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Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829.

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Oedipus.
Du scheinst die Fodrung nicht zu hoch zu stellen;
Doch wundert kaum es mich, erhabnes Wesen,
Daß unter allen jenen Junggesellen
Für keinen Deut Geschicklichkeit gewesen:
Tragödien hab' ich oft von hundert Ellen,
Doch nie ein richtig Distichon gelesen.
Hier siehst du eins auf dieses Blatt geschrieben,
So nimm es hin und lies es nach Belieben!
Distichon
(in Transparent erscheinend).
Möge die Welt durchschweifen der herrliche Dulder Odysseus,
Kehrt er zurück, weh' euch, wehe dem Freiergeschlecht!

(Nachdem es die Sphinx gelesen, stürzt sie sich in's Orchester
hinunter und Oedipus verläßt den Schauplatz.)
Die Sphinx (an die Zuschauer).
So sprang ich denn zu euch herab, und kam so ziemlich gut
davon;
Doch wag' ich nicht euch anzuflehn, zu zollen mir ein Distichon!
Auch bitt' ich, habt Geduld mit mir! An Lebensart und an
Costüm
Gebricht es meiner Wenigkeit, ich bin ein heidnisch Ungethüm.
Ich weiß, daß hier verboten ist, ein bischen derb zu sein und
frei,
Denn überall, wo Menschen sind, versteckt ihr eure Polizei!
Ihr möchtet von der Henne Milch, ein Ei gewinnen von der
Kuh,
Und zwingt den Fuß des Herkules in euren schmalen Kinder-
schuh:
So that man nicht in Griechenland, woher ich komme! Jede
Kraft
Oedipus.
Du ſcheinſt die Fodrung nicht zu hoch zu ſtellen;
Doch wundert kaum es mich, erhabnes Weſen,
Daß unter allen jenen Junggeſellen
Fuͤr keinen Deut Geſchicklichkeit geweſen:
Tragoͤdien hab' ich oft von hundert Ellen,
Doch nie ein richtig Diſtichon geleſen.
Hier ſiehſt du eins auf dieſes Blatt geſchrieben,
So nimm es hin und lies es nach Belieben!
Diſtichon
(in Transparent erſcheinend).
Moͤge die Welt durchſchweifen der herrliche Dulder Odyſſeus,
Kehrt er zuruͤck, weh' euch, wehe dem Freiergeſchlecht!

(Nachdem es die Sphinx geleſen, ſtuͤrzt ſie ſich in's Orcheſter
hinunter und Oedipus verlaͤßt den Schauplatz.)
Die Sphinx (an die Zuſchauer).
So ſprang ich denn zu euch herab, und kam ſo ziemlich gut
davon;
Doch wag' ich nicht euch anzuflehn, zu zollen mir ein Diſtichon!
Auch bitt' ich, habt Geduld mit mir! An Lebensart und an
Coſtuͤm
Gebricht es meiner Wenigkeit, ich bin ein heidniſch Ungethuͤm.
Ich weiß, daß hier verboten iſt, ein bischen derb zu ſein und
frei,
Denn uͤberall, wo Menſchen ſind, verſteckt ihr eure Polizei!
Ihr moͤchtet von der Henne Milch, ein Ei gewinnen von der
Kuh,
Und zwingt den Fuß des Herkules in euren ſchmalen Kinder-
ſchuh:
So that man nicht in Griechenland, woher ich komme! Jede
Kraft
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[55/0061] Oedipus. Du ſcheinſt die Fodrung nicht zu hoch zu ſtellen; Doch wundert kaum es mich, erhabnes Weſen, Daß unter allen jenen Junggeſellen Fuͤr keinen Deut Geſchicklichkeit geweſen: Tragoͤdien hab' ich oft von hundert Ellen, Doch nie ein richtig Diſtichon geleſen. Hier ſiehſt du eins auf dieſes Blatt geſchrieben, So nimm es hin und lies es nach Belieben! Diſtichon (in Transparent erſcheinend). Moͤge die Welt durchſchweifen der herrliche Dulder Odyſſeus, Kehrt er zuruͤck, weh' euch, wehe dem Freiergeſchlecht! (Nachdem es die Sphinx geleſen, ſtuͤrzt ſie ſich in's Orcheſter hinunter und Oedipus verlaͤßt den Schauplatz.) Die Sphinx (an die Zuſchauer). So ſprang ich denn zu euch herab, und kam ſo ziemlich gut davon; Doch wag' ich nicht euch anzuflehn, zu zollen mir ein Diſtichon! Auch bitt' ich, habt Geduld mit mir! An Lebensart und an Coſtuͤm Gebricht es meiner Wenigkeit, ich bin ein heidniſch Ungethuͤm. Ich weiß, daß hier verboten iſt, ein bischen derb zu ſein und frei, Denn uͤberall, wo Menſchen ſind, verſteckt ihr eure Polizei! Ihr moͤchtet von der Henne Milch, ein Ei gewinnen von der Kuh, Und zwingt den Fuß des Herkules in euren ſchmalen Kinder- ſchuh: So that man nicht in Griechenland, woher ich komme! Jede Kraft

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Zitationshilfe: Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/61>, abgerufen am 02.05.2024.