Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

Dichtkunst mit der Europäer ihrer gar nicht
könne verglichen werden. Es fehlt ihren Ge-
dichten an kühnen Metaphern, erhabenen Ge-
danken und rührenden Gemählden. Man könn-
te sie vielleicht nicht ganz unschicklich für Son-
netten und Epigrammate halten, deren Schön-
heit hauptsächlich nur in ungleicher Länge der
Verse und Wahl der Wörter bestehet. --
Außer der gereimten Poesie, dichten sie auch
ohne Reime, die bloß in Antithesen der Ge-
danken bestehen, so, daß wenn sich der erste
Gedanke auf den Herbst bezieht, der andere auf
den Frühling anspielt. -- Ihre dramatischen
Aufsätze sind hauptsächlich darauf eingerichtet,
um die Tugend anzupreisen und das Laster ver-
ächtlich zu machen. Sonst haben ihre drama-
tischen Vorstellungen wenig Erhabenes und fast
gar nichts Heroisches. Wenn sie z. E. ihren
Zuhörern bey dramatischen Vorstellungen den
Charakter der Person bekannt machen; so
thun sie dieß nicht unvermerkt, sondern ein je-
der Acteur erzählt, so bald er aufs Theater
kommt, wer er ist, was er für ein Freund
oder Feind dieses oder jenes ist u. s. w. Du
Halde
hat im 2 Th. S. 140. u. f. hiervon ei-
ne umständliche Nachricht gegeben, wohin wir
den Leser, wenn er mehr zu wissen begehrt, ver-
weisen wollen.

Man muß es den Chinesern zum Ruhme
gestehen, daß sie sich um die Historie, sonder-
lich um die Geschichte ihres Vaterlandes, sehr

be-

Dichtkunſt mit der Europaͤer ihrer gar nicht
koͤnne verglichen werden. Es fehlt ihren Ge-
dichten an kuͤhnen Metaphern, erhabenen Ge-
danken und ruͤhrenden Gemaͤhlden. Man koͤnn-
te ſie vielleicht nicht ganz unſchicklich fuͤr Son-
netten und Epigrammate halten, deren Schoͤn-
heit hauptſaͤchlich nur in ungleicher Laͤnge der
Verſe und Wahl der Woͤrter beſtehet. —
Außer der gereimten Poeſie, dichten ſie auch
ohne Reime, die bloß in Antitheſen der Ge-
danken beſtehen, ſo, daß wenn ſich der erſte
Gedanke auf den Herbſt bezieht, der andere auf
den Fruͤhling anſpielt. — Ihre dramatiſchen
Aufſaͤtze ſind hauptſaͤchlich darauf eingerichtet,
um die Tugend anzupreiſen und das Laſter ver-
aͤchtlich zu machen. Sonſt haben ihre drama-
tiſchen Vorſtellungen wenig Erhabenes und faſt
gar nichts Heroiſches. Wenn ſie z. E. ihren
Zuhoͤrern bey dramatiſchen Vorſtellungen den
Charakter der Perſon bekannt machen; ſo
thun ſie dieß nicht unvermerkt, ſondern ein je-
der Acteur erzaͤhlt, ſo bald er aufs Theater
kommt, wer er iſt, was er fuͤr ein Freund
oder Feind dieſes oder jenes iſt u. ſ. w. Du
Halde
hat im 2 Th. S. 140. u. f. hiervon ei-
ne umſtaͤndliche Nachricht gegeben, wohin wir
den Leſer, wenn er mehr zu wiſſen begehrt, ver-
weiſen wollen.

Man muß es den Chineſern zum Ruhme
geſtehen, daß ſie ſich um die Hiſtorie, ſonder-
lich um die Geſchichte ihres Vaterlandes, ſehr

