milie herbei: der Vetter, welchen Gustav vom Laden her kannte, und eine Cousine. Eine Anzahl anderer Kinder hatte geheiratet und befand sich außer dem Hause. Die Cousine war das jüngste Kind der Ehe, und stand im Anfang der zwanzig. Sie hätte können hübsch sein, wenn sie nicht die kleinen ver¬ steckten Augen der Mutter geerbt hätte. Auch sie hatte kaum einen Gruß für den Vetter übrig. Das war die richtige Stadt¬ dame! Mit ihrer engen Taille, der hohen Frisur, und den wohlgepflegten Händen. Wenn Gustav damit seine Schwester verglich -- und das war doch Geschwisterkind!
Es wurde ihm plötzlich sehr unbehaglich zu Mute. Mit diesen Leuten hatte er kaum etwas mehr gemein, als den Namen. Die ganze Umgebung mutete ihn fremd an: die polierten Tische, die Spiegel, die Sammetpolster. Überall Decken und Teppiche, als schäme man sich des einfachen Holzes. Dort stand sogar ein Piano, und auf einem Tischchen lagen Bücher in bunten Einbänden. Wie konnten sich die Leute nur wohl¬ fühlen, umgeben von solchem Krimskrams! Man mußte sich ja fürchten, hier einen Schritt zu thun, oder sich zu setzen, aus Angst, etwas dabei zu verderben. Das war doch ganz etwas anderes, daheim, in der Familienstube. Da hatte jedes Ding seinen Zweck. Und auch mit den Leuten war man da besser daran, so wollte es Gustav scheinen; weniger fein waren sie allerdings als diese, aber sie waren offen und einfach, und nicht geziert und heimlich, wie die Sippe hier!
Es wurde zu Tisch gegangen. Gustav saß neben dem Onkel. Das war sein Glück; denn der hatte doch hin und wieder ein freundliches Wort für ihn. Die Tante ließ es bei mißgünstigen Blicken bewenden. Vetter und Cousine unter¬ hielten sich die meiste Zeit über mit einem Eifer, als bekämen sie sich sonst niemals zu sehen. Dem Tone ihrer Unter¬ haltung merkte man die Schadenfreude an, darüber, daß der dumme Bauer doch nichts von dem verstehen könne, wovon sie sprachen.
Gustav dachte im Stillen, daß die Teller wohl nicht so oft gewechselt zu werden brauchten, aber, daß es dafür lieber
milie herbei: der Vetter, welchen Guſtav vom Laden her kannte, und eine Couſine. Eine Anzahl anderer Kinder hatte geheiratet und befand ſich außer dem Hauſe. Die Couſine war das jüngſte Kind der Ehe, und ſtand im Anfang der zwanzig. Sie hätte können hübſch ſein, wenn ſie nicht die kleinen ver¬ ſteckten Augen der Mutter geerbt hätte. Auch ſie hatte kaum einen Gruß für den Vetter übrig. Das war die richtige Stadt¬ dame! Mit ihrer engen Taille, der hohen Friſur, und den wohlgepflegten Händen. Wenn Guſtav damit ſeine Schweſter verglich — und das war doch Geſchwiſterkind!
Es wurde ihm plötzlich ſehr unbehaglich zu Mute. Mit dieſen Leuten hatte er kaum etwas mehr gemein, als den Namen. Die ganze Umgebung mutete ihn fremd an: die polierten Tiſche, die Spiegel, die Sammetpolſter. Überall Decken und Teppiche, als ſchäme man ſich des einfachen Holzes. Dort ſtand ſogar ein Piano, und auf einem Tiſchchen lagen Bücher in bunten Einbänden. Wie konnten ſich die Leute nur wohl¬ fühlen, umgeben von ſolchem Krimskrams! Man mußte ſich ja fürchten, hier einen Schritt zu thun, oder ſich zu ſetzen, aus Angſt, etwas dabei zu verderben. Das war doch ganz etwas anderes, daheim, in der Familienſtube. Da hatte jedes Ding ſeinen Zweck. Und auch mit den Leuten war man da beſſer daran, ſo wollte es Guſtav ſcheinen; weniger fein waren ſie allerdings als dieſe, aber ſie waren offen und einfach, und nicht geziert und heimlich, wie die Sippe hier!
