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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Anstandsgefühl genug, das nicht zuzulassen. Sie suchten den
Tobenden zu beruhigen, der sich inzwischen schon ganz heiser
geschrieen hatte, und den nur noch die Wut vor dem Zu¬
sammenbrechen bewahrte. Er wiederholte dieselben Schimpf¬
worte immer und immer wieder, schien kaum mehr zu wissen,
was er schrie. Die älteren Leute nahmen sich seiner an, führ¬
ten ihn nach seinem Hause. --

Die Bäuerin, die noch immer das Bett hütete, merkte
wohl, daß der Bauer unwirsch und einsilbig sei, noch mehr
als sonst. Aber das Unglück der letzten Zeiten war so groß
gewesen, ein Schicksalsschlag hatte den anderen übertroffen,
daß sie schon gar nicht mehr nach Neuem fragte.

Die alte Frau war schwer mit Elend geschlagen. Ihr
Mann hatte doch wenigstens seine Arbeit; er konnte den
Kummer da draußen im Acker vergraben. Aber sie lag hier
oben allein, ohne ein Glied rühren zu können. Die Kinder
waren nun alle aus dem Hause, in der Fremde. Keine
Menschenseele hatte sie zur Pflege. Hin und wieder kam ein¬
mal eine mitleidige Nachbarsfrau, nach ihr zu sehen. Dann
hatte sie wenigstens für kurze Zeit jemanden, mit dem sie
weinen konnte; das war ihr einziges Labsal. Zu ihrer Gicht
war noch Wassersucht getreten, die sie gänzlich bewegungslos
machte. Sie sehnte sich aufrichtig nach dem Tode.

Die Bäuerin, welche des Nachts nur wenig schlief, traute
ihren Sinnen kaum, als sie in der auf diesen Sonntag folgen¬
den Nacht plötzlich den Bauern aufstehen und sich ankleiden
sah. Wo er zu dieser Stunde hin wolle, fragte sie ihn. Eine
Kuh sei krank, erwiderte er, und ging.

Sie verfolgte seine Schritte und vernahm mit ihrem,
durch das lange Stilleliegen geschärften Gehör, in der tiefen
Nachtstille, daß er sich unten mit den Geschirren zu schaffen
machte. Und nach einiger Zeit war es ihr, als höre sie ihn
mit einem Gespanne den Hof verlassen.

Was sollte alles das vorstellen? Mitten in der Nacht
aufzustehen und zur Feldarbeit zu gehen! War der Bauer
am Ende gar übergeschnappt?

Anſtandsgefühl genug, das nicht zuzulaſſen. Sie ſuchten den
Tobenden zu beruhigen, der ſich inzwiſchen ſchon ganz heiſer
geſchrieen hatte, und den nur noch die Wut vor dem Zu¬
ſammenbrechen bewahrte. Er wiederholte dieſelben Schimpf¬
worte immer und immer wieder, ſchien kaum mehr zu wiſſen,
was er ſchrie. Die älteren Leute nahmen ſich ſeiner an, führ¬
ten ihn nach ſeinem Hauſe. —

Die Bäuerin, die noch immer das Bett hütete, merkte
wohl, daß der Bauer unwirſch und einſilbig ſei, noch mehr
als ſonſt. Aber das Unglück der letzten Zeiten war ſo groß
geweſen, ein Schickſalsſchlag hatte den anderen übertroffen,
daß ſie ſchon gar nicht mehr nach Neuem fragte.

Die alte Frau war ſchwer mit Elend geſchlagen. Ihr
Mann hatte doch wenigſtens ſeine Arbeit; er konnte den
Kummer da draußen im Acker vergraben. Aber ſie lag hier
oben allein, ohne ein Glied rühren zu können. Die Kinder
waren nun alle aus dem Hauſe, in der Fremde. Keine
Menſchenſeele hatte ſie zur Pflege. Hin und wieder kam ein¬
mal eine mitleidige Nachbarsfrau, nach ihr zu ſehen. Dann
hatte ſie wenigſtens für kurze Zeit jemanden, mit dem ſie
weinen konnte; das war ihr einziges Labſal. Zu ihrer Gicht
war noch Waſſerſucht getreten, die ſie gänzlich bewegungslos
machte. Sie ſehnte ſich aufrichtig nach dem Tode.

