Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite
ppo_446.001
Für Jeden sich der blaue Aether, weht ppo_446.002
Mit kräft'gem Lebenshauch um seine Stirn. ppo_446.003
Es flimmert Jedem doch der Stern des Rechts, ppo_446.004
Und Jedem schallt die Stimme des Gefühls!"
ppo_446.005

b) der Paramythie.

ppo_446.006

1) von v. Herder.

ppo_446.007

Der sterbende Schwan.

ppo_446.008

"Muß ich allein denn stumm und gesanglos seyn? ppo_446.009
sprach seufzend der stille Schwan zu sich, und badete ppo_446.010
sich im stillen Glanze der schönsten Abendröthe; beinahe ppo_446.011
ich allein im ganzen Reiche der gefiederten Schaaren. ppo_446.012
Zwar der schnatternden Gans und der gluckenden Henne ppo_446.013
und dem krächzenden Pfau beneide ich ihre Stimmen ppo_446.014
nicht; aber dir, o sanfte Philomele, beneide ich sie, ppo_446.015
wenn ich, wie festgehalten durch dieselbe, langsamer ppo_446.016
meine Wellen ziehe, und mich im Abglanze des Himmels ppo_446.017
trunken verweile. -- Wie wollte ich dich singen, goldene ppo_446.018
Abendsonne! dein schönes Licht und meine Seligkeit ppo_446.019
singen, mich in den Spiegel deines Rosenantlitzes ppo_446.020
niedertauchen und sterben."

ppo_446.021

Stillentzückt tauchte der Schwan nieder, und kaum ppo_446.022
hob er sich aus den Wellen wieder empor, als eine leuchtende ppo_446.023
Gestalt, die am Ufer stand, ihn freundlich zu sich ppo_446.024
lockte. Es war der Gott der Abend=und Morgensonne, ppo_446.025
der schöne Phöbus. "Keusches, liebliches Wesen, sprach ppo_446.026
er, die Bitte ist dir gewährt, die du so oft in deiner ppo_446.027
verschwiegenen Brust nährtest, und sie konnte dir nicht ppo_446.028
eher gewährt werden."

ppo_446.029

Kaum hatte er das Wort gesagt; so berührte er den ppo_446.030
Schwan mit seiner Leier, und stimmte auf ihr den Ton ppo_446.031
der Unsterblichen an. Entzückend durchdrang der Ton ppo_446.032
den Vogel Apollo's, und aufgelöset und ergossen sang

ppo_446.001
Für Jeden sich der blaue Aether, weht ppo_446.002
Mit kräft'gem Lebenshauch um seine Stirn. ppo_446.003
Es flimmert Jedem doch der Stern des Rechts, ppo_446.004
Und Jedem schallt die Stimme des Gefühls!“
ppo_446.005

b) der Paramythie.

ppo_446.006

1) von v. Herder.

ppo_446.007

Der sterbende Schwan.

ppo_446.008

„Muß ich allein denn stumm und gesanglos seyn? ppo_446.009
sprach seufzend der stille Schwan zu sich, und badete ppo_446.010
sich im stillen Glanze der schönsten Abendröthe; beinahe ppo_446.011
ich allein im ganzen Reiche der gefiederten Schaaren. ppo_446.012
Zwar der schnatternden Gans und der gluckenden Henne ppo_446.013
und dem krächzenden Pfau beneide ich ihre Stimmen ppo_446.014
nicht; aber dir, o sanfte Philomele, beneide ich sie, ppo_446.015
wenn ich, wie festgehalten durch dieselbe, langsamer ppo_446.016
meine Wellen ziehe, und mich im Abglanze des Himmels ppo_446.017
trunken verweile. — Wie wollte ich dich singen, goldene ppo_446.018
Abendsonne! dein schönes Licht und meine Seligkeit ppo_446.019
singen, mich in den Spiegel deines Rosenantlitzes ppo_446.020
niedertauchen und sterben.“

ppo_446.021

Stillentzückt tauchte der Schwan nieder, und kaum ppo_446.022
hob er sich aus den Wellen wieder empor, als eine leuchtende ppo_446.023
Gestalt, die am Ufer stand, ihn freundlich zu sich ppo_446.024
lockte. Es war der Gott der Abend=und Morgensonne, ppo_446.025
der schöne Phöbus. „Keusches, liebliches Wesen, sprach ppo_446.026
er, die Bitte ist dir gewährt, die du so oft in deiner ppo_446.027
verschwiegenen Brust nährtest, und sie konnte dir nicht ppo_446.028
eher gewährt werden.“

ppo_446.029

Kaum hatte er das Wort gesagt; so berührte er den ppo_446.030
Schwan mit seiner Leier, und stimmte auf ihr den Ton ppo_446.031
der Unsterblichen an. Entzückend durchdrang der Ton ppo_446.032
den Vogel Apollo's, und aufgelöset und ergossen sang

