Egoismus anzupassen, der das Grundprinzip des römischen Rechtes ist. Und seit den Zeiten der Scholastik ward Haar¬ spalterei und wirklichkeitsfremdes Definieren und Konstruieren die Lieblingsbeschäftigung der deutschen Gelehrtenzunft.
Dem freien deutschen Bauernstande aber grub das fremde Recht die Lebenswurzeln ab.
Denn der Begriff des römischen Eigentums lief dem schnurstracks zuwider, was für den deutschen Ansiedler gegolten hatte. Nun wurden in trocken formalistischer Weise Recht und Thatsache getrennt. Fortan konnte einem ein Stück Land gehören, der nie seinen Fuß darauf gesetzt, geschweige denn, eine Hand gerührt, um es durch Arbeit zu seinem Eigen zu machen. Jetzt gab es gar viele Rechtstitel mit fremdklingenden Namen, kraft deren einer Eigentum erwerben und veräußern konnte. Den Ausschlag gab nicht mehr die lebendige Kraft des Armes, sondern erklügelte, in Büchern niedergeschriebene, tote Satzung. Am Grund und Boden konnte fortan Eigen¬ tum entstehen durch Eintragung in Bücher. Es konnte ernten, wer nie geackert und gesäet hatte. Es gab Rechte an fremden Sachen, Einschränkungen des Eigentumsrechtes durch Dritte, die sich so drehen, deuten, nutzen und ausdehnen ließen, daß der Eigentümer bald wie ein Mann war, der sein Feld auf der öffentlichen Landstraße liegen hat. Das Verpfänden und Belasten des Grund und Bodens ward in ein System gebracht, das den Urgrund aller menschlichen Verhältnisse, die Scholle, einem Handelsartikel gleichstellte. Es wurde möglich, daß einer durch Beleihung stiller Mitbesitzer eines Stück Landes ward. Dann mußte ihm der Eigentümer einen Teil der Erträge abgeben, die er durch seine Arbeit dem Boden abgerungen hatte, und jener genoß in der Ferne ohne Mühe die Früchte fremden Bodens und fremden Schaffens.
So hatte sich das undeutsche Recht, mit seinem egoistisch¬ kalten, verstandesmäßigen Formalismus wie ein Lavastrom über die heimischen Einrichtungen ergossen, alles mit starrer Kruste überdeckend, und auch die grünende Freiheit des bäuer¬ lichen Ansiedlers auf Nimmerwiederkehr vernichtend.
Egoismus anzupaſſen, der das Grundprinzip des römiſchen Rechtes iſt. Und ſeit den Zeiten der Scholaſtik ward Haar¬ ſpalterei und wirklichkeitsfremdes Definieren und Konſtruieren die Lieblingsbeſchäftigung der deutſchen Gelehrtenzunft.
Dem freien deutſchen Bauernſtande aber grub das fremde Recht die Lebenswurzeln ab.
Denn der Begriff des römiſchen Eigentums lief dem ſchnurſtracks zuwider, was für den deutſchen Anſiedler gegolten hatte. Nun wurden in trocken formaliſtiſcher Weiſe Recht und Thatſache getrennt. Fortan konnte einem ein Stück Land gehören, der nie ſeinen Fuß darauf geſetzt, geſchweige denn, eine Hand gerührt, um es durch Arbeit zu ſeinem Eigen zu machen. Jetzt gab es gar viele Rechtstitel mit fremdklingenden Namen, kraft deren einer Eigentum erwerben und veräußern konnte. Den Ausſchlag gab nicht mehr die lebendige Kraft des Armes, ſondern erklügelte, in Büchern niedergeſchriebene, tote Satzung. Am Grund und Boden konnte fortan Eigen¬ tum entſtehen durch Eintragung in Bücher. Es konnte ernten, wer nie geackert und geſäet hatte. Es gab Rechte an fremden Sachen, Einſchränkungen des Eigentumsrechtes durch Dritte, die ſich ſo drehen, deuten, nutzen und ausdehnen ließen, daß der Eigentümer bald wie ein Mann war, der ſein Feld auf der öffentlichen Landſtraße liegen hat. Das Verpfänden und Belaſten des Grund und Bodens ward in ein Syſtem gebracht, das den Urgrund aller menſchlichen Verhältniſſe, die Scholle, einem Handelsartikel gleichſtellte. Es wurde möglich, daß einer durch Beleihung ſtiller Mitbeſitzer eines Stück Landes ward. Dann mußte ihm der Eigentümer einen Teil der Erträge abgeben, die er durch ſeine Arbeit dem Boden abgerungen hatte, und jener genoß in der Ferne ohne Mühe die Früchte fremden Bodens und fremden Schaffens.
