Turban von sich, und ließ seine langen Haare los und herunter hangen. Er machte allerhand wunderliche Sprünge, als wenn er begeistert, oder vielmehr närrisch wäre. Bisweilen stand er stille, und bedeutete dem Musikanten, welche Lieder, oder welche Töne seine Begeisterung befördern könn- ten. Endlich ergrif er zehn bis zwölf Stück von den erwähnten langen und dünnen Eisen, und lief damit auf dem ganzen Platze herum. --
Wenn man aus diesen Ceremonien der Mön- che des Ordens Bedr eddein, welche bey allen vernünftigen Leuten verhaßt sind, auf den Got- tesdienst aller Mohammedaner schließen wollte; so würde man sich sehr betrügen. Indessen hat man wohl nur gar zu oft aus nicht viel bessern Gründen die Religion der fremden Nationen beurtheilt.
Die Wissenschaft Kurra ist vermuthlich ein Theil der Simia. Jene ist die Kunst, Zet- tels zu schreiben, welche für böse Augen und unzählige andre Fälle nützlich seyn sollen. Man trägt diese Zettel in Leder geneht, auf der Mütze oder auf den Armen, oder auf der Brust; ja, man macht den schönen Pferden, Maulthieren und Eseln davon ganze Schnüre um den Hals, wovon das eine verhüten soll, daß das Thier
sich
nem Schech auf die Knie, und hielt ein langes Gebet, in welchem er ſeinen Meiſter um Huͤlfe anzurufen ſchien. Als er ihm hierauf die Hand gekuͤßt, und ſie auf ſeinen Kopf gelegt hatte, ſo ſprang er auf, warf ſeinen Turban von ſich, und ließ ſeine langen Haare los und herunter hangen. Er machte allerhand wunderliche Spruͤnge, als wenn er begeiſtert, oder vielmehr naͤrriſch waͤre. Bisweilen ſtand er ſtille, und bedeutete dem Muſikanten, welche Lieder, oder welche Toͤne ſeine Begeiſterung befoͤrdern koͤnn- ten. Endlich ergrif er zehn bis zwoͤlf Stuͤck von den erwaͤhnten langen und duͤnnen Eiſen, und lief damit auf dem ganzen Platze herum. —
Wenn man aus dieſen Ceremonien der Moͤn- che des Ordens Bedr eddîn, welche bey allen vernuͤnftigen Leuten verhaßt ſind, auf den Got- tesdienſt aller Mohammedaner ſchließen wollte; ſo wuͤrde man ſich ſehr betruͤgen. Indeſſen hat man wohl nur gar zu oft aus nicht viel beſſern Gruͤnden die Religion der fremden Nationen beurtheilt.
Die Wiſſenſchaft Kurra iſt vermuthlich ein Theil der Simia. Jene iſt die Kunſt, Zet- tels zu ſchreiben, welche fuͤr boͤſe Augen und unzaͤhlige andre Faͤlle nuͤtzlich ſeyn ſollen. Man traͤgt dieſe Zettel in Leder geneht, auf der Muͤtze oder auf den Armen, oder auf der Bruſt; ja, man macht den ſchoͤnen Pferden, Maulthieren und Eſeln davon ganze Schnuͤre um den Hals, wovon das eine verhuͤten ſoll, daß das Thier
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nem Schech auf die Knie, und hielt ein langes
Gebet, in welchem er ſeinen Meiſter um Huͤlfe
anzurufen ſchien. Als er ihm hierauf die Hand
gekuͤßt, und ſie auf ſeinen Kopf gelegt hatte, ſo
ſprang er auf, warf ſeinen Turban von ſich,
und ließ ſeine langen Haare los und herunter
hangen. Er machte allerhand wunderliche
Spruͤnge, als wenn er begeiſtert, oder vielmehr
naͤrriſch waͤre. Bisweilen ſtand er ſtille, und
bedeutete dem Muſikanten, welche Lieder, oder
welche Toͤne ſeine Begeiſterung befoͤrdern koͤnn-
ten. Endlich ergrif er zehn bis zwoͤlf Stuͤck
von den erwaͤhnten langen und duͤnnen Eiſen,
und lief damit auf dem ganzen Platze herum. —
Wenn man aus dieſen Ceremonien der Moͤn-
che des Ordens Bedr eddîn, welche bey allen
vernuͤnftigen Leuten verhaßt ſind, auf den Got-
tesdienſt aller Mohammedaner ſchließen wollte;
ſo wuͤrde man ſich ſehr betruͤgen. Indeſſen hat
man wohl nur gar zu oft aus nicht viel beſſern
Gruͤnden die Religion der fremden Nationen
beurtheilt.
Die Wiſſenſchaft Kurra iſt vermuthlich
ein Theil der Simia. Jene iſt die Kunſt, Zet-
tels zu ſchreiben, welche fuͤr boͤſe Augen und
unzaͤhlige andre Faͤlle nuͤtzlich ſeyn ſollen. Man
traͤgt dieſe Zettel in Leder geneht, auf der Muͤtze
oder auf den Armen, oder auf der Bruſt; ja,
man macht den ſchoͤnen Pferden, Maulthieren
und Eſeln davon ganze Schnuͤre um den Hals,
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[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 2. Breslau, 1777, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik02_1777/274>, abgerufen am 25.11.2024.
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