be-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0238" n="218"/>
Dichtkun&#x017F;t mit der Europa&#x0364;er ihrer gar nicht<lb/>
ko&#x0364;nne verglichen werden. Es fehlt ihren Ge-<lb/>
dichten an ku&#x0364;hnen Metaphern, erhabenen Ge-<lb/>
danken und ru&#x0364;hrenden Gema&#x0364;hlden. Man ko&#x0364;nn-<lb/>
te &#x017F;ie vielleicht nicht ganz un&#x017F;chicklich fu&#x0364;r Son-<lb/>
netten und Epigrammate halten, deren Scho&#x0364;n-<lb/>
heit haupt&#x017F;a&#x0364;chlich nur in ungleicher La&#x0364;nge der<lb/>
Ver&#x017F;e und Wahl der Wo&#x0364;rter be&#x017F;tehet. &#x2014;<lb/>
Außer der gereimten Poe&#x017F;ie, dichten &#x017F;ie auch<lb/>
ohne Reime, die bloß in Antithe&#x017F;en der Ge-<lb/>
danken be&#x017F;tehen, &#x017F;o, daß wenn &#x017F;ich der er&#x017F;te<lb/>
Gedanke auf den Herb&#x017F;t bezieht, der andere auf<lb/>
den Fru&#x0364;hling an&#x017F;pielt. &#x2014; Ihre dramati&#x017F;chen<lb/>
Auf&#x017F;a&#x0364;tze &#x017F;ind haupt&#x017F;a&#x0364;chlich darauf eingerichtet,<lb/>
um die Tugend anzuprei&#x017F;en und das La&#x017F;ter ver-<lb/>
a&#x0364;chtlich zu machen. Son&#x017F;t haben ihre drama-<lb/>
ti&#x017F;chen Vor&#x017F;tellungen wenig Erhabenes und fa&#x017F;t<lb/>
gar nichts Heroi&#x017F;ches. Wenn &#x017F;ie z. E. ihren<lb/>
Zuho&#x0364;rern bey dramati&#x017F;chen Vor&#x017F;tellungen den<lb/>
Charakter der Per&#x017F;on bekannt machen; &#x017F;o<lb/>
thun &#x017F;ie dieß nicht unvermerkt, &#x017F;ondern ein je-<lb/>
der Acteur erza&#x0364;hlt, &#x017F;o bald er aufs Theater<lb/>
kommt, wer er i&#x017F;t, was er fu&#x0364;r ein Freund<lb/>
oder Feind die&#x017F;es oder jenes i&#x017F;t u. &#x017F;. w. <hi rendition="#fr">Du<lb/>
Halde</hi> hat im 2 Th. S. 140. u. f. hiervon ei-<lb/>
ne um&#x017F;ta&#x0364;ndliche Nachricht gegeben, wohin wir<lb/>
den Le&#x017F;er, wenn er mehr zu wi&#x017F;&#x017F;en begehrt, ver-<lb/>
wei&#x017F;en wollen.</p><lb/>
          <p>Man muß es den Chine&#x017F;ern zum Ruhme<lb/>
ge&#x017F;tehen, daß &#x017F;ie &#x017F;ich um die <hi rendition="#fr">Hi&#x017F;torie,</hi> &#x017F;onder-<lb/>
lich um die Ge&#x017F;chichte ihres Vaterlandes, &#x017F;ehr<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">be-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0238] Dichtkunſt mit der Europaͤer ihrer gar nicht koͤnne verglichen werden. Es fehlt ihren Ge- dichten an kuͤhnen Metaphern, erhabenen Ge- danken und ruͤhrenden Gemaͤhlden. Man koͤnn- te ſie vielleicht nicht ganz unſchicklich fuͤr Son- netten und Epigrammate halten, deren Schoͤn- heit hauptſaͤchlich nur in ungleicher Laͤnge der Verſe und Wahl der Woͤrter beſtehet. — Außer der gereimten Poeſie, dichten ſie auch ohne Reime, die bloß in Antitheſen der Ge- danken beſtehen, ſo, daß wenn ſich der erſte Gedanke auf den Herbſt bezieht, der andere auf den Fruͤhling anſpielt. — Ihre dramatiſchen Aufſaͤtze ſind hauptſaͤchlich darauf eingerichtet, um die Tugend anzupreiſen und das Laſter ver- aͤchtlich zu machen. Sonſt haben ihre drama- tiſchen Vorſtellungen wenig Erhabenes und faſt gar nichts Heroiſches. Wenn ſie z. E. ihren Zuhoͤrern bey dramatiſchen Vorſtellungen den Charakter der Perſon bekannt machen; ſo thun ſie dieß nicht unvermerkt, ſondern ein je- der Acteur erzaͤhlt, ſo bald er aufs Theater kommt, wer er iſt, was er fuͤr ein Freund oder Feind dieſes oder jenes iſt u. ſ. w. Du Halde hat im 2 Th. S. 140. u. f. hiervon ei- ne umſtaͤndliche Nachricht gegeben, wohin wir den Leſer, wenn er mehr zu wiſſen begehrt, ver- weiſen wollen. Man muß es den Chineſern zum Ruhme geſtehen, daß ſie ſich um die Hiſtorie, ſonder- lich um die Geſchichte ihres Vaterlandes, ſehr be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/238
Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/238>, abgerufen am 02.05.2024.