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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Büttner seinen altgewohnten Kirchenplatz ein. Vieler Augen
waren auf ihn gerichtet; es war, als ob nach langem Kranken¬
lager einer wiederum unter Menschen geht. Selbst der Geist¬
liche schien unter dem Eindrucke zu stehen, daß heute ein be¬
sonderer Gast in ihrer Mitte weile; er sprach einige Male
mit Betonung nach jener Richtung hin, wo der alte Mann saß.

Der hörte der Predigt vom ersten bis zum letzten Worte
mit Aufmerksamkeit zu. Beim Schlusse des Gottesdienstes
opferte er seinen Groschen, wie er es von jeher gethan, so
oft er das Abendmahl genossen.

Man wollte ihn anreden, als er aus der Kirche trat.
Alte Freunde drängten sich an ihn heran. "Nu Traugott!"
hieß es: "wu hast denn Du su lange gestackt?"

Er schien für die Frager keine Zeit zu haben. Mit
eigenartig ernstem Blicke sah er die Leute an, schüttelte den
Kopf, wandte sich und ging. -- Mancher, der jetzt kaum darauf
geachtet, sollte sich später daran erinnern. -- "Grade als ob 'r
D'ch durch und durch buhren wullte; und duch als ob 'r ganz
wu andersch hin säke," schilderte ein Zeuge nachmals diesen
Blick. Dann sei er auf einmal verschwunden, aus der Menge
der Kirchgänger; keiner wollte wissen, wie das geschehen. --

Traugott Büttner schritt auf seinen ehemaligen Hof zu.
Heute war das Haus menschenleer; des Feiertags wegen
arbeiteten die Handwerker nicht.

Er ging in die Kammer, legte die Feiertagskleidung ab
und zog die Werkeltagskleider wieder an. Dann legte er die
guten Sachen sorgfältig zusammengefaltet auf einen Stuhl,
das Gesangbuch zu oberst auf das Bündel.

Nachdem er das besorgt, begab er sich in den Stall. Er
steckte den Kühen Futter auf, reichlich, für zwei Mahlzeiten. Den
Schweinen schüttete er Trebern vor und goß einen Rest von
Milch darüber, zu einer rechten Feiertagsmahlzeit. Darauf sah er
sich noch einmal um, wie um sich zu überzeugen, daß alles beschickt
und in Ordnung sei. Dann machte er die Thüre hinter sich zu
und schritt zum Hofe hinaus, auf dem Wege hin, der nach
dem Walde führt.

Büttner ſeinen altgewohnten Kirchenplatz ein. Vieler Augen
waren auf ihn gerichtet; es war, als ob nach langem Kranken¬
lager einer wiederum unter Menſchen geht. Selbſt der Geiſt¬
liche ſchien unter dem Eindrucke zu ſtehen, daß heute ein be¬
ſonderer Gaſt in ihrer Mitte weile; er ſprach einige Male
mit Betonung nach jener Richtung hin, wo der alte Mann ſaß.

Der hörte der Predigt vom erſten bis zum letzten Worte
mit Aufmerkſamkeit zu. Beim Schluſſe des Gottesdienſtes
opferte er ſeinen Groſchen, wie er es von jeher gethan, ſo
oft er das Abendmahl genoſſen.

Man wollte ihn anreden, als er aus der Kirche trat.
Alte Freunde drängten ſich an ihn heran. „Nu Traugott!“
hieß es: „wu haſt denn Du ſu lange geſtackt?“

Er ſchien für die Frager keine Zeit zu haben. Mit
eigenartig ernſtem Blicke ſah er die Leute an, ſchüttelte den
Kopf, wandte ſich und ging. — Mancher, der jetzt kaum darauf
geachtet, ſollte ſich ſpäter daran erinnern. — „Grade als ob 'r
D'ch durch und durch buhren wullte; und duch als ob 'r ganz
wu anderſch hin ſäke,“ ſchilderte ein Zeuge nachmals dieſen
Blick. Dann ſei er auf einmal verſchwunden, aus der Menge
der Kirchgänger; keiner wollte wiſſen, wie das geſchehen. —

Traugott Büttner ſchritt auf ſeinen ehemaligen Hof zu.
Heute war das Haus menſchenleer; des Feiertags wegen
arbeiteten die Handwerker nicht.

