Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

Eigenheiten, nie von einem Ausländer fertig kön-
ne gelernt werden.

Eben dieses Bewandniß hat es auch mit
ihrer Art zu schreiben. Die ganze Schwierig-
keit bey ihrer Schreibart besteht bloß darinne,
daß die Chineser nicht, wie alle Nationen, mit
Buchstaben, sondern durch Charaktere, wo-
durch oft ein ganzes Wort ausgedruckt wird,
zu schreiben pflegen. Vielleicht trägt die Schwie-
rigkeit in Ansehung des Schreibens sehr vieles
dazu bey, daß es mit den Wissenschaften unter
ihnen nicht fort will, indem sie auf das Lesen
und Schreiben ihrer eigenen Sprache zu viel
Zeit verwenden müssen. In den ältesten Zei-
ten fiel diese Schwierigkeit weg, weil sie sich
hieroglyphischer Zeichen bedienten, welche mehr
gemalt als geschrieben waren. So bezeichne-
te damals z. B. eine krumme Linie einen Fluß:
ein Viereck, ein Haus: ein runder Zirkel, die
Sonne: ein halber Zirkel, den Mond u. s. w.
Sobald aber ihre Ideen sich vervielfachten,
und sich über Gegenstände erstreckten, die nicht
konnten betastet werden; so mußten sie gewisse
Charaktere unter sich einführen, wodurch ihre
Begriffe konnten bezeichnet werden. Diese Cha-
raktere haben sich in der Folge der Zeit so ver-
mehrt, daß einige Gelehrten eine Anzahl von
80000 solcher Charakteren angeben. Wer von
dieser Anzahl 20000 kennt, wird schon für ei-
nen großen Gelehrten gehalten, weil er durch
seine Sprachkenntniß im Stande ist, viele Bü-

cher

Eigenheiten, nie von einem Auslaͤnder fertig koͤn-
ne gelernt werden.

Eben dieſes Bewandniß hat es auch mit
ihrer Art zu ſchreiben. Die ganze Schwierig-
keit bey ihrer Schreibart beſteht bloß darinne,
daß die Chineſer nicht, wie alle Nationen, mit
Buchſtaben, ſondern durch Charaktere, wo-
durch oft ein ganzes Wort ausgedruckt wird,
zu ſchreiben pflegen. Vielleicht traͤgt die Schwie-
rigkeit in Anſehung des Schreibens ſehr vieles
dazu bey, daß es mit den Wiſſenſchaften unter
ihnen nicht fort will, indem ſie auf das Leſen
und Schreiben ihrer eigenen Sprache zu viel
Zeit verwenden muͤſſen. In den aͤlteſten Zei-
ten fiel dieſe Schwierigkeit weg, weil ſie ſich
hieroglyphiſcher Zeichen bedienten, welche mehr
gemalt als geſchrieben waren. So bezeichne-
te damals z. B. eine krumme Linie einen Fluß:
ein Viereck, ein Haus: ein runder Zirkel, die
Sonne: ein halber Zirkel, den Mond u. ſ. w.
Sobald aber ihre Ideen ſich vervielfachten,
und ſich uͤber Gegenſtaͤnde erſtreckten, die nicht
konnten betaſtet werden; ſo mußten ſie gewiſſe
Charaktere unter ſich einfuͤhren, wodurch ihre
Begriffe konnten bezeichnet werden. Dieſe Cha-
raktere haben ſich in der Folge der Zeit ſo ver-
mehrt, daß einige Gelehrten eine Anzahl von
80000 ſolcher Charakteren angeben. Wer von
dieſer Anzahl 20000 kennt, wird ſchon fuͤr ei-
nen großen Gelehrten gehalten, weil er durch
ſeine Sprachkenntniß im Stande iſt, viele Buͤ-

