daß gewöhnliche Leute vom Kastellan garnicht erst zum vorderen Portal eingelassen wurden. Für ihresgleichen gab es einen besonderen Eingang durch das Hinterportal. Sie wollte auch zunächst nur die gräfliche Wirtschafterin besuchen, Mamsell Bu¬ mille, die mit ihrer Mutter gut bekannt war, und die sie selbst auch kannte von jener Zeit her, wo sie auf dem Hofe gearbeitet hatte. Mit Mamsell Bumille wollte sie erst Rücksprache nehmen, und hören, ob Komtesse Ida überhaupt anwesend und ob sie allein sei. Das Mädchen war sich noch gar nicht im Reinen darüber, ob sie den Besuch bei der Komtesse nicht schließlich doch unterbleiben lassen solle.
So näherte sie sich auf Seitenpfaden dem Schlosse, einem mächtigen Steinviereck mit hohen, kahlen Wänden, kleinen weißeingerahmten Fenstern und einem klobigen Turm, der jäh aus einer Ecke aufsprang, wie ein schützender Riese. Von ge¬ schmackvoller Gliederung war an diesem Bau nichts zu spüren, aber das Ganze wirkte durch seine Masse und Wucht im¬ ponierend.
Dem Mädchen klopfte das Herz gewaltig. Der Anblick des Schlosses hatte immer etwas Erdrückendes für sie ge¬ habt. Daß es auch nur ein Bau sei, von Menschen auf¬ geführt, zur Behausung für Menschen bestimmt, nur größer und fester als ihre armselige Hütte, ein solcher Gedanke war ihr noch nie gekommen. Das Schloß war eben das Schloß für sie. Seinesgleichen gab es nicht auf der Welt, und seine Bewohner waren höhere Wesen, die, mit gewöhnlichen Sterb¬ lichen zu vergleichen, ihr nicht im Traume eingefallen wäre.
Der hintere Thorweg war offen. Pauline gelangte durch eine gewölbte Einfahrt in den viereckigen Schloßhof, der mit großen Steinplatten ausgelegt war. Die Innenwände des Schlosses waren von hundertjährigem Epheu bis zum dritten Stockwerk dicht überzogen. Nur die Fenster wurden frei¬ gelassen von dem dunkelgrünen Geranke. Dicht am Erdboden zeigten diese Epheustöcke einen Durchmesser von Armesstärke. Über Thüren und Fenstern waren Hirschgeweihe von beträcht¬ licher Endenzahl angebracht. Ein Paar dorische Säulen, die
daß gewöhnliche Leute vom Kaſtellan garnicht erſt zum vorderen Portal eingelaſſen wurden. Für ihresgleichen gab es einen beſonderen Eingang durch das Hinterportal. Sie wollte auch zunächſt nur die gräfliche Wirtſchafterin beſuchen, Mamſell Bu¬ mille, die mit ihrer Mutter gut bekannt war, und die ſie ſelbſt auch kannte von jener Zeit her, wo ſie auf dem Hofe gearbeitet hatte. Mit Mamſell Bumille wollte ſie erſt Rückſprache nehmen, und hören, ob Komteſſe Ida überhaupt anweſend und ob ſie allein ſei. Das Mädchen war ſich noch gar nicht im Reinen darüber, ob ſie den Beſuch bei der Komteſſe nicht ſchließlich doch unterbleiben laſſen ſolle.
So näherte ſie ſich auf Seitenpfaden dem Schloſſe, einem mächtigen Steinviereck mit hohen, kahlen Wänden, kleinen weißeingerahmten Fenſtern und einem klobigen Turm, der jäh aus einer Ecke aufſprang, wie ein ſchützender Rieſe. Von ge¬ ſchmackvoller Gliederung war an dieſem Bau nichts zu ſpüren, aber das Ganze wirkte durch ſeine Maſſe und Wucht im¬ ponierend.
