waren in ihren Wohnungen nicht aufzufinden, wahrscheinlich hielten sie sich versteckt. Der Entschluß, in die Fremde zu gehen, mochte sie nachträglich gereut haben. Von einer hieß es, daß sie sich einem anderen Trupp angeschlossen habe, der bereits zeitiger die Fahrt nach den Rübengütern angetreten hatte. Der Aufseheragent hatte also Recht behalten: es brannten immer einige durch.
Gut, daß Gustav noch den fünften Mann gefunden hatte in der Person eines polnischen Arbeiters. Rogalla, so hieß er, saß jetzt mit unzufriedener Polenmiene in einen Schafpelz gehüllt, mit langem, schwarzem Haupthaar und Schnurrbart, wie ein fremder Vogel unter den blonden Halbenauerinnen, und kaute Tabak.
Der frühen Stunde zum Trotze, hatte sich doch eine ganze Anzahl Leute aus dem Dorfe zusammengefunden, um Abschied von den Wanderern zu nehmen. Da wurde im letzten Augen¬ blicke noch alles mögliche herbeigeschleppt: Kleidungsstücke, Bett¬ zeug, Eßwaren. Auch einige junge Burschen hatten sich ein¬ funden, wohl ihrer Mädchen wegen, die in die Fremde gingen.
Den meisten wurde der Abschied schwerer, als sie es sich anmerken lassen wollten. Wer konnte wissen, was ihrer da draußen wartete! Und auch den Zurückbleibenden war das Herz schwer. Mancher junge Mann zagte, daß ihm die Ge¬ liebte, die er widerwillig ziehen ließ, in der Fremde die Treue brechen möchte. Manche Mahnung und Warnung wurde da noch durch Blick und Händedruck mit auf die Reise gegeben, ohne Worte, zu denen es keine Zeit mehr gab.
Der einzige von der ganzen Gesellschaft, dem es leicht um's Herz zu sein schien, war Häschkekarl. Heute hatte er wieder seinen buntscheckigen Vagabundenanzug angelegt. Den Hut verwegen auf einem Ohre, ein rotes Halstuch statt eines Kragens, sah er einem Stromer verzweifelt ähnlich. Jetzt wo es auf die Reise ging, fühlte er sich erst wieder wohl, und behaglich. Und diesmal sollte er noch dazu in guter Gesellschaft walzen. Eine ganze Mandel "Schicksen" waren mit -- so nannte er die Mädchen -- da würde sich's schon leben lassen.
waren in ihren Wohnungen nicht aufzufinden, wahrſcheinlich hielten ſie ſich verſteckt. Der Entſchluß, in die Fremde zu gehen, mochte ſie nachträglich gereut haben. Von einer hieß es, daß ſie ſich einem anderen Trupp angeſchloſſen habe, der bereits zeitiger die Fahrt nach den Rübengütern angetreten hatte. Der Aufſeheragent hatte alſo Recht behalten: es brannten immer einige durch.
Gut, daß Guſtav noch den fünften Mann gefunden hatte in der Perſon eines polniſchen Arbeiters. Rogalla, ſo hieß er, ſaß jetzt mit unzufriedener Polenmiene in einen Schafpelz gehüllt, mit langem, ſchwarzem Haupthaar und Schnurrbart, wie ein fremder Vogel unter den blonden Halbenauerinnen, und kaute Tabak.
Der frühen Stunde zum Trotze, hatte ſich doch eine ganze Anzahl Leute aus dem Dorfe zuſammengefunden, um Abſchied von den Wanderern zu nehmen. Da wurde im letzten Augen¬ blicke noch alles mögliche herbeigeſchleppt: Kleidungsſtücke, Bett¬ zeug, Eßwaren. Auch einige junge Burſchen hatten ſich ein¬ funden, wohl ihrer Mädchen wegen, die in die Fremde gingen.
Den meiſten wurde der Abſchied ſchwerer, als ſie es ſich anmerken laſſen wollten. Wer konnte wiſſen, was ihrer da draußen wartete! Und auch den Zurückbleibenden war das Herz ſchwer. Mancher junge Mann zagte, daß ihm die Ge¬ liebte, die er widerwillig ziehen ließ, in der Fremde die Treue brechen möchte. Manche Mahnung und Warnung wurde da noch durch Blick und Händedruck mit auf die Reiſe gegeben, ohne Worte, zu denen es keine Zeit mehr gab.