So hatte ſich das undeutſche Recht, mit ſeinem egoiſtiſch¬ kalten, verſtandesmäßigen Formalismus wie ein Lavaſtrom über die heimiſchen Einrichtungen ergoſſen, alles mit ſtarrer Kruſte überdeckend, und auch die grünende Freiheit des bäuer¬ lichen Anſiedlers auf Nimmerwiederkehr vernichtend.
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Egoismus anzupaſſen, der das Grundprinzip des römiſchen
Rechtes iſt. Und ſeit den Zeiten der Scholaſtik ward Haar¬
ſpalterei und wirklichkeitsfremdes Definieren und Konſtruieren
die Lieblingsbeſchäftigung der deutſchen Gelehrtenzunft.
Dem freien deutſchen Bauernſtande aber grub das fremde
Recht die Lebenswurzeln ab.
Denn der Begriff des römiſchen Eigentums lief dem
ſchnurſtracks zuwider, was für den deutſchen Anſiedler gegolten
hatte. Nun wurden in trocken formaliſtiſcher Weiſe Recht
und Thatſache getrennt. Fortan konnte einem ein Stück Land
gehören, der nie ſeinen Fuß darauf geſetzt, geſchweige denn,
eine Hand gerührt, um es durch Arbeit zu ſeinem Eigen zu
machen. Jetzt gab es gar viele Rechtstitel mit fremdklingenden
Namen, kraft deren einer Eigentum erwerben und veräußern
konnte. Den Ausſchlag gab nicht mehr die lebendige Kraft
des Armes, ſondern erklügelte, in Büchern niedergeſchriebene,
tote Satzung. Am Grund und Boden konnte fortan Eigen¬
tum entſtehen durch Eintragung in Bücher. Es konnte
ernten, wer nie geackert und geſäet hatte. Es gab Rechte an
fremden Sachen, Einſchränkungen des Eigentumsrechtes durch
Dritte, die ſich ſo drehen, deuten, nutzen und ausdehnen ließen,
daß der Eigentümer bald wie ein Mann war, der ſein Feld
auf der öffentlichen Landſtraße liegen hat. Das Verpfänden
und Belaſten des Grund und Bodens ward in ein Syſtem
gebracht, das den Urgrund aller menſchlichen Verhältniſſe, die
Scholle, einem Handelsartikel gleichſtellte. Es wurde möglich,
daß einer durch Beleihung ſtiller Mitbeſitzer eines Stück
Landes ward. Dann mußte ihm der Eigentümer einen Teil
der Erträge abgeben, die er durch ſeine Arbeit dem Boden
abgerungen hatte, und jener genoß in der Ferne ohne Mühe
die Früchte fremden Bodens und fremden Schaffens.
So hatte ſich das undeutſche Recht, mit ſeinem egoiſtiſch¬
kalten, verſtandesmäßigen Formalismus wie ein Lavaſtrom
über die heimiſchen Einrichtungen ergoſſen, alles mit ſtarrer
Kruſte überdeckend, und auch die grünende Freiheit des bäuer¬
lichen Anſiedlers auf Nimmerwiederkehr vernichtend.
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/292>, abgerufen am 23.11.2024.
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