Die Bäuerin, welche des Nachts nur wenig ſchlief, traute
ihren Sinnen kaum, als ſie in der auf dieſen Sonntag folgen¬
den Nacht plötzlich den Bauern aufſtehen und ſich ankleiden
ſah. Wo er zu dieſer Stunde hin wolle, fragte ſie ihn. Eine
Kuh ſei krank, erwiderte er, und ging.

Sie verfolgte ſeine Schritte und vernahm mit ihrem,
durch das lange Stilleliegen geſchärften Gehör, in der tiefen
Nachtſtille, daß er ſich unten mit den Geſchirren zu ſchaffen
machte. Und nach einiger Zeit war es ihr, als höre ſie ihn
mit einem Geſpanne den Hof verlaſſen.

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am Ende gar übergeſchnappt?

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[300/0314] Anſtandsgefühl genug, das nicht zuzulaſſen. Sie ſuchten den Tobenden zu beruhigen, der ſich inzwiſchen ſchon ganz heiſer geſchrieen hatte, und den nur noch die Wut vor dem Zu¬ ſammenbrechen bewahrte. Er wiederholte dieſelben Schimpf¬ worte immer und immer wieder, ſchien kaum mehr zu wiſſen, was er ſchrie. Die älteren Leute nahmen ſich ſeiner an, führ¬ ten ihn nach ſeinem Hauſe. — Die Bäuerin, die noch immer das Bett hütete, merkte wohl, daß der Bauer unwirſch und einſilbig ſei, noch mehr als ſonſt. Aber das Unglück der letzten Zeiten war ſo groß geweſen, ein Schickſalsſchlag hatte den anderen übertroffen, daß ſie ſchon gar nicht mehr nach Neuem fragte. Die alte Frau war ſchwer mit Elend geſchlagen. Ihr Mann hatte doch wenigſtens ſeine Arbeit; er konnte den Kummer da draußen im Acker vergraben. Aber ſie lag hier oben allein, ohne ein Glied rühren zu können. Die Kinder waren nun alle aus dem Hauſe, in der Fremde. Keine Menſchenſeele hatte ſie zur Pflege. Hin und wieder kam ein¬ mal eine mitleidige Nachbarsfrau, nach ihr zu ſehen. Dann hatte ſie wenigſtens für kurze Zeit jemanden, mit dem ſie weinen konnte; das war ihr einziges Labſal. Zu ihrer Gicht war noch Waſſerſucht getreten, die ſie gänzlich bewegungslos machte. Sie ſehnte ſich aufrichtig nach dem Tode. Die Bäuerin, welche des Nachts nur wenig ſchlief, traute ihren Sinnen kaum, als ſie in der auf dieſen Sonntag folgen¬ den Nacht plötzlich den Bauern aufſtehen und ſich ankleiden ſah. Wo er zu dieſer Stunde hin wolle, fragte ſie ihn. Eine Kuh ſei krank, erwiderte er, und ging. Sie verfolgte ſeine Schritte und vernahm mit ihrem, durch das lange Stilleliegen geſchärften Gehör, in der tiefen Nachtſtille, daß er ſich unten mit den Geſchirren zu ſchaffen machte. Und nach einiger Zeit war es ihr, als höre ſie ihn mit einem Geſpanne den Hof verlaſſen. Was ſollte alles das vorſtellen? Mitten in der Nacht aufzuſtehen und zur Feldarbeit zu gehen! War der Bauer am Ende gar übergeſchnappt?

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/314>, abgerufen am 23.11.2024.