Er ging in die Kammer, legte die Feiertagskleidung ab
und zog die Werkeltagskleider wieder an. Dann legte er die
guten Sachen ſorgfältig zuſammengefaltet auf einen Stuhl,
das Geſangbuch zu oberſt auf das Bündel.

Nachdem er das beſorgt, begab er ſich in den Stall. Er
ſteckte den Kühen Futter auf, reichlich, für zwei Mahlzeiten. Den
Schweinen ſchüttete er Trebern vor und goß einen Reſt von
Milch darüber, zu einer rechten Feiertagsmahlzeit. Darauf ſah er
ſich noch einmal um, wie um ſich zu überzeugen, daß alles beſchickt
und in Ordnung ſei. Dann machte er die Thüre hinter ſich zu
und ſchritt zum Hofe hinaus, auf dem Wege hin, der nach
dem Walde führt.

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[420/0434] Büttner ſeinen altgewohnten Kirchenplatz ein. Vieler Augen waren auf ihn gerichtet; es war, als ob nach langem Kranken¬ lager einer wiederum unter Menſchen geht. Selbſt der Geiſt¬ liche ſchien unter dem Eindrucke zu ſtehen, daß heute ein be¬ ſonderer Gaſt in ihrer Mitte weile; er ſprach einige Male mit Betonung nach jener Richtung hin, wo der alte Mann ſaß. Der hörte der Predigt vom erſten bis zum letzten Worte mit Aufmerkſamkeit zu. Beim Schluſſe des Gottesdienſtes opferte er ſeinen Groſchen, wie er es von jeher gethan, ſo oft er das Abendmahl genoſſen. Man wollte ihn anreden, als er aus der Kirche trat. Alte Freunde drängten ſich an ihn heran. „Nu Traugott!“ hieß es: „wu haſt denn Du ſu lange geſtackt?“ Er ſchien für die Frager keine Zeit zu haben. Mit eigenartig ernſtem Blicke ſah er die Leute an, ſchüttelte den Kopf, wandte ſich und ging. — Mancher, der jetzt kaum darauf geachtet, ſollte ſich ſpäter daran erinnern. — „Grade als ob 'r D'ch durch und durch buhren wullte; und duch als ob 'r ganz wu anderſch hin ſäke,“ ſchilderte ein Zeuge nachmals dieſen Blick. Dann ſei er auf einmal verſchwunden, aus der Menge der Kirchgänger; keiner wollte wiſſen, wie das geſchehen. — Traugott Büttner ſchritt auf ſeinen ehemaligen Hof zu. Heute war das Haus menſchenleer; des Feiertags wegen arbeiteten die Handwerker nicht. Er ging in die Kammer, legte die Feiertagskleidung ab und zog die Werkeltagskleider wieder an. Dann legte er die guten Sachen ſorgfältig zuſammengefaltet auf einen Stuhl, das Geſangbuch zu oberſt auf das Bündel. Nachdem er das beſorgt, begab er ſich in den Stall. Er ſteckte den Kühen Futter auf, reichlich, für zwei Mahlzeiten. Den Schweinen ſchüttete er Trebern vor und goß einen Reſt von Milch darüber, zu einer rechten Feiertagsmahlzeit. Darauf ſah er ſich noch einmal um, wie um ſich zu überzeugen, daß alles beſchickt und in Ordnung ſei. Dann machte er die Thüre hinter ſich zu und ſchritt zum Hofe hinaus, auf dem Wege hin, der nach dem Walde führt.

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/434>, abgerufen am 24.11.2024.