Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

Verstorbenen nicht vorgegangen sey; so lange
irre die Seele herum. -- Sie nehmen einen
besondern Ort an, wo sich die abgeschiedenen
Seelen bis an den großen Gerichtstag auf-
hielten. An diesem Orte versammleten sich die
Seelen aller Menschen.

Die Perser legen dem jüngsten Gerichte
verschiedene und abscheuliche Namen bey. Sie
nennen es z. E. den Tag der gänzlichen
Umkehrung
. Sie sagen, daß dieß Gericht
in Asien nahe bey Mekke', an einem Orte Na-
mens Mehcher würde gehalten werden. Die-
se Idee rührt auch noch von den Juden her,
weil diese vorgeben, daß dieß Gericht nahe bey
Jerusalem seyn würde. Alle Vergehungen der
Menschen würden aufgezeichnet, und das Gu-
te darneben gestellt. Wenn dieß geschehen;
so müßten alle Körper über eine Brücke gehen,
unter welcher das ewige Feuer brenne. Die
Guten kämen glücklich herüber: die Bösen aber
fielen herein. Diese Brücke nennen sie das
dritte und letzte Examen, oder das letzte Ge-
richt, weil hier erst die eigentliche Absonderung
der Rechtschaffenen von den Bösen vor sich
gienge.

Das Paradies und die Hölle halten die
Perser nur für einen Ausruhungsort, wo we-
der Vergnügen noch Mißvergnügen Statt fin-
de: für einen Aufbe[w]ahrungsort solcher Leute,
die weder Gutes noch Böses, aus Mangel na-

tür-
M 4

Verſtorbenen nicht vorgegangen ſey; ſo lange
irre die Seele herum. — Sie nehmen einen
beſondern Ort an, wo ſich die abgeſchiedenen
Seelen bis an den großen Gerichtstag auf-
hielten. An dieſem Orte verſammleten ſich die
Seelen aller Menſchen.

Die Perſer legen dem juͤngſten Gerichte
verſchiedene und abſcheuliche Namen bey. Sie
nennen es z. E. den Tag der gaͤnzlichen
Umkehrung
. Sie ſagen, daß dieß Gericht
in Aſien nahe bey Mekke’, an einem Orte Na-
mens Mehcher wuͤrde gehalten werden. Die-
ſe Idee ruͤhrt auch noch von den Juden her,
weil dieſe vorgeben, daß dieß Gericht nahe bey
Jeruſalem ſeyn wuͤrde. Alle Vergehungen der
Menſchen wuͤrden aufgezeichnet, und das Gu-
te darneben geſtellt. Wenn dieß geſchehen;
ſo muͤßten alle Koͤrper uͤber eine Bruͤcke gehen,
unter welcher das ewige Feuer brenne. Die
Guten kaͤmen gluͤcklich heruͤber: die Boͤſen aber
fielen herein. Dieſe Bruͤcke nennen ſie das
dritte und letzte Examen, oder das letzte Ge-
richt, weil hier erſt die eigentliche Abſonderung
der Rechtſchaffenen von den Boͤſen vor ſich
gienge.

Das Paradies und die Hoͤlle halten die
Perſer nur fuͤr einen Ausruhungsort, wo we-
der Vergnuͤgen noch Mißvergnuͤgen Statt fin-
de: fuͤr einen Aufbe[w]ahrungsort ſolcher Leute,
die weder Gutes noch Boͤſes, aus Mangel na-

