Gustav. Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn sie zu¬ sammen sich nicht durch die Welt finden sollten!
Das nächste Ziel ihrer Reise war eine große Handels- und Industriestadt im Königreich Sachsen. Mit einer ge¬ wissen Wichtigthuerei deutete Häschke seinem Wandergenossen an, daß er dort Freunde habe. Gustav irrte nicht in der An¬ nahme, daß er damit Parteigenossen meine.
Häschkes politische Gesinnung war Gustav schon lange verdächtig gewesen. Einmal hatte er ihn direkt zur Rede ge¬ stellt: er sei doch nicht etwa ein "Roter"? Häschkekarl hatte darauf vielsagend gelächelt und vor sich hingepfiffen. Die Roten seien gar nicht so schlecht, war seine endliche Erklärung, die wollten nur das Beste der Menschen. Und gelegentlich hatte er versucht, dem Freunde ein kleines gelbes Büchlein in die Hand zu drücken; da werde er alles drinnen finden, was man wissen müsse, meinte er, das sei besser, als der Kate¬ chismus.
Aber Gustav hatte diesen Versuch, seine Gesinnung zu verderben, mit Entrüstung zurückgewiesen. Von der Kanzel herab und von den Vorgesetzten war ihm eingeprägt worden, daß es nichts Gefährlicheres gebe auf der Welt, und nichts Verabscheuungswürdigeres, als jene Partei, die alle göttliche und menschliche Ordnung umstürzen wolle. Vom Elternhause her brachte er zudem einen Abscheu mit gegen alles, was Politik hieß. Der alte Büttnerbauer hielt keine Zeitung und war nie in seinem Leben zur Wahlurne gegangen. Gustav war darin echter Bauer geblieben, daß er alles Parteiwesen verachtete und verabscheute.
Seit er im vorigen Frühjahr die Heimat verlassen, hatte sich seine Anschauung auch hierin verändert.
Im Westen hatte er eine gänzlich neue Wirtschaftsweise kennen gelernt, leichtere bequemere Lebensführung, ganz andere Arbeitsbedingungen, als daheim in dem abgelegenen Dörfchen. Das Verhältnis des Gesindes zur Herrschaft, des Arbeiters zum Arbeitgeber, war hier ein viel loseres. Die Arbeitskraft schien eine Ware. Das Geld bildete die einzige Beziehung
Guſtav. Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn ſie zu¬ ſammen ſich nicht durch die Welt finden ſollten!
Das nächſte Ziel ihrer Reiſe war eine große Handels- und Induſtrieſtadt im Königreich Sachſen. Mit einer ge¬ wiſſen Wichtigthuerei deutete Häſchke ſeinem Wandergenoſſen an, daß er dort Freunde habe. Guſtav irrte nicht in der An¬ nahme, daß er damit Parteigenoſſen meine.
Häſchkes politiſche Geſinnung war Guſtav ſchon lange verdächtig geweſen. Einmal hatte er ihn direkt zur Rede ge¬ ſtellt: er ſei doch nicht etwa ein „Roter“? Häſchkekarl hatte darauf vielſagend gelächelt und vor ſich hingepfiffen. Die Roten ſeien gar nicht ſo ſchlecht, war ſeine endliche Erklärung, die wollten nur das Beſte der Menſchen. Und gelegentlich hatte er verſucht, dem Freunde ein kleines gelbes Büchlein in die Hand zu drücken; da werde er alles drinnen finden, was man wiſſen müſſe, meinte er, das ſei beſſer, als der Kate¬ chismus.
Aber Guſtav hatte dieſen Verſuch, ſeine Geſinnung zu verderben, mit Entrüſtung zurückgewieſen. Von der Kanzel herab und von den Vorgeſetzten war ihm eingeprägt worden, daß es nichts Gefährlicheres gebe auf der Welt, und nichts Verabſcheuungswürdigeres, als jene Partei, die alle göttliche und menſchliche Ordnung umſtürzen wolle. Vom Elternhauſe her brachte er zudem einen Abſcheu mit gegen alles, was Politik hieß. Der alte Büttnerbauer hielt keine Zeitung und war nie in ſeinem Leben zur Wahlurne gegangen. Guſtav war darin echter Bauer geblieben, daß er alles Parteiweſen verachtete und verabſcheute.
Seit er im vorigen Frühjahr die Heimat verlaſſen, hatte ſich ſeine Anſchauung auch hierin verändert.
Im Weſten hatte er eine gänzlich neue Wirtſchaftsweiſe kennen gelernt, leichtere bequemere Lebensführung, ganz andere Arbeitsbedingungen, als daheim in dem abgelegenen Dörfchen. Das Verhältnis des Geſindes zur Herrſchaft, des Arbeiters zum Arbeitgeber, war hier ein viel loſeres. Die Arbeitskraft ſchien eine Ware. Das Geld bildete die einzige Beziehung
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Guſtav. Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn ſie zu¬
ſammen ſich nicht durch die Welt finden ſollten!
Das nächſte Ziel ihrer Reiſe war eine große Handels-
und Induſtrieſtadt im Königreich Sachſen. Mit einer ge¬
wiſſen Wichtigthuerei deutete Häſchke ſeinem Wandergenoſſen
an, daß er dort Freunde habe. Guſtav irrte nicht in der An¬
nahme, daß er damit Parteigenoſſen meine.
Häſchkes politiſche Geſinnung war Guſtav ſchon lange
verdächtig geweſen. Einmal hatte er ihn direkt zur Rede ge¬
ſtellt: er ſei doch nicht etwa ein „Roter“? Häſchkekarl hatte
darauf vielſagend gelächelt und vor ſich hingepfiffen. Die
Roten ſeien gar nicht ſo ſchlecht, war ſeine endliche Erklärung,
die wollten nur das Beſte der Menſchen. Und gelegentlich
hatte er verſucht, dem Freunde ein kleines gelbes Büchlein in
die Hand zu drücken; da werde er alles drinnen finden, was
man wiſſen müſſe, meinte er, das ſei beſſer, als der Kate¬
chismus.
Aber Guſtav hatte dieſen Verſuch, ſeine Geſinnung zu
verderben, mit Entrüſtung zurückgewieſen. Von der Kanzel
herab und von den Vorgeſetzten war ihm eingeprägt worden,
daß es nichts Gefährlicheres gebe auf der Welt, und nichts
Verabſcheuungswürdigeres, als jene Partei, die alle göttliche
und menſchliche Ordnung umſtürzen wolle. Vom Elternhauſe
her brachte er zudem einen Abſcheu mit gegen alles, was Politik
hieß. Der alte Büttnerbauer hielt keine Zeitung und war nie
in ſeinem Leben zur Wahlurne gegangen. Guſtav war darin
echter Bauer geblieben, daß er alles Parteiweſen verachtete und
verabſcheute.
Seit er im vorigen Frühjahr die Heimat verlaſſen, hatte
ſich ſeine Anſchauung auch hierin verändert.
Im Weſten hatte er eine gänzlich neue Wirtſchaftsweiſe
kennen gelernt, leichtere bequemere Lebensführung, ganz andere
Arbeitsbedingungen, als daheim in dem abgelegenen Dörfchen.
Das Verhältnis des Geſindes zur Herrſchaft, des Arbeiters
zum Arbeitgeber, war hier ein viel loſeres. Die Arbeitskraft
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/375>, abgerufen am 24.11.2024.
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