Dem Mädchen klopfte das Herz gewaltig. Der Anblick des Schloſſes hatte immer etwas Erdrückendes für ſie ge¬ habt. Daß es auch nur ein Bau ſei, von Menſchen auf¬ geführt, zur Behauſung für Menſchen beſtimmt, nur größer und feſter als ihre armſelige Hütte, ein ſolcher Gedanke war ihr noch nie gekommen. Das Schloß war eben das Schloß für ſie. Seinesgleichen gab es nicht auf der Welt, und ſeine Bewohner waren höhere Weſen, die, mit gewöhnlichen Sterb¬ lichen zu vergleichen, ihr nicht im Traume eingefallen wäre.
Der hintere Thorweg war offen. Pauline gelangte durch eine gewölbte Einfahrt in den viereckigen Schloßhof, der mit großen Steinplatten ausgelegt war. Die Innenwände des Schloſſes waren von hundertjährigem Epheu bis zum dritten Stockwerk dicht überzogen. Nur die Fenſter wurden frei¬ gelaſſen von dem dunkelgrünen Geranke. Dicht am Erdboden zeigten dieſe Epheuſtöcke einen Durchmeſſer von Armesſtärke. Über Thüren und Fenſtern waren Hirſchgeweihe von beträcht¬ licher Endenzahl angebracht. Ein Paar doriſche Säulen, die
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daß gewöhnliche Leute vom Kaſtellan garnicht erſt zum vorderen
Portal eingelaſſen wurden. Für ihresgleichen gab es einen
beſonderen Eingang durch das Hinterportal. Sie wollte auch
zunächſt nur die gräfliche Wirtſchafterin beſuchen, Mamſell Bu¬
mille, die mit ihrer Mutter gut bekannt war, und die ſie ſelbſt
auch kannte von jener Zeit her, wo ſie auf dem Hofe gearbeitet
hatte. Mit Mamſell Bumille wollte ſie erſt Rückſprache nehmen,
und hören, ob Komteſſe Ida überhaupt anweſend und ob ſie
allein ſei. Das Mädchen war ſich noch gar nicht im Reinen
darüber, ob ſie den Beſuch bei der Komteſſe nicht ſchließlich
doch unterbleiben laſſen ſolle.
So näherte ſie ſich auf Seitenpfaden dem Schloſſe, einem
mächtigen Steinviereck mit hohen, kahlen Wänden, kleinen
weißeingerahmten Fenſtern und einem klobigen Turm, der jäh
aus einer Ecke aufſprang, wie ein ſchützender Rieſe. Von ge¬
ſchmackvoller Gliederung war an dieſem Bau nichts zu ſpüren,
aber das Ganze wirkte durch ſeine Maſſe und Wucht im¬
ponierend.
Dem Mädchen klopfte das Herz gewaltig. Der Anblick
des Schloſſes hatte immer etwas Erdrückendes für ſie ge¬
habt. Daß es auch nur ein Bau ſei, von Menſchen auf¬
geführt, zur Behauſung für Menſchen beſtimmt, nur größer
und feſter als ihre armſelige Hütte, ein ſolcher Gedanke war
ihr noch nie gekommen. Das Schloß war eben das Schloß
für ſie. Seinesgleichen gab es nicht auf der Welt, und ſeine
Bewohner waren höhere Weſen, die, mit gewöhnlichen Sterb¬
lichen zu vergleichen, ihr nicht im Traume eingefallen wäre.
Der hintere Thorweg war offen. Pauline gelangte durch
eine gewölbte Einfahrt in den viereckigen Schloßhof, der mit
großen Steinplatten ausgelegt war. Die Innenwände des
Schloſſes waren von hundertjährigem Epheu bis zum dritten
Stockwerk dicht überzogen. Nur die Fenſter wurden frei¬
gelaſſen von dem dunkelgrünen Geranke. Dicht am Erdboden
zeigten dieſe Epheuſtöcke einen Durchmeſſer von Armesſtärke.
Über Thüren und Fenſtern waren Hirſchgeweihe von beträcht¬
licher Endenzahl angebracht. Ein Paar doriſche Säulen, die
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/112>, abgerufen am 23.11.2024.
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