tuͤr-
M 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0203" n="183"/>
Ver&#x017F;torbenen nicht vorgegangen &#x017F;ey; &#x017F;o lange<lb/>
irre die Seele herum. &#x2014; Sie nehmen einen<lb/>
be&#x017F;ondern Ort an, wo &#x017F;ich die abge&#x017F;chiedenen<lb/>
Seelen bis an den großen Gerichtstag auf-<lb/>
hielten. An die&#x017F;em Orte ver&#x017F;ammleten &#x017F;ich die<lb/>
Seelen aller Men&#x017F;chen.</p><lb/>
          <p>Die Per&#x017F;er legen dem ju&#x0364;ng&#x017F;ten Gerichte<lb/>
ver&#x017F;chiedene und ab&#x017F;cheuliche Namen bey. Sie<lb/>
nennen es z. E. <hi rendition="#fr">den Tag der ga&#x0364;nzlichen<lb/>
Umkehrung</hi>. Sie &#x017F;agen, daß dieß Gericht<lb/>
in A&#x017F;ien nahe bey Mekke&#x2019;, an einem Orte Na-<lb/>
mens <hi rendition="#fr">Mehcher</hi> wu&#x0364;rde gehalten werden. Die-<lb/>
&#x017F;e Idee ru&#x0364;hrt auch noch von den Juden her,<lb/>
weil die&#x017F;e vorgeben, daß dieß Gericht nahe bey<lb/>
Jeru&#x017F;alem &#x017F;eyn wu&#x0364;rde. Alle Vergehungen der<lb/>
Men&#x017F;chen wu&#x0364;rden aufgezeichnet, und das Gu-<lb/>
te darneben ge&#x017F;tellt. Wenn dieß ge&#x017F;chehen;<lb/>
&#x017F;o mu&#x0364;ßten alle Ko&#x0364;rper u&#x0364;ber eine Bru&#x0364;cke gehen,<lb/>
unter welcher das ewige Feuer brenne. Die<lb/>
Guten ka&#x0364;men glu&#x0364;cklich heru&#x0364;ber: die Bo&#x0364;&#x017F;en aber<lb/>
fielen herein. Die&#x017F;e Bru&#x0364;cke nennen &#x017F;ie das<lb/>
dritte und letzte Examen, oder das letzte Ge-<lb/>
richt, weil hier er&#x017F;t die eigentliche Ab&#x017F;onderung<lb/>
der Recht&#x017F;chaffenen von den Bo&#x0364;&#x017F;en vor &#x017F;ich<lb/>
gienge.</p><lb/>
          <p>Das Paradies und die Ho&#x0364;lle halten die<lb/>
Per&#x017F;er nur fu&#x0364;r einen Ausruhungsort, wo we-<lb/>
der Vergnu&#x0364;gen noch Mißvergnu&#x0364;gen Statt fin-<lb/>
de: fu&#x0364;r einen Aufbe<supplied>w</supplied>ahrungsort &#x017F;olcher Leute,<lb/>
die weder Gutes noch Bo&#x0364;&#x017F;es, aus Mangel na-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 4</fw><fw place="bottom" type="catch">tu&#x0364;r-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0203] Verſtorbenen nicht vorgegangen ſey; ſo lange irre die Seele herum. — Sie nehmen einen beſondern Ort an, wo ſich die abgeſchiedenen Seelen bis an den großen Gerichtstag auf- hielten. An dieſem Orte verſammleten ſich die Seelen aller Menſchen. Die Perſer legen dem juͤngſten Gerichte verſchiedene und abſcheuliche Namen bey. Sie nennen es z. E. den Tag der gaͤnzlichen Umkehrung. Sie ſagen, daß dieß Gericht in Aſien nahe bey Mekke’, an einem Orte Na- mens Mehcher wuͤrde gehalten werden. Die- ſe Idee ruͤhrt auch noch von den Juden her, weil dieſe vorgeben, daß dieß Gericht nahe bey Jeruſalem ſeyn wuͤrde. Alle Vergehungen der Menſchen wuͤrden aufgezeichnet, und das Gu- te darneben geſtellt. Wenn dieß geſchehen; ſo muͤßten alle Koͤrper uͤber eine Bruͤcke gehen, unter welcher das ewige Feuer brenne. Die Guten kaͤmen gluͤcklich heruͤber: die Boͤſen aber fielen herein. Dieſe Bruͤcke nennen ſie das dritte und letzte Examen, oder das letzte Ge- richt, weil hier erſt die eigentliche Abſonderung der Rechtſchaffenen von den Boͤſen vor ſich gienge. Das Paradies und die Hoͤlle halten die Perſer nur fuͤr einen Ausruhungsort, wo we- der Vergnuͤgen noch Mißvergnuͤgen Statt fin- de: fuͤr einen Aufbewahrungsort ſolcher Leute, die weder Gutes noch Boͤſes, aus Mangel na- tuͤr- M 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/203
Zitationshilfe: [Poppe, Johann Friedrich]: Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Bd. 1. Breslau, 1776, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poppe_charakteristik01_1776/203>, abgerufen am 24.11.2024.