Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ploetz, Alfred: Grundlinien einer Rassenhygiene. Berlin: Fischer, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Krankheitseinflüsse, Uebung und Nichtübung von Organen
und vieles Andere kann hierbei eine Rolle spielen.

Schwierig ist die Unterscheidung der verschiedenen
Variationen je nach ihrem Ursprung. Besonders die nach
Vollendung der Befruchtung bewirkten Variationen sind
speciell beim Menschen wegen der weit verbreiteten Mono-
gamie oft nicht von denen vor und bei der Befruchtung
bewirkten zu unterscheiden. Nur z. B. in dem Fall, wo
ein Vater je ein Kind von zwei Frauen hat und jedes Kind
dieselbe ganz charakteristische Eigenthümlichkeit aufweist,
ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass die betr. Eigen-
schaft auf Keimvariation beruht. Diese Wahrscheinlichkeit
wird fast Gewissheit, wenn beide Frauen schon früher von
anderen Gatten Kinder ohne diese Eigenschaft hatten.
Weismann hat die Keimesvariationen principiell von
den späteren Variationen trennen wollen, weil seine
Hypothese es verlangte, dass nur Keimesvariationen erblich
seien, die späteren, identisch mit seinen "erworbenen
Eigenschaften", jedoch nicht. Nur Abänderungen aus den
Keimen und ihrerVermischung sollten überhaupt"Variationen"
heissen. Wie wir schon sahen, ist dies jedoch noch kein
nothwendiges theoretisches Erforderniss, desshalb müssen
wir in weiterem Anbetracht der häufigen Unmöglichkeit
der Entstehung einer Variation nachzuspüren, alle Ver-
änderungen von Anlagen als Variationen bezeichnen, um
so mehr, als ja die Nichtvererbung erworbener Eigenschaften
durchaus kein gesichertes Gesetz ist.

Noch einige specielle Arten von Variationen sollen
hier erwähnt werden. Der Rückschlag oder Atavismus
ist eine Variation, die bei den betreffenden Individuen
Eigenschaften der Grosseltern, Urgrosseltern und noch
weiter, oft viele Tausende von Generationen entfernter As-
cendenten wiederholt, wobei es sich wohl meistens um den
Fortfall später vom Keim erworbener hemmender Anlagen
handelt. Auch ein Theil der "latenten Vererbung" kommt

Krankheitseinflüsse, Uebung und Nichtübung von Organen
und vieles Andere kann hierbei eine Rolle spielen.

Schwierig ist die Unterscheidung der verschiedenen
Variationen je nach ihrem Ursprung. Besonders die nach
Vollendung der Befruchtung bewirkten Variationen sind
speciell beim Menschen wegen der weit verbreiteten Mono-
gamie oft nicht von denen vor und bei der Befruchtung
bewirkten zu unterscheiden. Nur z. B. in dem Fall, wo
ein Vater je ein Kind von zwei Frauen hat und jedes Kind
dieselbe ganz charakteristische Eigenthümlichkeit aufweist,
ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass die betr. Eigen-
schaft auf Keimvariation beruht. Diese Wahrscheinlichkeit
wird fast Gewissheit, wenn beide Frauen schon früher von
anderen Gatten Kinder ohne diese Eigenschaft hatten.
Weismann hat die Keimesvariationen principiell von
den späteren Variationen trennen wollen, weil seine
Hypothese es verlangte, dass nur Keimesvariationen erblich
seien, die späteren, identisch mit seinen „erworbenen
Eigenschaften“, jedoch nicht. Nur Abänderungen aus den
Keimen und ihrerVermischung sollten überhaupt„Variationen“
heissen. Wie wir schon sahen, ist dies jedoch noch kein
nothwendiges theoretisches Erforderniss, desshalb müssen
wir in weiterem Anbetracht der häufigen Unmöglichkeit
der Entstehung einer Variation nachzuspüren, alle Ver-
änderungen von Anlagen als Variationen bezeichnen, um
so mehr, als ja die Nichtvererbung erworbener Eigenschaften
durchaus kein gesichertes Gesetz ist.