Es wurde zu Tiſch gegangen. Guſtav ſaß neben dem Onkel. Das war ſein Glück; denn der hatte doch hin und wieder ein freundliches Wort für ihn. Die Tante ließ es bei mißgünſtigen Blicken bewenden. Vetter und Couſine unter¬ hielten ſich die meiſte Zeit über mit einem Eifer, als bekämen ſie ſich ſonſt niemals zu ſehen. Dem Tone ihrer Unter¬ haltung merkte man die Schadenfreude an, darüber, daß der dumme Bauer doch nichts von dem verſtehen könne, wovon ſie ſprachen.
Guſtav dachte im Stillen, daß die Teller wohl nicht ſo oft gewechſelt zu werden brauchten, aber, daß es dafür lieber
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milie herbei: der Vetter, welchen Guſtav vom Laden her
kannte, und eine Couſine. Eine Anzahl anderer Kinder hatte
geheiratet und befand ſich außer dem Hauſe. Die Couſine war
das jüngſte Kind der Ehe, und ſtand im Anfang der zwanzig.
Sie hätte können hübſch ſein, wenn ſie nicht die kleinen ver¬
ſteckten Augen der Mutter geerbt hätte. Auch ſie hatte kaum
einen Gruß für den Vetter übrig. Das war die richtige Stadt¬
dame! Mit ihrer engen Taille, der hohen Friſur, und den
wohlgepflegten Händen. Wenn Guſtav damit ſeine Schweſter
verglich — und das war doch Geſchwiſterkind!
Es wurde ihm plötzlich ſehr unbehaglich zu Mute. Mit
dieſen Leuten hatte er kaum etwas mehr gemein, als den
Namen. Die ganze Umgebung mutete ihn fremd an: die
polierten Tiſche, die Spiegel, die Sammetpolſter. Überall Decken
und Teppiche, als ſchäme man ſich des einfachen Holzes. Dort
ſtand ſogar ein Piano, und auf einem Tiſchchen lagen Bücher
in bunten Einbänden. Wie konnten ſich die Leute nur wohl¬
fühlen, umgeben von ſolchem Krimskrams! Man mußte ſich
ja fürchten, hier einen Schritt zu thun, oder ſich zu ſetzen, aus
Angſt, etwas dabei zu verderben. Das war doch ganz etwas
anderes, daheim, in der Familienſtube. Da hatte jedes Ding
ſeinen Zweck. Und auch mit den Leuten war man da beſſer
daran, ſo wollte es Guſtav ſcheinen; weniger fein waren ſie
allerdings als dieſe, aber ſie waren offen und einfach, und
nicht geziert und heimlich, wie die Sippe hier!
Es wurde zu Tiſch gegangen. Guſtav ſaß neben dem
Onkel. Das war ſein Glück; denn der hatte doch hin und
wieder ein freundliches Wort für ihn. Die Tante ließ es bei
mißgünſtigen Blicken bewenden. Vetter und Couſine unter¬
hielten ſich die meiſte Zeit über mit einem Eifer, als bekämen
ſie ſich ſonſt niemals zu ſehen. Dem Tone ihrer Unter¬
haltung merkte man die Schadenfreude an, darüber, daß der
dumme Bauer doch nichts von dem verſtehen könne, wovon ſie
ſprachen.
Guſtav dachte im Stillen, daß die Teller wohl nicht ſo
oft gewechſelt zu werden brauchten, aber, daß es dafür lieber
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/194>, abgerufen am 05.12.2024.
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