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Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829.

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Fand ihren Spielraum, keine gab dem Unvermögen Rechen-
schaft!
Gewähren ließ man, was Natur aus diesem Mann gemacht
und dem,
Und ehrte jeden großen Trieb in diesem großen Weltsystem:
Im Aeschylus den hohen Trotz, den Duldersinn im Sokrates,
Die Weichlichkeit Anakreons, den Witz des Aristophanes;
Da nahm der Tänzer seinen Kranz, der Fechter seiner Fäuste
Preis,
Dem Schönen ward ein schöner Freund, dem Weisen ward
ein Schülerkreis:
Da wuchsen ächte Männer auf, und Frauen groß, wie Sappho
war,
Holdselig wie Aspasia, wie Diotima wunderbar!
Drum könnte lernen mancherlei, so scheint's, von ihnen
mancher Christ,
Die Tugend unter andern auch, die nicht der Güter letztes ist!
Doch weil ihr besser seid, so ruft die Besten unter euch
empor:
Wohlan! Es zeige sich Lykurg! Epaminondas trete vor!
Ihr schweigt? Je nun, zum Lobe dient es euch, von Gott so
reich begabt,
Daß ihr in eurem frommen Klubb nicht einen einz'gen Heiden
habt!
Euch Schande bringen könnte blos, ja selbst dem Staate blos
Ruin
Ein einziger Timole[on] an einem Orte wie Berlin!
Denn wißt, ich hege für Berlin im Herzen einen kleinen
Groll:
Viel edle Männer walten dort; doch ist der große Haufe
toll,
Fand ihren Spielraum, keine gab dem Unvermoͤgen Rechen-
ſchaft!
Gewaͤhren ließ man, was Natur aus dieſem Mann gemacht
und dem,
Und ehrte jeden großen Trieb in dieſem großen Weltſyſtem:
Im Aeſchylus den hohen Trotz, den Dulderſinn im Sokrates,
Die Weichlichkeit Anakreons, den Witz des Ariſtophanes;
Da nahm der Taͤnzer ſeinen Kranz, der Fechter ſeiner Faͤuſte
Preis,
Dem Schoͤnen ward ein ſchoͤner Freund, dem Weiſen ward
ein Schuͤlerkreis:
Da wuchſen aͤchte Maͤnner auf, und Frauen groß, wie Sappho
war,
Holdſelig wie Aſpaſia, wie Diotima wunderbar!
Drum koͤnnte lernen mancherlei, ſo ſcheint's, von ihnen
mancher Chriſt,
Die Tugend unter andern auch, die nicht der Guͤter letztes iſt!
Doch weil ihr beſſer ſeid, ſo ruft die Beſten unter euch
empor:
Wohlan! Es zeige ſich Lykurg! Epaminondas trete vor!
Ihr ſchweigt? Je nun, zum Lobe dient es euch, von Gott ſo
reich begabt,
Daß ihr in eurem frommen Klubb nicht einen einz'gen Heiden
habt!
Euch Schande bringen koͤnnte blos, ja ſelbſt dem Staate blos
Ruin
Ein einziger Timole[on] an einem Orte wie Berlin!
Denn wißt, ich hege fuͤr Berlin im Herzen einen kleinen
Groll:
Viel edle Maͤnner walten dort; doch iſt der große Haufe
toll,
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[56/0062] Fand ihren Spielraum, keine gab dem Unvermoͤgen Rechen- ſchaft! Gewaͤhren ließ man, was Natur aus dieſem Mann gemacht und dem, Und ehrte jeden großen Trieb in dieſem großen Weltſyſtem: Im Aeſchylus den hohen Trotz, den Dulderſinn im Sokrates, Die Weichlichkeit Anakreons, den Witz des Ariſtophanes; Da nahm der Taͤnzer ſeinen Kranz, der Fechter ſeiner Faͤuſte Preis, Dem Schoͤnen ward ein ſchoͤner Freund, dem Weiſen ward ein Schuͤlerkreis: Da wuchſen aͤchte Maͤnner auf, und Frauen groß, wie Sappho war, Holdſelig wie Aſpaſia, wie Diotima wunderbar! Drum koͤnnte lernen mancherlei, ſo ſcheint's, von ihnen mancher Chriſt, Die Tugend unter andern auch, die nicht der Guͤter letztes iſt! Doch weil ihr beſſer ſeid, ſo ruft die Beſten unter euch empor: Wohlan! Es zeige ſich Lykurg! Epaminondas trete vor! Ihr ſchweigt? Je nun, zum Lobe dient es euch, von Gott ſo reich begabt, Daß ihr in eurem frommen Klubb nicht einen einz'gen Heiden habt! Euch Schande bringen koͤnnte blos, ja ſelbſt dem Staate blos Ruin Ein einziger Timoleon an einem Orte wie Berlin! Denn wißt, ich hege fuͤr Berlin im Herzen einen kleinen Groll: Viel edle Maͤnner walten dort; doch iſt der große Haufe toll,

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Zitationshilfe: Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/62>, abgerufen am 02.05.2024.