Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.ppo_291.001 Und sprach: Seht ihr nun, lieben Kind, ppo_291.002 ppo_291.009Woher sich euer Elend findt? ppo_291.003 Daher, daß Niemand jeder Frist ppo_291.004 Mit seinem Stand zufrieden ist. ppo_291.005 Was Gott und die Natur uns geben, ppo_291.006 Das ist uns nimmer gut und eben. ppo_291.007 Man muß stets nach ein'm andern gaffen, ppo_291.008 Das macht die ganze Welt voll Affen. 2) von Moritz Aug. v. Thümmel (+ 1817). ppo_291.010Bruchstück aus s. Wilhelmine. ppo_291.011-- Nah an der glänzenden Residenz eines glücklichen ppo_291.012 Nur der Pastor des Dorfes allein, der gelehrte Sebaldus, ppo_291.025 ppo_291.001 Und sprach: Seht ihr nun, lieben Kind, ppo_291.002 ppo_291.009Woher sich euer Elend findt? ppo_291.003 Daher, daß Niemand jeder Frist ppo_291.004 Mit seinem Stand zufrieden ist. ppo_291.005 Was Gott und die Natur uns geben, ppo_291.006 Das ist uns nimmer gut und eben. ppo_291.007 Man muß stets nach ein'm andern gaffen, ppo_291.008 Das macht die ganze Welt voll Affen. 2) von Moritz Aug. v. Thümmel († 1817). ppo_291.010Bruchstück aus s. Wilhelmine. ppo_291.011— Nah an der glänzenden Residenz eines glücklichen ppo_291.012 Nur der Pastor des Dorfes allein, der gelehrte Sebaldus, ppo_291.025 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0303" n="291"/> <lb n="ppo_291.001"/> <lg> <l>Und sprach: Seht ihr nun, lieben Kind,</l> <lb n="ppo_291.002"/> <l>Woher sich euer Elend findt?</l> <lb n="ppo_291.003"/> <l>Daher, daß Niemand jeder Frist</l> <lb n="ppo_291.004"/> <l>Mit seinem Stand zufrieden ist.</l> <lb n="ppo_291.005"/> <l>Was Gott und die Natur uns geben,</l> <lb n="ppo_291.006"/> <l>Das ist uns nimmer gut und eben.</l> <lb n="ppo_291.007"/> <l>Man muß stets nach ein'm andern gaffen,</l> <lb n="ppo_291.008"/> <l>Das macht die ganze Welt voll Affen.</l> </lg> <lb n="ppo_291.009"/> <p> <hi rendition="#et"> 2) von Moritz Aug. v. <hi rendition="#g">Thümmel</hi> († 1817).</hi> </p> <lb n="ppo_291.010"/> <p> <hi rendition="#c">Bruchstück aus s. <hi rendition="#g">Wilhelmine.</hi></hi> </p> <lb n="ppo_291.011"/> <p> — Nah an der glänzenden Residenz eines glücklichen <lb n="ppo_291.012"/>Fürsten, nicht fern von der schiffbaren Elbe, verbreiteten <lb n="ppo_291.013"/>sich in dem anmuthigsten Thale zwanzig kleine Wohnungen <lb n="ppo_291.014"/>fröhlicher Landleute. Junge Haselstauden und wohlriechende <lb n="ppo_291.015"/>Birken verbauten dieses Landgut in Schatten, <lb n="ppo_291.016"/>und versüßten dem fleißigen Bauer die entkräftende Arbeit, <lb n="ppo_291.017"/>wenn der Hundsstern wütete, und, entblättert <lb n="ppo_291.018"/>vom Boreas, flammte dieß nutzbare Gebüsch in wohlthätigen <lb n="ppo_291.019"/>Oefen, wenn der Winter das Thal mit Schnee <lb n="ppo_291.020"/>füllte, und nun ein Nachbar zum andern schlich, um die <lb n="ppo_291.021"/>langen müßigen Stunden durch schlaue Gespräche zu verkürzen. <lb n="ppo_291.022"/>So lebten diese Hüttenbewohner ruhig und mit <lb n="ppo_291.023"/>jeder Jahreszeit zufrieden.</p> <lb n="ppo_291.024"/> <p> Nur der Pastor des Dorfes allein, der gelehrte Sebaldus, <lb n="ppo_291.025"/>hatte seit vier unglücklichen Jahren die ländliche <lb n="ppo_291.026"/>Munterkeit verloren, die auch sonst auf seiner offenen <lb n="ppo_291.027"/>Stirne gezeichnet war. Ein geheimer Kummer peinigte <lb n="ppo_291.028"/>sein Herz. Wenn er die ganze Woche hindurch in der <lb n="ppo_291.029"/>Einsamkeit seiner verrußten Klause getrauert hatte; dann <lb n="ppo_291.030"/>winselte er am Sonntage der schlafenden Gemeinde unleidliche <lb n="ppo_291.031"/>Reden vor, und selbst bei dem theuer bezahlten <lb n="ppo_291.032"/>Leichensermone verließ ihn seine sonst männliche Stimme. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [291/0303]
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Und sprach: Seht ihr nun, lieben Kind, ppo_291.002
Woher sich euer Elend findt? ppo_291.003
Daher, daß Niemand jeder Frist ppo_291.004
Mit seinem Stand zufrieden ist. ppo_291.005
Was Gott und die Natur uns geben, ppo_291.006
Das ist uns nimmer gut und eben. ppo_291.007
Man muß stets nach ein'm andern gaffen, ppo_291.008
Das macht die ganze Welt voll Affen.
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2) von Moritz Aug. v. Thümmel († 1817).
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Bruchstück aus s. Wilhelmine.
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— Nah an der glänzenden Residenz eines glücklichen ppo_291.012
Fürsten, nicht fern von der schiffbaren Elbe, verbreiteten ppo_291.013
sich in dem anmuthigsten Thale zwanzig kleine Wohnungen ppo_291.014
fröhlicher Landleute. Junge Haselstauden und wohlriechende ppo_291.015
Birken verbauten dieses Landgut in Schatten, ppo_291.016
und versüßten dem fleißigen Bauer die entkräftende Arbeit, ppo_291.017
wenn der Hundsstern wütete, und, entblättert ppo_291.018
vom Boreas, flammte dieß nutzbare Gebüsch in wohlthätigen ppo_291.019
Oefen, wenn der Winter das Thal mit Schnee ppo_291.020
füllte, und nun ein Nachbar zum andern schlich, um die ppo_291.021
langen müßigen Stunden durch schlaue Gespräche zu verkürzen. ppo_291.022
So lebten diese Hüttenbewohner ruhig und mit ppo_291.023
jeder Jahreszeit zufrieden.
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Nur der Pastor des Dorfes allein, der gelehrte Sebaldus, ppo_291.025
hatte seit vier unglücklichen Jahren die ländliche ppo_291.026
Munterkeit verloren, die auch sonst auf seiner offenen ppo_291.027
Stirne gezeichnet war. Ein geheimer Kummer peinigte ppo_291.028
sein Herz. Wenn er die ganze Woche hindurch in der ppo_291.029
Einsamkeit seiner verrußten Klause getrauert hatte; dann ppo_291.030
winselte er am Sonntage der schlafenden Gemeinde unleidliche ppo_291.031
Reden vor, und selbst bei dem theuer bezahlten ppo_291.032
Leichensermone verließ ihn seine sonst männliche Stimme.
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