Noch einige specielle Arten von Variationen sollen
hier erwähnt werden. Der Rückschlag oder Atavismus
ist eine Variation, die bei den betreffenden Individuen
Eigenschaften der Grosseltern, Urgrosseltern und noch
weiter, oft viele Tausende von Generationen entfernter As-
cendenten wiederholt, wobei es sich wohl meistens um den
Fortfall später vom Keim erworbener hemmender Anlagen
handelt. Auch ein Theil der „latenten Vererbung“ kommt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0057" n="37"/>
Krankheitseinflüsse, Uebung und Nichtübung von Organen<lb/>
und vieles Andere kann hierbei eine Rolle spielen.</p><lb/>
          <p>Schwierig ist die Unterscheidung der verschiedenen<lb/>
Variationen je nach ihrem Ursprung. Besonders die nach<lb/>
Vollendung der Befruchtung bewirkten Variationen sind<lb/>
speciell beim Menschen wegen der weit verbreiteten Mono-<lb/>
gamie oft nicht von denen vor und bei der Befruchtung<lb/>
bewirkten zu unterscheiden. Nur z. B. in dem Fall, wo<lb/>
ein Vater je ein Kind von zwei Frauen hat und jedes Kind<lb/>
dieselbe ganz charakteristische Eigenthümlichkeit aufweist,<lb/>
ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass die betr. Eigen-<lb/>
schaft auf Keimvariation beruht. Diese Wahrscheinlichkeit<lb/>
wird fast Gewissheit, wenn beide Frauen schon früher von<lb/>
anderen Gatten Kinder ohne diese Eigenschaft hatten.<lb/><hi rendition="#g">Weismann</hi> hat die Keimesvariationen principiell von<lb/>
den späteren Variationen trennen wollen, weil seine<lb/>
Hypothese es verlangte, dass nur Keimesvariationen erblich<lb/>
seien, die späteren, identisch mit seinen &#x201E;erworbenen<lb/>
Eigenschaften&#x201C;, jedoch nicht. Nur Abänderungen aus den<lb/>
Keimen und ihrerVermischung sollten überhaupt&#x201E;Variationen&#x201C;<lb/>
heissen. Wie wir schon sahen, ist dies jedoch noch kein<lb/>
nothwendiges theoretisches Erforderniss, desshalb müssen<lb/>
wir in weiterem Anbetracht der häufigen Unmöglichkeit<lb/>
der Entstehung einer Variation nachzuspüren, alle Ver-<lb/>
änderungen von Anlagen als Variationen bezeichnen, um<lb/>
so mehr, als ja die Nichtvererbung erworbener Eigenschaften<lb/>
durchaus kein gesichertes Gesetz ist.</p><lb/>
          <p>Noch einige specielle Arten von Variationen sollen<lb/>
hier erwähnt werden. Der Rückschlag oder Atavismus<lb/>
ist eine Variation, die bei den betreffenden Individuen<lb/>
Eigenschaften der Grosseltern, Urgrosseltern und noch<lb/>
weiter, oft viele Tausende von Generationen entfernter As-<lb/>
cendenten wiederholt, wobei es sich wohl meistens um den<lb/>
Fortfall später vom Keim erworbener hemmender Anlagen<lb/>
handelt. Auch ein Theil der &#x201E;latenten Vererbung&#x201C; kommt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0057] Krankheitseinflüsse, Uebung und Nichtübung von Organen und vieles Andere kann hierbei eine Rolle spielen. Schwierig ist die Unterscheidung der verschiedenen Variationen je nach ihrem Ursprung. Besonders die nach Vollendung der Befruchtung bewirkten Variationen sind speciell beim Menschen wegen der weit verbreiteten Mono- gamie oft nicht von denen vor und bei der Befruchtung bewirkten zu unterscheiden. Nur z. B. in dem Fall, wo ein Vater je ein Kind von zwei Frauen hat und jedes Kind dieselbe ganz charakteristische Eigenthümlichkeit aufweist, ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass die betr. Eigen- schaft auf Keimvariation beruht. Diese Wahrscheinlichkeit wird fast Gewissheit, wenn beide Frauen schon früher von anderen Gatten Kinder ohne diese Eigenschaft hatten. Weismann hat die Keimesvariationen principiell von den späteren Variationen trennen wollen, weil seine Hypothese es verlangte, dass nur Keimesvariationen erblich seien, die späteren, identisch mit seinen „erworbenen Eigenschaften“, jedoch nicht. Nur Abänderungen aus den Keimen und ihrerVermischung sollten überhaupt„Variationen“ heissen. Wie wir schon sahen, ist dies jedoch noch kein nothwendiges theoretisches Erforderniss, desshalb müssen wir in weiterem Anbetracht der häufigen Unmöglichkeit der Entstehung einer Variation nachzuspüren, alle Ver- änderungen von Anlagen als Variationen bezeichnen, um so mehr, als ja die Nichtvererbung erworbener Eigenschaften durchaus kein gesichertes Gesetz ist. Noch einige specielle Arten von Variationen sollen hier erwähnt werden. Der Rückschlag oder Atavismus ist eine Variation, die bei den betreffenden Individuen Eigenschaften der Grosseltern, Urgrosseltern und noch weiter, oft viele Tausende von Generationen entfernter As- cendenten wiederholt, wobei es sich wohl meistens um den Fortfall später vom Keim erworbener hemmender Anlagen handelt. Auch ein Theil der „latenten Vererbung“ kommt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ploetz_rassenhygiene_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ploetz_rassenhygiene_1895/57
Zitationshilfe: Ploetz, Alfred: Grundlinien einer Rassenhygiene. Berlin: Fischer, 1895, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ploetz_rassenhygiene_1895/57>, abgerufen am 21.05.2024.