cher
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0243" n="223"/>
Eigenheiten, nie von einem Ausla&#x0364;nder fertig ko&#x0364;n-<lb/>
ne gelernt werden.</p><lb/>
          <p>Eben die&#x017F;es Bewandniß hat es auch mit<lb/>
ihrer Art zu &#x017F;chreiben. Die ganze Schwierig-<lb/>
keit bey ihrer <hi rendition="#fr">Schreibart</hi> be&#x017F;teht bloß darinne,<lb/>
daß die Chine&#x017F;er nicht, wie alle Nationen, mit<lb/>
Buch&#x017F;taben, &#x017F;ondern durch Charaktere, wo-<lb/>
durch oft ein ganzes Wort ausgedruckt wird,<lb/>
zu &#x017F;chreiben pflegen. Vielleicht tra&#x0364;gt die Schwie-<lb/>
rigkeit in An&#x017F;ehung des Schreibens &#x017F;ehr vieles<lb/>
dazu bey, daß es mit den Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften unter<lb/>
ihnen nicht fort will, indem &#x017F;ie auf das Le&#x017F;en<lb/>
und Schreiben ihrer eigenen Sprache zu viel<lb/>
Zeit verwenden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. In den a&#x0364;lte&#x017F;ten Zei-<lb/>
ten fiel die&#x017F;e Schwierigkeit weg, weil &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
hieroglyphi&#x017F;cher Zeichen bedienten, welche mehr<lb/>
gemalt als ge&#x017F;chrieben waren. So bezeichne-<lb/>
te damals z. B. eine krumme Linie einen Fluß:<lb/>
ein Viereck, ein Haus: ein runder Zirkel, die<lb/>
Sonne: ein halber Zirkel, den Mond u. &#x017F;. w.<lb/>
Sobald aber ihre Ideen &#x017F;ich vervielfachten,<lb/>
und &#x017F;ich u&#x0364;ber Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde er&#x017F;treckten, die nicht<lb/>
konnten beta&#x017F;tet werden; &#x017F;o mußten &#x017F;ie gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Charaktere unter &#x017F;ich einfu&#x0364;hren, wodurch ihre<lb/>
Begriffe konnten bezeichnet werden. Die&#x017F;e Cha-<lb/>
raktere haben &#x017F;ich in der Folge der Zeit &#x017F;o ver-<lb/>
mehrt, daß einige Gelehrten eine Anzahl von<lb/>
80000 &#x017F;olcher Charakteren angeben. Wer von<lb/>
die&#x017F;er Anzahl 20000 kennt, wird &#x017F;chon fu&#x0364;r ei-<lb/>
nen großen Gelehrten gehalten, weil er durch<lb/>
&#x017F;eine Sprachkenntniß im Stande i&#x017F;t, viele Bu&#x0364;-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">cher</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0243] Eigenheiten, nie von einem Auslaͤnder fertig koͤn- ne gelernt werden. Eben dieſes Bewandniß hat es auch mit ihrer Art zu ſchreiben. Die ganze Schwierig- keit bey ihrer Schreibart beſteht bloß darinne, daß die Chineſer nicht, wie alle Nationen, mit Buchſtaben, ſondern durch Charaktere, wo- durch oft ein ganzes Wort ausgedruckt wird, zu ſchreiben pflegen. Vielleicht traͤgt die Schwie- rigkeit in Anſehung des Schreibens ſehr vieles dazu bey, daß es mit den Wiſſenſchaften unter ihnen nicht fort will, indem ſie auf das Leſen und Schreiben ihrer eigenen Sprache zu viel Zeit verwenden muͤſſen. In den aͤlteſten Zei- ten fiel dieſe Schwierigkeit weg, weil ſie ſich hieroglyphiſcher Zeichen bedienten, welche mehr gemalt als geſchrieben waren. So bezeichne- te damals z. B. eine krumme Linie einen Fluß: ein Viereck, ein Haus: ein runder Zirkel, die Sonne: ein halber Zirkel, den Mond u. ſ. w. Sobald aber ihre Ideen ſich vervielfachten, und ſich uͤber Gegenſtaͤnde erſtreckten, die nicht konnten betaſtet werden; ſo mußten ſie gewiſſe Charaktere unter ſich einfuͤhren, wodurch ihre Begriffe konnten bezeichnet werden. Dieſe Cha- raktere haben ſich in der Folge der Zeit ſo ver- mehrt, daß einige Gelehrten eine Anzahl von 80000 ſolcher Charakteren angeben. Wer von dieſer Anzahl 20000 kennt, wird ſchon fuͤr ei- nen großen Gelehrten gehalten, weil er durch ſeine Sprachkenntniß im Stande iſt, viele Buͤ- cher

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/243
Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/243>, abgerufen am 21.11.2024.