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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Sie könnten ihren ganzen Lohn zurücklegen, da sie alles gelie¬
fert bekämen und keinerlei Ausgaben hätten. Die meisten
Mädchen brächten im Herbst ihre dreihundert Mark zurück,
er kenne auch welche, die es bis zu fünfhundert gebracht
hätten. Viele Mädchen verdienten sich auf diese Weise ihre
Ausstattung.

Die Mädchen sagten nicht viel, aber ihren Mienen war
es leicht abzusehen, daß sie große Lust hatten, der Lockpfeife
des Fremden zu folgen.

Gustav hatte sich anfangs nicht viel darum gekümmert,
was in jener Ecke vorgehe. Er war darüber, den Kontrakt
durchzulesen, welchen der Agent ausgelegt hatte. Es befanden
sich noch keine Unterschriften darunter. Als er dann nach der
Mädchenecke hinüberblickte, erkannte er zu seiner nicht geringen
Verwunderung seine eigene Schwester, Ernestine, die sich in
der Gruppe befand. Sie saß unter den Vordersten und folgte
den Reden des Werbers mit gespannter Aufmerksamkeit. Wollte
die sich etwa gar verdingen? Er trat hinter den Agenten; er
wollte doch einmal genauer feststellen, was der den Mädeln
eigentlich vorschwatze.

Der Werber war gerade dabei, auseinanderzusetzen,
welche Lebensweise ihrer in Sachsen harre. Sie wohnten
gemeinsam in besonderen Häusern, auch Kasernen genannt.
Ihre Betten und Kleider könnten sie sich mitbringen, für
alles andere sei gesorgt. Die Lebensmittel bekämen sie ge¬
liefert. Früh, ehe es zur Arbeit ging, setze man sich seinen
Topf an. Ein Mädchen bleibe zurück, um nach dem Feuer zu
sehen und die Töpfe zu rücken. Den Abend hätten sie ganz
für sich, ebenso den Sonntag.

Der Mann verstand es, das Leben der Sommerarbeiter in
der angenehmsten Weise zu schildern. -- Dann begann er von der
Arbeit zu sprechen, für die sie gemietet würden. Er meinte, die
sei leicht, jedenfalls ein Kinderspiel im Vergleich zu dem, was man
in dieser Gegend von den Frauen verlange. Rüben hacken und
verziehen, zur Erntezeit Getreide abraffen und binden, und im
Herbste Kartoffeln ausmachen und Rüben roden. All' die

W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 15

Sie könnten ihren ganzen Lohn zurücklegen, da ſie alles gelie¬
fert bekämen und keinerlei Ausgaben hätten. Die meiſten
Mädchen brächten im Herbſt ihre dreihundert Mark zurück,
er kenne auch welche, die es bis zu fünfhundert gebracht
hätten. Viele Mädchen verdienten ſich auf dieſe Weiſe ihre
Ausſtattung.

Die Mädchen ſagten nicht viel, aber ihren Mienen war
es leicht abzuſehen, daß ſie große Luſt hatten, der Lockpfeife
des Fremden zu folgen.

Guſtav hatte ſich anfangs nicht viel darum gekümmert,
was in jener Ecke vorgehe. Er war darüber, den Kontrakt
durchzuleſen, welchen der Agent ausgelegt hatte. Es befanden
ſich noch keine Unterſchriften darunter. Als er dann nach der
Mädchenecke hinüberblickte, erkannte er zu ſeiner nicht geringen
Verwunderung ſeine eigene Schweſter, Erneſtine, die ſich in
der Gruppe befand. Sie ſaß unter den Vorderſten und folgte
den Reden des Werbers mit geſpannter Aufmerkſamkeit. Wollte
die ſich etwa gar verdingen? Er trat hinter den Agenten; er
wollte doch einmal genauer feſtſtellen, was der den Mädeln
eigentlich vorſchwatze.

Der Werber war gerade dabei, auseinanderzuſetzen,
welche Lebensweiſe ihrer in Sachſen harre. Sie wohnten
gemeinſam in beſonderen Häuſern, auch Kaſernen genannt.
Ihre Betten und Kleider könnten ſie ſich mitbringen, für
alles andere ſei geſorgt. Die Lebensmittel bekämen ſie ge¬
liefert. Früh, ehe es zur Arbeit ging, ſetze man ſich ſeinen
Topf an. Ein Mädchen bleibe zurück, um nach dem Feuer zu
ſehen und die Töpfe zu rücken. Den Abend hätten ſie ganz
für ſich, ebenſo den Sonntag.

Der Mann verſtand es, das Leben der Sommerarbeiter in
der angenehmſten Weiſe zu ſchildern. — Dann begann er von der
Arbeit zu ſprechen, für die ſie gemietet würden. Er meinte, die
ſei leicht, jedenfalls ein Kinderſpiel im Vergleich zu dem, was man
in dieſer Gegend von den Frauen verlange. Rüben hacken und
verziehen, zur Erntezeit Getreide abraffen und binden, und im
Herbſte Kartoffeln ausmachen und Rüben roden. All' die

W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 15
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[225/0239] Sie könnten ihren ganzen Lohn zurücklegen, da ſie alles gelie¬ fert bekämen und keinerlei Ausgaben hätten. Die meiſten Mädchen brächten im Herbſt ihre dreihundert Mark zurück, er kenne auch welche, die es bis zu fünfhundert gebracht hätten. Viele Mädchen verdienten ſich auf dieſe Weiſe ihre Ausſtattung. Die Mädchen ſagten nicht viel, aber ihren Mienen war es leicht abzuſehen, daß ſie große Luſt hatten, der Lockpfeife des Fremden zu folgen. Guſtav hatte ſich anfangs nicht viel darum gekümmert, was in jener Ecke vorgehe. Er war darüber, den Kontrakt durchzuleſen, welchen der Agent ausgelegt hatte. Es befanden ſich noch keine Unterſchriften darunter. Als er dann nach der Mädchenecke hinüberblickte, erkannte er zu ſeiner nicht geringen Verwunderung ſeine eigene Schweſter, Erneſtine, die ſich in der Gruppe befand. Sie ſaß unter den Vorderſten und folgte den Reden des Werbers mit geſpannter Aufmerkſamkeit. Wollte die ſich etwa gar verdingen? Er trat hinter den Agenten; er wollte doch einmal genauer feſtſtellen, was der den Mädeln eigentlich vorſchwatze. Der Werber war gerade dabei, auseinanderzuſetzen, welche Lebensweiſe ihrer in Sachſen harre. Sie wohnten gemeinſam in beſonderen Häuſern, auch Kaſernen genannt. Ihre Betten und Kleider könnten ſie ſich mitbringen, für alles andere ſei geſorgt. Die Lebensmittel bekämen ſie ge¬ liefert. Früh, ehe es zur Arbeit ging, ſetze man ſich ſeinen Topf an. Ein Mädchen bleibe zurück, um nach dem Feuer zu ſehen und die Töpfe zu rücken. Den Abend hätten ſie ganz für ſich, ebenſo den Sonntag. Der Mann verſtand es, das Leben der Sommerarbeiter in der angenehmſten Weiſe zu ſchildern. — Dann begann er von der Arbeit zu ſprechen, für die ſie gemietet würden. Er meinte, die ſei leicht, jedenfalls ein Kinderſpiel im Vergleich zu dem, was man in dieſer Gegend von den Frauen verlange. Rüben hacken und verziehen, zur Erntezeit Getreide abraffen und binden, und im Herbſte Kartoffeln ausmachen und Rüben roden. All' die W. v. Polenz, Der Büttnerbauer. 15

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/239>, abgerufen am 25.11.2024.