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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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aus dem er und die Seinen Kraft und Nahrung zogen,
nun drohten sich Fremde zwischen ihn und sein Eigentum
zu drängen. Seinem schlichten ungeschulten Verstande stellte
sich die Gefahr dar, wie eine Verschwörung teuflischer Mächte,
gegen ihn und sein gutes Recht. Von der Macht und Be¬
deutung des mobilen Kapitals, von jenen ehernen Gesetzen,
nach denen ganze Stände und Geschlechter dem Untergange
verfallen, andere emporhebend durch ihren Sturz, ahnte er nichts.
Eines nur hatte er am eigenen Leibe erfahren: er kämpfte und
rang durch ein langes Leben gegen eine Last, die auf ihn ge¬
legt war, er wußte nicht von wem. Und je verzweifelter er
sich aufbäumte gegen das unsichtbare Joch, desto schwerer und
drückender wurde seine Wucht.

Konnte ein Mensch das ahnen, der diese lachenden Fluren
ansah?

Gottes Segen schien auf ihnen zu ruhen. Der Acker
wollte seinem Pfleger so gerne zurückerstatten mit Zinsen, was
er an Liebe auf ihn verwendet. Der Boden wollte dem die
Treue halten, der ihm treu gewesen war.

Halm an Halm drängte sich. Konnte der, dem solche
Ernte in die Scheuer lachte, nicht guten Mutes sein? Durfte
es denn wirklich eine Macht geben auf der Welt, die ihm
diesen Erntesegen, den der liebe Gott doch für ihn hatte wachsen
lassen, streitig machte?

Es kam wie ein großes dunkles Gespenst über die Felder
gehuscht, ohne Beine, und doch schnellfüßig -- der Schatten
einer treibenden Wolke. Es löschte allen Glanz von den
Ährenwellen, es wischte die Farbenpracht der bunten Fluren
aus, es legte sich wie ein düsterer Ton über alles. Der Schatten
eilte über Haus und Hof, über die Feldmark in ihrer
ganzen Breite, dem Walde zu.

Der Bauer ließ die Hand von der Stirn sinken; jetzt
brauchte er sie vor den Sonnenstrahlen nicht mehr zu
schützen. Er wischte mit dem Ärmel über die Augen hin und
schneuzte sich.

Toni kam aus dem Hause und meldete dem Vater, das

aus dem er und die Seinen Kraft und Nahrung zogen,
nun drohten ſich Fremde zwiſchen ihn und ſein Eigentum
zu drängen. Seinem ſchlichten ungeſchulten Verſtande ſtellte
ſich die Gefahr dar, wie eine Verſchwörung teufliſcher Mächte,
gegen ihn und ſein gutes Recht. Von der Macht und Be¬
deutung des mobilen Kapitals, von jenen ehernen Geſetzen,
nach denen ganze Stände und Geſchlechter dem Untergange
verfallen, andere emporhebend durch ihren Sturz, ahnte er nichts.
Eines nur hatte er am eigenen Leibe erfahren: er kämpfte und
rang durch ein langes Leben gegen eine Laſt, die auf ihn ge¬
legt war, er wußte nicht von wem. Und je verzweifelter er
ſich aufbäumte gegen das unſichtbare Joch, deſto ſchwerer und
drückender wurde ſeine Wucht.

Konnte ein Menſch das ahnen, der dieſe lachenden Fluren
anſah?

Gottes Segen ſchien auf ihnen zu ruhen. Der Acker
wollte ſeinem Pfleger ſo gerne zurückerſtatten mit Zinſen, was
er an Liebe auf ihn verwendet. Der Boden wollte dem die
Treue halten, der ihm treu geweſen war.

Halm an Halm drängte ſich. Konnte der, dem ſolche
Ernte in die Scheuer lachte, nicht guten Mutes ſein? Durfte
es denn wirklich eine Macht geben auf der Welt, die ihm
dieſen Ernteſegen, den der liebe Gott doch für ihn hatte wachſen
laſſen, ſtreitig machte?

Es kam wie ein großes dunkles Geſpenſt über die Felder
gehuſcht, ohne Beine, und doch ſchnellfüßig — der Schatten
einer treibenden Wolke. Es löſchte allen Glanz von den
Ährenwellen, es wiſchte die Farbenpracht der bunten Fluren
aus, es legte ſich wie ein düſterer Ton über alles. Der Schatten
eilte über Haus und Hof, über die Feldmark in ihrer
ganzen Breite, dem Walde zu.

Der Bauer ließ die Hand von der Stirn ſinken; jetzt
brauchte er ſie vor den Sonnenſtrahlen nicht mehr zu
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[71/0085] aus dem er und die Seinen Kraft und Nahrung zogen, nun drohten ſich Fremde zwiſchen ihn und ſein Eigentum zu drängen. Seinem ſchlichten ungeſchulten Verſtande ſtellte ſich die Gefahr dar, wie eine Verſchwörung teufliſcher Mächte, gegen ihn und ſein gutes Recht. Von der Macht und Be¬ deutung des mobilen Kapitals, von jenen ehernen Geſetzen, nach denen ganze Stände und Geſchlechter dem Untergange verfallen, andere emporhebend durch ihren Sturz, ahnte er nichts. Eines nur hatte er am eigenen Leibe erfahren: er kämpfte und rang durch ein langes Leben gegen eine Laſt, die auf ihn ge¬ legt war, er wußte nicht von wem. Und je verzweifelter er ſich aufbäumte gegen das unſichtbare Joch, deſto ſchwerer und drückender wurde ſeine Wucht. Konnte ein Menſch das ahnen, der dieſe lachenden Fluren anſah? Gottes Segen ſchien auf ihnen zu ruhen. Der Acker wollte ſeinem Pfleger ſo gerne zurückerſtatten mit Zinſen, was er an Liebe auf ihn verwendet. Der Boden wollte dem die Treue halten, der ihm treu geweſen war. Halm an Halm drängte ſich. Konnte der, dem ſolche Ernte in die Scheuer lachte, nicht guten Mutes ſein? Durfte es denn wirklich eine Macht geben auf der Welt, die ihm dieſen Ernteſegen, den der liebe Gott doch für ihn hatte wachſen laſſen, ſtreitig machte? Es kam wie ein großes dunkles Geſpenſt über die Felder gehuſcht, ohne Beine, und doch ſchnellfüßig — der Schatten einer treibenden Wolke. Es löſchte allen Glanz von den Ährenwellen, es wiſchte die Farbenpracht der bunten Fluren aus, es legte ſich wie ein düſterer Ton über alles. Der Schatten eilte über Haus und Hof, über die Feldmark in ihrer ganzen Breite, dem Walde zu. Der Bauer ließ die Hand von der Stirn ſinken; jetzt brauchte er ſie vor den Sonnenſtrahlen nicht mehr zu ſchützen. Er wiſchte mit dem Ärmel über die Augen hin und ſchneuzte ſich. Toni kam aus dem Hauſe und meldete dem Vater, das

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/85>, abgerufen am 25.11.2024.