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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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sie ihn. Im Augenblicke selbst, wo sie das that, erschrak sie
über ihre Kühnheit.

Als sie die Wange des Alten berührt, hatte sie dort ganz
deutlich etwas Feuchtes gefühlt. Der Büttnerbauer weinte! --

Pauline fühlte es wie einen Stich in der Brust. Hier
saß der alte Mann, von allen verlassen, in seinem Kummer.
Wie lange mochte er schon so gesessen haben!

Sie hätte ihm so gern etwas Liebes gesagt; denn sie liebte
und verehrte ihn wirklich, wenn auch bisher nur aus der
Ferne. Aber, es fiel ihr nichts ein, womit sie sein Herz hätte
erfreuen können.

Schließlich fragte sie mit stockender Stimme nach der
Bäuerin. Im rauhen Tone erwiderte ihr der Bauer, das
Weibsvolk sei oben in der Kammer.

Pauline zündete erst noch die Lampe an, damit er doch
wenigstens nicht im Dunklen sitzen solle, und lief dann die
Treppe hinauf zum zweiten Stock, um die Bäuerin und Toni
zu begrüßen.

Auf der obersten Stufe der Holzstiege angelangt, hörte
sie Töne, die der jungen Frau alles Blut zum Herzen trieben.
Sie blieb mit zitternden Knieen stehen und lauschte atemlos:
dünnes, quäkendes Geschrei.

Tonis Kind war angekommen.


Es war ein feuchtwarmer Aprilmorgen, an welchem die
Sachsengänger aus Halbenau aufbrachen, zur Reise nach dem
Westen. Ein Himmel wie Wolle. Hin und wieder matte
Sonnenblicke, wie verschlafen, durch grämliche Nebel.

Auf einem Leiterwagen kauerten sie bei einander, Männer
und Weiber, mit ihren Habseligkeiten. Die Mädchen saßen auf
Laden und Federbetten, die Burschen hatten leichtere Bündel
zwischen den Knieen. Vorn beim Kutscher, auf einem bevorzugten
Platze, saß Pauline, ihren Jungen im Schoße, neben ihr Ernestine.

Gustav ging umher, die Uhr in der Hand, und hielt be¬
sorgt Umschau. Drei von seinen Mädchen fehlten ihm; sie

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ſie ihn. Im Augenblicke ſelbſt, wo ſie das that, erſchrak ſie
über ihre Kühnheit.

Als ſie die Wange des Alten berührt, hatte ſie dort ganz
deutlich etwas Feuchtes gefühlt. Der Büttnerbauer weinte! —

Pauline fühlte es wie einen Stich in der Bruſt. Hier
ſaß der alte Mann, von allen verlaſſen, in ſeinem Kummer.
Wie lange mochte er ſchon ſo geſeſſen haben!

Sie hätte ihm ſo gern etwas Liebes geſagt; denn ſie liebte
und verehrte ihn wirklich, wenn auch bisher nur aus der
Ferne. Aber, es fiel ihr nichts ein, womit ſie ſein Herz hätte
erfreuen können.

Schließlich fragte ſie mit ſtockender Stimme nach der
Bäuerin. Im rauhen Tone erwiderte ihr der Bauer, das
Weibsvolk ſei oben in der Kammer.

Pauline zündete erſt noch die Lampe an, damit er doch
wenigſtens nicht im Dunklen ſitzen ſolle, und lief dann die
Treppe hinauf zum zweiten Stock, um die Bäuerin und Toni
zu begrüßen.

Auf der oberſten Stufe der Holzſtiege angelangt, hörte
ſie Töne, die der jungen Frau alles Blut zum Herzen trieben.
Sie blieb mit zitternden Knieen ſtehen und lauſchte atemlos:
dünnes, quäkendes Geſchrei.

Tonis Kind war angekommen.


Es war ein feuchtwarmer Aprilmorgen, an welchem die
Sachſengänger aus Halbenau aufbrachen, zur Reiſe nach dem
Weſten. Ein Himmel wie Wolle. Hin und wieder matte
Sonnenblicke, wie verſchlafen, durch grämliche Nebel.

Auf einem Leiterwagen kauerten ſie bei einander, Männer
und Weiber, mit ihren Habſeligkeiten. Die Mädchen ſaßen auf
Laden und Federbetten, die Burſchen hatten leichtere Bündel
zwiſchen den Knieen. Vorn beim Kutſcher, auf einem bevorzugten
Platze, ſaß Pauline, ihren Jungen im Schoße, neben ihr Erneſtine.

Guſtav ging umher, die Uhr in der Hand, und hielt be¬
ſorgt Umſchau. Drei von ſeinen Mädchen fehlten ihm; ſie

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[259/0273] ſie ihn. Im Augenblicke ſelbſt, wo ſie das that, erſchrak ſie über ihre Kühnheit. Als ſie die Wange des Alten berührt, hatte ſie dort ganz deutlich etwas Feuchtes gefühlt. Der Büttnerbauer weinte! — Pauline fühlte es wie einen Stich in der Bruſt. Hier ſaß der alte Mann, von allen verlaſſen, in ſeinem Kummer. Wie lange mochte er ſchon ſo geſeſſen haben! Sie hätte ihm ſo gern etwas Liebes geſagt; denn ſie liebte und verehrte ihn wirklich, wenn auch bisher nur aus der Ferne. Aber, es fiel ihr nichts ein, womit ſie ſein Herz hätte erfreuen können. Schließlich fragte ſie mit ſtockender Stimme nach der Bäuerin. Im rauhen Tone erwiderte ihr der Bauer, das Weibsvolk ſei oben in der Kammer. Pauline zündete erſt noch die Lampe an, damit er doch wenigſtens nicht im Dunklen ſitzen ſolle, und lief dann die Treppe hinauf zum zweiten Stock, um die Bäuerin und Toni zu begrüßen. Auf der oberſten Stufe der Holzſtiege angelangt, hörte ſie Töne, die der jungen Frau alles Blut zum Herzen trieben. Sie blieb mit zitternden Knieen ſtehen und lauſchte atemlos: dünnes, quäkendes Geſchrei. Tonis Kind war angekommen. Es war ein feuchtwarmer Aprilmorgen, an welchem die Sachſengänger aus Halbenau aufbrachen, zur Reiſe nach dem Weſten. Ein Himmel wie Wolle. Hin und wieder matte Sonnenblicke, wie verſchlafen, durch grämliche Nebel. Auf einem Leiterwagen kauerten ſie bei einander, Männer und Weiber, mit ihren Habſeligkeiten. Die Mädchen ſaßen auf Laden und Federbetten, die Burſchen hatten leichtere Bündel zwiſchen den Knieen. Vorn beim Kutſcher, auf einem bevorzugten Platze, ſaß Pauline, ihren Jungen im Schoße, neben ihr Erneſtine. Guſtav ging umher, die Uhr in der Hand, und hielt be¬ ſorgt Umſchau. Drei von ſeinen Mädchen fehlten ihm; ſie 17*

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/273>, abgerufen am 24.11.2024.