Der einzige von der ganzen Geſellſchaft, dem es leicht um's Herz zu ſein ſchien, war Häſchkekarl. Heute hatte er wieder ſeinen buntſcheckigen Vagabundenanzug angelegt. Den Hut verwegen auf einem Ohre, ein rotes Halstuch ſtatt eines Kragens, ſah er einem Stromer verzweifelt ähnlich. Jetzt wo es auf die Reiſe ging, fühlte er ſich erſt wieder wohl, und behaglich. Und diesmal ſollte er noch dazu in guter Geſellſchaft walzen. Eine ganze Mandel „Schickſen“ waren mit — ſo nannte er die Mädchen — da würde ſich's ſchon leben laſſen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0274"n="260"/>
waren in ihren Wohnungen nicht aufzufinden, wahrſcheinlich<lb/>
hielten ſie ſich verſteckt. Der Entſchluß, in die Fremde zu<lb/>
gehen, mochte ſie nachträglich gereut haben. Von einer hieß<lb/>
es, daß ſie ſich einem anderen Trupp angeſchloſſen habe, der<lb/>
bereits zeitiger die Fahrt nach den Rübengütern angetreten<lb/>
hatte. Der Aufſeheragent hatte alſo Recht behalten: es brannten<lb/>
immer einige durch.</p><lb/><p>Gut, daß Guſtav noch den fünften Mann gefunden hatte<lb/>
in der Perſon eines polniſchen Arbeiters. Rogalla, ſo hieß<lb/>
er, ſaß jetzt mit unzufriedener Polenmiene in einen Schafpelz<lb/>
gehüllt, mit langem, ſchwarzem Haupthaar und Schnurrbart,<lb/>
wie ein fremder Vogel unter den blonden Halbenauerinnen, und<lb/>
kaute Tabak.</p><lb/><p>Der frühen Stunde zum Trotze, hatte ſich doch eine ganze<lb/>
Anzahl Leute aus dem Dorfe zuſammengefunden, um Abſchied<lb/>
von den Wanderern zu nehmen. Da wurde im letzten Augen¬<lb/>
blicke noch alles mögliche herbeigeſchleppt: Kleidungsſtücke, Bett¬<lb/>
zeug, Eßwaren. Auch einige junge Burſchen hatten ſich ein¬<lb/>
funden, wohl ihrer Mädchen wegen, die in die Fremde gingen.</p><lb/><p>Den meiſten wurde der Abſchied ſchwerer, als ſie es ſich<lb/>
anmerken laſſen wollten. Wer konnte wiſſen, was ihrer da<lb/>
draußen wartete! Und auch den Zurückbleibenden war das<lb/>
Herz ſchwer. Mancher junge Mann zagte, daß ihm die Ge¬<lb/>
liebte, die er widerwillig ziehen ließ, in der Fremde die Treue<lb/>
brechen möchte. Manche Mahnung und Warnung wurde da<lb/>
noch durch Blick und Händedruck mit auf die Reiſe gegeben,<lb/>
ohne Worte, zu denen es keine Zeit mehr gab.</p><lb/><p>Der einzige von der ganzen Geſellſchaft, dem es leicht<lb/>
um's Herz zu ſein ſchien, war Häſchkekarl. Heute hatte er<lb/>
wieder ſeinen buntſcheckigen Vagabundenanzug angelegt. Den<lb/>
Hut verwegen auf einem Ohre, ein rotes Halstuch ſtatt eines<lb/>
Kragens, ſah er einem Stromer verzweifelt ähnlich. Jetzt wo<lb/>
es auf die Reiſe ging, fühlte er ſich erſt wieder wohl, und<lb/>
behaglich. Und diesmal ſollte er noch dazu in guter Geſellſchaft<lb/>
walzen. Eine ganze Mandel „Schickſen“ waren mit —ſo<lb/>
nannte er die Mädchen — da würde ſich's ſchon leben laſſen.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[260/0274]
waren in ihren Wohnungen nicht aufzufinden, wahrſcheinlich
hielten ſie ſich verſteckt. Der Entſchluß, in die Fremde zu
gehen, mochte ſie nachträglich gereut haben. Von einer hieß
es, daß ſie ſich einem anderen Trupp angeſchloſſen habe, der
bereits zeitiger die Fahrt nach den Rübengütern angetreten
hatte. Der Aufſeheragent hatte alſo Recht behalten: es brannten
immer einige durch.
Gut, daß Guſtav noch den fünften Mann gefunden hatte
in der Perſon eines polniſchen Arbeiters. Rogalla, ſo hieß
er, ſaß jetzt mit unzufriedener Polenmiene in einen Schafpelz
gehüllt, mit langem, ſchwarzem Haupthaar und Schnurrbart,
wie ein fremder Vogel unter den blonden Halbenauerinnen, und
kaute Tabak.
Der frühen Stunde zum Trotze, hatte ſich doch eine ganze
Anzahl Leute aus dem Dorfe zuſammengefunden, um Abſchied
von den Wanderern zu nehmen. Da wurde im letzten Augen¬
blicke noch alles mögliche herbeigeſchleppt: Kleidungsſtücke, Bett¬
zeug, Eßwaren. Auch einige junge Burſchen hatten ſich ein¬
funden, wohl ihrer Mädchen wegen, die in die Fremde gingen.
Den meiſten wurde der Abſchied ſchwerer, als ſie es ſich
anmerken laſſen wollten. Wer konnte wiſſen, was ihrer da
draußen wartete! Und auch den Zurückbleibenden war das
Herz ſchwer. Mancher junge Mann zagte, daß ihm die Ge¬
liebte, die er widerwillig ziehen ließ, in der Fremde die Treue
brechen möchte. Manche Mahnung und Warnung wurde da
noch durch Blick und Händedruck mit auf die Reiſe gegeben,
ohne Worte, zu denen es keine Zeit mehr gab.
Der einzige von der ganzen Geſellſchaft, dem es leicht
um's Herz zu ſein ſchien, war Häſchkekarl. Heute hatte er
wieder ſeinen buntſcheckigen Vagabundenanzug angelegt. Den
Hut verwegen auf einem Ohre, ein rotes Halstuch ſtatt eines
Kragens, ſah er einem Stromer verzweifelt ähnlich. Jetzt wo
es auf die Reiſe ging, fühlte er ſich erſt wieder wohl, und
behaglich. Und diesmal ſollte er noch dazu in guter Geſellſchaft
walzen. Eine ganze Mandel „Schickſen“ waren mit — ſo
nannte er die Mädchen — da würde ſich's ſchon leben laſſen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/274>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.