Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829.Drum hab' ich hier zusammen euch geladen, Um Rath zu schlagen, Männervolk und Greise! Ob Einer wisse, wie der große Schaden In's Land gekommen und auf welche Weise? Ein guter Rath ist wie der goldne Faden Der Ariadne für die Lebensreise, Und wir Monarchen um so mehr bedürfen Des guten Raths bei Planen und Entwürfen. Tiresias. So will denn ich zuerst zu sagen eilen, Was mir im Geist gelungen auszuspüren: Durch welche Mittel jene Pest zu heilen Mit allen ihren Beulen und Geschwüren, Das weiß ich nicht; doch kann ich Kund' ertheilen, Wie sie hereinbrach und durch welche Thüren, Und für die Meinung muß ich mich entscheiden, Daß jene Sphinx die Quelle dieser Leiden. Längst war sie selbst den Fels hinabgesprungen, Dank deinem Distichon und deinem Witze! Eh' noch die Nachricht durch die Welt gedrungen, Daß solch ein Wesen hier in Theben sitze, Und jeder Sänger, welcher je gesungen, Gerieth in solche Wuth und solche Hitze, Hieherzukommen und den Vers zu schmieden, Daß aus der Welt gewichen schien der Frieden! So lang' ein Fuhrwerk war noch aufzutreiben, Ein Gaul, ein Kütschchen oder nur ein Nachen, So lang's noch einiges Papier zum Schreiben, v. Platen, der romant. Oedipus. 5
Drum hab' ich hier zuſammen euch geladen, Um Rath zu ſchlagen, Maͤnnervolk und Greiſe! Ob Einer wiſſe, wie der große Schaden In's Land gekommen und auf welche Weiſe? Ein guter Rath iſt wie der goldne Faden Der Ariadne fuͤr die Lebensreiſe, Und wir Monarchen um ſo mehr beduͤrfen Des guten Raths bei Planen und Entwuͤrfen. Tireſias. So will denn ich zuerſt zu ſagen eilen, Was mir im Geiſt gelungen auszuſpuͤren: Durch welche Mittel jene Peſt zu heilen Mit allen ihren Beulen und Geſchwuͤren, Das weiß ich nicht; doch kann ich Kund' ertheilen, Wie ſie hereinbrach und durch welche Thuͤren, Und fuͤr die Meinung muß ich mich entſcheiden, Daß jene Sphinx die Quelle dieſer Leiden. Laͤngſt war ſie ſelbſt den Fels hinabgeſprungen, Dank deinem Diſtichon und deinem Witze! Eh' noch die Nachricht durch die Welt gedrungen, Daß ſolch ein Weſen hier in Theben ſitze, Und jeder Saͤnger, welcher je geſungen, Gerieth in ſolche Wuth und ſolche Hitze, Hieherzukommen und den Vers zu ſchmieden, Daß aus der Welt gewichen ſchien der Frieden! So lang' ein Fuhrwerk war noch aufzutreiben, Ein Gaul, ein Kuͤtſchchen oder nur ein Nachen, So lang's noch einiges Papier zum Schreiben, v. Platen, der romant. Oedipus. 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#OED"> <pb facs="#f0071" n="65"/> <p>Drum hab' ich hier zuſammen euch geladen,<lb/> Um Rath zu ſchlagen, Maͤnnervolk und Greiſe!<lb/> Ob Einer wiſſe, wie der große Schaden<lb/> In's Land gekommen und auf welche Weiſe?<lb/> Ein guter Rath iſt wie der goldne Faden<lb/> Der Ariadne fuͤr die Lebensreiſe,<lb/> Und wir Monarchen um ſo mehr beduͤrfen<lb/> Des guten Raths bei Planen und Entwuͤrfen.</p> </sp><lb/> <sp who="#TIR"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Tireſias</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>So will denn ich zuerſt zu ſagen eilen,<lb/> Was mir im Geiſt gelungen auszuſpuͤren:<lb/> Durch welche Mittel jene Peſt zu heilen<lb/> Mit allen ihren Beulen und Geſchwuͤren,<lb/> Das weiß ich nicht; doch kann ich Kund' ertheilen,<lb/> Wie ſie hereinbrach und durch welche Thuͤren,<lb/> Und fuͤr die Meinung muß ich mich entſcheiden,<lb/> Daß jene Sphinx die Quelle dieſer Leiden.</p><lb/> <p>Laͤngſt war ſie ſelbſt den Fels hinabgeſprungen,<lb/> Dank deinem Diſtichon und deinem Witze!<lb/> Eh' noch die Nachricht durch die Welt gedrungen,<lb/> Daß ſolch ein Weſen hier in Theben ſitze,<lb/> Und jeder Saͤnger, welcher je geſungen,<lb/> Gerieth in ſolche Wuth und ſolche Hitze,<lb/> Hieherzukommen und den Vers zu ſchmieden,<lb/> Daß aus der Welt gewichen ſchien der Frieden!</p><lb/> <p>So lang' ein Fuhrwerk war noch aufzutreiben,<lb/> Ein Gaul, ein Kuͤtſchchen oder nur ein Nachen,<lb/> So lang's noch einiges Papier zum Schreiben,<lb/> <fw place="bottom" type="sig">v. Platen, der romant. Oedipus. 5</fw><lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [65/0071]
Drum hab' ich hier zuſammen euch geladen,
Um Rath zu ſchlagen, Maͤnnervolk und Greiſe!
Ob Einer wiſſe, wie der große Schaden
In's Land gekommen und auf welche Weiſe?
Ein guter Rath iſt wie der goldne Faden
Der Ariadne fuͤr die Lebensreiſe,
Und wir Monarchen um ſo mehr beduͤrfen
Des guten Raths bei Planen und Entwuͤrfen.
Tireſias.
So will denn ich zuerſt zu ſagen eilen,
Was mir im Geiſt gelungen auszuſpuͤren:
Durch welche Mittel jene Peſt zu heilen
Mit allen ihren Beulen und Geſchwuͤren,
Das weiß ich nicht; doch kann ich Kund' ertheilen,
Wie ſie hereinbrach und durch welche Thuͤren,
Und fuͤr die Meinung muß ich mich entſcheiden,
Daß jene Sphinx die Quelle dieſer Leiden.
Laͤngſt war ſie ſelbſt den Fels hinabgeſprungen,
Dank deinem Diſtichon und deinem Witze!
Eh' noch die Nachricht durch die Welt gedrungen,
Daß ſolch ein Weſen hier in Theben ſitze,
Und jeder Saͤnger, welcher je geſungen,
Gerieth in ſolche Wuth und ſolche Hitze,
Hieherzukommen und den Vers zu ſchmieden,
Daß aus der Welt gewichen ſchien der Frieden!
So lang' ein Fuhrwerk war noch aufzutreiben,
Ein Gaul, ein Kuͤtſchchen oder nur ein Nachen,
So lang's noch einiges Papier zum Schreiben,
v. Platen, der romant. Oedipus. 5
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |