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Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

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selbst hochgebildeten -- Geiste, daß er nicht aus ppo_370.002
seiner Jndividualität ganz heraustreten, und seiner ppo_370.003
eignen, bereits früher angekündigten, Classicität nach ppo_370.004
allen ihren individuellen Eigenthümlichkeiten untreu ppo_370.005
werden kann. Diese Einheit und Gleichmäßigkeit ppo_370.006
in der Wahrnehmung der Jndividualität des classischen ppo_370.007
Dichters ist aber, unter dem Reichthume und ppo_370.008
der Mannigfaltigkeit der einzelnen dramatischen Formen ppo_370.009
eines und desselben Dichters, eine sehr willkommene ppo_370.010
Erscheinung. Denn nicht das Wiedererkennen ppo_370.011
derselben Eigenthümlichkeit eines classischen ppo_370.012
Dichters in der Behandlung eines neuen dramatischen ppo_370.013
Stoffes, sondern nur die Nachahmung einer ppo_370.014
entlehnten Manier stößt uns zurück, weil diese Nachahmung ppo_370.015
als Armseligkeit des Geistes sich ankündigt, ppo_370.016
bei welcher der Aufschwung zu einer eigenthümlichen ppo_370.017
Gestaltung der dramatischen Form, und zur ppo_370.018
Festhaltung und Durchführung dieser Eigenthümlichkeit ppo_370.019
in allen einzelnen dramatischen Erzeugnissen ppo_370.020
Eines und desselben Dichters unmöglich ist.

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Die Hauptklippen, welche der dramatische Dichter ppo_370.022
in Hinsicht der stylistischen Form vermeiden muß, ppo_370.023
sind: daß er weder ins Gebiet der Sprache der ppo_370.024
Prosa, noch ins Gebiet der Sprache der Beredsamkeit ppo_370.025
hinüberstreife, außer in den äußerst seltenen ppo_370.026
Fällen, daß der Stoff einen kurzen Uebergang ppo_370.027
in diese beiden Sprachgebiete verlangt. Denn ppo_370.028
selbst wenn der dramatische Dichter die Vorgänge ppo_370.029
und Erscheinungen des gewöhnlichen Lebens schildert, ppo_370.030
muß doch die stylistische Form die Ergreifung dieser ppo_370.031
Vorgänge von dem Gefühlsvermögen und die Wirkung ppo_370.032
jener Erscheinungen auf das Gefühlsvermögen ppo_370.033
überall hindurch schimmern lassen, weil jede Sprachdarstellung ppo_370.034
des dichterischen Charakters ermangelt,

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selbst hochgebildeten — Geiste, daß er nicht aus ppo_370.002
seiner Jndividualität ganz heraustreten, und seiner ppo_370.003
eignen, bereits früher angekündigten, Classicität nach ppo_370.004
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Dichters ist aber, unter dem Reichthume und ppo_370.008
der Mannigfaltigkeit der einzelnen dramatischen Formen ppo_370.009
eines und desselben Dichters, eine sehr willkommene ppo_370.010
Erscheinung. Denn nicht das Wiedererkennen ppo_370.011
derselben Eigenthümlichkeit eines classischen ppo_370.012
Dichters in der Behandlung eines neuen dramatischen ppo_370.013
Stoffes, sondern nur die Nachahmung einer ppo_370.014
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Gestaltung der dramatischen Form, und zur ppo_370.018
Festhaltung und Durchführung dieser Eigenthümlichkeit ppo_370.019
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Eines und desselben Dichters unmöglich ist.

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Die Hauptklippen, welche der dramatische Dichter ppo_370.022
in Hinsicht der stylistischen Form vermeiden muß, ppo_370.023
sind: daß er weder ins Gebiet der Sprache der ppo_370.024
Prosa, noch ins Gebiet der Sprache der Beredsamkeit ppo_370.025
hinüberstreife, außer in den äußerst seltenen ppo_370.026
Fällen, daß der Stoff einen kurzen Uebergang ppo_370.027
in diese beiden Sprachgebiete verlangt. Denn ppo_370.028
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und Erscheinungen des gewöhnlichen Lebens schildert, ppo_370.030
muß doch die stylistische Form die Ergreifung dieser ppo_370.031
Vorgänge von dem Gefühlsvermögen und die Wirkung ppo_370.032
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[370/0382] ppo_370.001 selbst hochgebildeten — Geiste, daß er nicht aus ppo_370.002 seiner Jndividualität ganz heraustreten, und seiner ppo_370.003 eignen, bereits früher angekündigten, Classicität nach ppo_370.004 allen ihren individuellen Eigenthümlichkeiten untreu ppo_370.005 werden kann. Diese Einheit und Gleichmäßigkeit ppo_370.006 in der Wahrnehmung der Jndividualität des classischen ppo_370.007 Dichters ist aber, unter dem Reichthume und ppo_370.008 der Mannigfaltigkeit der einzelnen dramatischen Formen ppo_370.009 eines und desselben Dichters, eine sehr willkommene ppo_370.010 Erscheinung. Denn nicht das Wiedererkennen ppo_370.011 derselben Eigenthümlichkeit eines classischen ppo_370.012 Dichters in der Behandlung eines neuen dramatischen ppo_370.013 Stoffes, sondern nur die Nachahmung einer ppo_370.014 entlehnten Manier stößt uns zurück, weil diese Nachahmung ppo_370.015 als Armseligkeit des Geistes sich ankündigt, ppo_370.016 bei welcher der Aufschwung zu einer eigenthümlichen ppo_370.017 Gestaltung der dramatischen Form, und zur ppo_370.018 Festhaltung und Durchführung dieser Eigenthümlichkeit ppo_370.019 in allen einzelnen dramatischen Erzeugnissen ppo_370.020 Eines und desselben Dichters unmöglich ist. ppo_370.021 Die Hauptklippen, welche der dramatische Dichter ppo_370.022 in Hinsicht der stylistischen Form vermeiden muß, ppo_370.023 sind: daß er weder ins Gebiet der Sprache der ppo_370.024 Prosa, noch ins Gebiet der Sprache der Beredsamkeit ppo_370.025 hinüberstreife, außer in den äußerst seltenen ppo_370.026 Fällen, daß der Stoff einen kurzen Uebergang ppo_370.027 in diese beiden Sprachgebiete verlangt. Denn ppo_370.028 selbst wenn der dramatische Dichter die Vorgänge ppo_370.029 und Erscheinungen des gewöhnlichen Lebens schildert, ppo_370.030 muß doch die stylistische Form die Ergreifung dieser ppo_370.031 Vorgänge von dem Gefühlsvermögen und die Wirkung ppo_370.032 jener Erscheinungen auf das Gefühlsvermögen ppo_370.033 überall hindurch schimmern lassen, weil jede Sprachdarstellung ppo_370.034 des dichterischen Charakters ermangelt,

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Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/382>, abgerufen am 16.07.2024.