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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Der Pfarrer ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, die
Herzen zu rühren. Er war ein alter Praktikus, und wußte,
daß außergewöhnliche Unglücksfälle nahezu die einzige Ge¬
legenheit sind, wo man den harten Bauerngemütern bei¬
kommen kann.

Karl Büttner schluchzte wie ein kleines Kind. Bei dem
alten Manne schien der Thränenquell versiegt zu sein. Der
Geistliche sprach von ihm, als von einem, mit dem Gott der
Herr besondere Dinge vorhaben müsse, da er ihm so harte
Prüfung auferlege, wie einstmals dem Hiob. Wenn er aber
dem unerforschlichen Ratschlusse des Herrn stille halte, werde er
auch wieder zu Ehren gebracht werden, wie dieser Knecht
Gottes. --

Die letzten Tage der Bäuerin waren nicht ohne jeden Sonnen¬
blick gewesen; von den Kindern aus der Fremde war Geld
gekommen und Briefe. Fast zur nämlichen Zeit hatte auch
Toni, die bisher wie verschollen gewesen, wieder einmal ge¬
schrieben und gleichfalls Geld geschickt.

Was Toni schrieb, war zum Teil nicht recht verständ¬
lich; die Schreibkunst war nie dieses Mädchens starke Seite
gewesen. Sie wäre nicht mehr Amme, teilte sie mit. Welcher
Art ihre Lebensstellung sei, war nicht gesagt. Aber sie mußte
doch wohl ihr Auskommen haben, sonst würde sie nicht haben
soviel abgeben können. Für ihr Kind, das bei Theresen
untergebracht war, schickte sie auch etwas mit.

Nachdem das Begräbnis vorüber war, kehrte alles schnell
in die alten Geleise zurück. Äußerlich merkte man kaum, daß
eine Lücke entstanden war.

Der Bauer ging Tag für Tag seiner gewohnten Arbeit
nach. Er mußte alles in allem sein; zur Feldbestellung kam
jetzt auch noch die häusliche Arbeit. Der Ersparnisse halber,
machte er nur noch einmal am Tage Feuer. Er nährte sich
schlechter, als das Vieh, lebte von altem Brot, das er trocken
verzehrte, und kalten Kartoffeln. Fast nie kam ein herzhafter
Bissen auf seinen Tisch.

Dabei arbeitete der alte Mann angestrengter denn je. Es

Der Pfarrer ließ ſich die Gelegenheit nicht entgehen, die
Herzen zu rühren. Er war ein alter Praktikus, und wußte,
daß außergewöhnliche Unglücksfälle nahezu die einzige Ge¬
legenheit ſind, wo man den harten Bauerngemütern bei¬
kommen kann.

Karl Büttner ſchluchzte wie ein kleines Kind. Bei dem
alten Manne ſchien der Thränenquell verſiegt zu ſein. Der
Geiſtliche ſprach von ihm, als von einem, mit dem Gott der
Herr beſondere Dinge vorhaben müſſe, da er ihm ſo harte
Prüfung auferlege, wie einſtmals dem Hiob. Wenn er aber
dem unerforſchlichen Ratſchluſſe des Herrn ſtille halte, werde er
auch wieder zu Ehren gebracht werden, wie dieſer Knecht
Gottes. —

Die letzten Tage der Bäuerin waren nicht ohne jeden Sonnen¬
blick geweſen; von den Kindern aus der Fremde war Geld
gekommen und Briefe. Faſt zur nämlichen Zeit hatte auch
Toni, die bisher wie verſchollen geweſen, wieder einmal ge¬
ſchrieben und gleichfalls Geld geſchickt.

Was Toni ſchrieb, war zum Teil nicht recht verſtänd¬
lich; die Schreibkunſt war nie dieſes Mädchens ſtarke Seite
geweſen. Sie wäre nicht mehr Amme, teilte ſie mit. Welcher
Art ihre Lebensſtellung ſei, war nicht geſagt. Aber ſie mußte
doch wohl ihr Auskommen haben, ſonſt würde ſie nicht haben
ſoviel abgeben können. Für ihr Kind, das bei Thereſen
untergebracht war, ſchickte ſie auch etwas mit.

Nachdem das Begräbnis vorüber war, kehrte alles ſchnell
in die alten Geleiſe zurück. Äußerlich merkte man kaum, daß
eine Lücke entſtanden war.

Der Bauer ging Tag für Tag ſeiner gewohnten Arbeit
nach. Er mußte alles in allem ſein; zur Feldbeſtellung kam
jetzt auch noch die häusliche Arbeit. Der Erſparniſſe halber,
machte er nur noch einmal am Tage Feuer. Er nährte ſich
ſchlechter, als das Vieh, lebte von altem Brot, das er trocken
verzehrte, und kalten Kartoffeln. Faſt nie kam ein herzhafter
Biſſen auf ſeinen Tiſch.

Dabei arbeitete der alte Mann angeſtrengter denn je. Es

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[329/0343] Der Pfarrer ließ ſich die Gelegenheit nicht entgehen, die Herzen zu rühren. Er war ein alter Praktikus, und wußte, daß außergewöhnliche Unglücksfälle nahezu die einzige Ge¬ legenheit ſind, wo man den harten Bauerngemütern bei¬ kommen kann. Karl Büttner ſchluchzte wie ein kleines Kind. Bei dem alten Manne ſchien der Thränenquell verſiegt zu ſein. Der Geiſtliche ſprach von ihm, als von einem, mit dem Gott der Herr beſondere Dinge vorhaben müſſe, da er ihm ſo harte Prüfung auferlege, wie einſtmals dem Hiob. Wenn er aber dem unerforſchlichen Ratſchluſſe des Herrn ſtille halte, werde er auch wieder zu Ehren gebracht werden, wie dieſer Knecht Gottes. — Die letzten Tage der Bäuerin waren nicht ohne jeden Sonnen¬ blick geweſen; von den Kindern aus der Fremde war Geld gekommen und Briefe. Faſt zur nämlichen Zeit hatte auch Toni, die bisher wie verſchollen geweſen, wieder einmal ge¬ ſchrieben und gleichfalls Geld geſchickt. Was Toni ſchrieb, war zum Teil nicht recht verſtänd¬ lich; die Schreibkunſt war nie dieſes Mädchens ſtarke Seite geweſen. Sie wäre nicht mehr Amme, teilte ſie mit. Welcher Art ihre Lebensſtellung ſei, war nicht geſagt. Aber ſie mußte doch wohl ihr Auskommen haben, ſonſt würde ſie nicht haben ſoviel abgeben können. Für ihr Kind, das bei Thereſen untergebracht war, ſchickte ſie auch etwas mit. Nachdem das Begräbnis vorüber war, kehrte alles ſchnell in die alten Geleiſe zurück. Äußerlich merkte man kaum, daß eine Lücke entſtanden war. Der Bauer ging Tag für Tag ſeiner gewohnten Arbeit nach. Er mußte alles in allem ſein; zur Feldbeſtellung kam jetzt auch noch die häusliche Arbeit. Der Erſparniſſe halber, machte er nur noch einmal am Tage Feuer. Er nährte ſich ſchlechter, als das Vieh, lebte von altem Brot, das er trocken verzehrte, und kalten Kartoffeln. Faſt nie kam ein herzhafter Biſſen auf ſeinen Tiſch. Dabei arbeitete der alte Mann angeſtrengter denn je. Es

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/343>, abgerufen am 25.11.2024.