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0458" n="446"/>
          <lb n="ppo_446.001"/>
          <lg>
            <l>Für Jeden sich der blaue Aether, weht</l>
            <lb n="ppo_446.002"/>
            <l>Mit kräft'gem Lebenshauch um seine Stirn.</l>
            <lb n="ppo_446.003"/>
            <l>Es flimmert Jedem doch der Stern des Rechts,</l>
            <lb n="ppo_446.004"/>
            <l>Und Jedem schallt die Stimme des Gefühls!&#x201C;</l>
          </lg>
          <lb n="ppo_446.005"/>
          <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">b</hi>) <hi rendition="#g">der Paramythie.</hi></hi> </p>
          <lb n="ppo_446.006"/>
          <p> <hi rendition="#et">  1) von v. <hi rendition="#g">Herder.</hi></hi> </p>
          <lb n="ppo_446.007"/>
          <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Der sterbende Schwan.</hi> </hi> </p>
          <lb n="ppo_446.008"/>
          <p> <hi rendition="#et">  &#x201E;Muß ich allein denn stumm und gesanglos seyn? <lb n="ppo_446.009"/>sprach seufzend der stille Schwan zu sich, und badete <lb n="ppo_446.010"/>sich im stillen Glanze der schönsten Abendröthe; beinahe <lb n="ppo_446.011"/>ich allein im ganzen Reiche der gefiederten Schaaren. <lb n="ppo_446.012"/>Zwar der schnatternden Gans und der gluckenden Henne <lb n="ppo_446.013"/>und dem krächzenden Pfau beneide ich ihre Stimmen <lb n="ppo_446.014"/>nicht; aber dir, o sanfte Philomele, beneide ich sie, <lb n="ppo_446.015"/>wenn ich, wie festgehalten durch dieselbe, langsamer <lb n="ppo_446.016"/>meine Wellen ziehe, und mich im Abglanze des Himmels <lb n="ppo_446.017"/>trunken verweile. &#x2014; Wie wollte ich dich singen, goldene <lb n="ppo_446.018"/>Abendsonne! dein schönes Licht und meine Seligkeit <lb n="ppo_446.019"/>singen, mich in den Spiegel deines Rosenantlitzes <lb n="ppo_446.020"/>niedertauchen und sterben.&#x201C;</hi> </p>
          <lb n="ppo_446.021"/>
          <p> <hi rendition="#et">  Stillentzückt tauchte der Schwan nieder, und kaum <lb n="ppo_446.022"/>hob er sich aus den Wellen wieder empor, als eine leuchtende <lb n="ppo_446.023"/>Gestalt, die am Ufer stand, ihn freundlich zu sich <lb n="ppo_446.024"/>lockte. Es war der Gott der Abend=und Morgensonne, <lb n="ppo_446.025"/>der schöne Phöbus. &#x201E;Keusches, liebliches Wesen, sprach <lb n="ppo_446.026"/>er, die Bitte ist dir gewährt, die du so oft in deiner <lb n="ppo_446.027"/>verschwiegenen Brust nährtest, und sie konnte dir nicht <lb n="ppo_446.028"/>eher gewährt werden.&#x201C;</hi> </p>
          <lb n="ppo_446.029"/>
          <p> <hi rendition="#et">  Kaum hatte er das Wort gesagt; so berührte er den <lb n="ppo_446.030"/>Schwan mit seiner Leier, und stimmte auf ihr den Ton <lb n="ppo_446.031"/>der Unsterblichen an. Entzückend durchdrang der Ton <lb n="ppo_446.032"/>den Vogel Apollo's, und aufgelöset und ergossen sang
</hi> </p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[446/0458] ppo_446.001 Für Jeden sich der blaue Aether, weht ppo_446.002 Mit kräft'gem Lebenshauch um seine Stirn. ppo_446.003 Es flimmert Jedem doch der Stern des Rechts, ppo_446.004 Und Jedem schallt die Stimme des Gefühls!“ ppo_446.005 b) der Paramythie. ppo_446.006 1) von v. Herder. ppo_446.007 Der sterbende Schwan. ppo_446.008 „Muß ich allein denn stumm und gesanglos seyn? ppo_446.009 sprach seufzend der stille Schwan zu sich, und badete ppo_446.010 sich im stillen Glanze der schönsten Abendröthe; beinahe ppo_446.011 ich allein im ganzen Reiche der gefiederten Schaaren. ppo_446.012 Zwar der schnatternden Gans und der gluckenden Henne ppo_446.013 und dem krächzenden Pfau beneide ich ihre Stimmen ppo_446.014 nicht; aber dir, o sanfte Philomele, beneide ich sie, ppo_446.015 wenn ich, wie festgehalten durch dieselbe, langsamer ppo_446.016 meine Wellen ziehe, und mich im Abglanze des Himmels ppo_446.017 trunken verweile. — Wie wollte ich dich singen, goldene ppo_446.018 Abendsonne! dein schönes Licht und meine Seligkeit ppo_446.019 singen, mich in den Spiegel deines Rosenantlitzes ppo_446.020 niedertauchen und sterben.“ ppo_446.021 Stillentzückt tauchte der Schwan nieder, und kaum ppo_446.022 hob er sich aus den Wellen wieder empor, als eine leuchtende ppo_446.023 Gestalt, die am Ufer stand, ihn freundlich zu sich ppo_446.024 lockte. Es war der Gott der Abend=und Morgensonne, ppo_446.025 der schöne Phöbus. „Keusches, liebliches Wesen, sprach ppo_446.026 er, die Bitte ist dir gewährt, die du so oft in deiner ppo_446.027 verschwiegenen Brust nährtest, und sie konnte dir nicht ppo_446.028 eher gewährt werden.“ ppo_446.029 Kaum hatte er das Wort gesagt; so berührte er den ppo_446.030 Schwan mit seiner Leier, und stimmte auf ihr den Ton ppo_446.031 der Unsterblichen an. Entzückend durchdrang der Ton ppo_446.032 den Vogel Apollo's, und aufgelöset und ergossen sang

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/458
Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/458>, abgerufen am 16.06.2024.