Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829. Zelinde. O still! Unterdrücke den Gedanken, den die Lippe bilden will! Diagoras. Jetzt sogar, o laß mich sprechen, da wir ohne Zeugen sind! Zelinde. Nur auf legitime Weise wünsch' ich mir ein kleines Kind. Diagoras. Länger diese Qual zu tragen, fehlen mir Geduld und Kraft. Zelinde. O bedenke, dreißig Jahre warst du fromm und tugendhaft! Willst du nun den Preis verlieren, den du dir mit Müh' errangst, Bitter wirst du's dann bereuen in der letzten Todesangst. Diagoras. Meinem Tode bin ich näher, als du glaubst, o hartes Weib! Zelinde. Für gewissenhafte Seelen ist der Tod ein Zeitvertreib. Diagoras. Doch der Selbstmord, sprich, Zelinde! däucht er dich moralisch gut? Denn ich will in's Wasser springen, um zu löschen meine Glut. Zelinde. Gottes Langmuth gönnt dem armen Sünder oft zur Reue Zeit: Mög' er senden einen Haifisch, der dich schnappt und wieder speit! Diagoras. Nach der Apotheke lauf' ich, und vergebe mich mit Gift. Zelinde. O ſtill! Unterdruͤcke den Gedanken, den die Lippe bilden will! Diagoras. Jetzt ſogar, o laß mich ſprechen, da wir ohne Zeugen ſind! Zelinde. Nur auf legitime Weiſe wuͤnſch' ich mir ein kleines Kind. Diagoras. Laͤnger dieſe Qual zu tragen, fehlen mir Geduld und Kraft. Zelinde. O bedenke, dreißig Jahre warſt du fromm und tugendhaft! Willſt du nun den Preis verlieren, den du dir mit Muͤh' errangſt, Bitter wirſt du's dann bereuen in der letzten Todesangſt. Diagoras. Meinem Tode bin ich naͤher, als du glaubſt, o hartes Weib! Zelinde. Fuͤr gewiſſenhafte Seelen iſt der Tod ein Zeitvertreib. Diagoras. Doch der Selbſtmord, ſprich, Zelinde! daͤucht er dich moraliſch gut? Denn ich will in's Waſſer ſpringen, um zu loͤſchen meine Glut. Zelinde. Gottes Langmuth goͤnnt dem armen Suͤnder oft zur Reue Zeit: Moͤg' er ſenden einen Haifiſch, der dich ſchnappt und wieder ſpeit! Diagoras. Nach der Apotheke lauf' ich, und vergebe mich mit Gift. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0028" n="22"/> <sp who="#ZEL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>O ſtill!<lb/> Unterdruͤcke den Gedanken, den die Lippe bilden will!</p> </sp><lb/> <sp who="#DIA"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Diagoras</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Jetzt ſogar, o laß mich ſprechen, da wir ohne Zeugen ſind!</p> </sp><lb/> <sp who="#ZEL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Nur auf legitime Weiſe wuͤnſch' ich mir ein kleines Kind.</p> </sp><lb/> <sp who="#DIA"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Diagoras</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Laͤnger dieſe Qual zu tragen, fehlen mir Geduld und Kraft.</p> </sp><lb/> <sp who="#ZEL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>O bedenke, dreißig Jahre warſt du fromm und tugendhaft!<lb/> Willſt du nun den Preis verlieren, den du dir mit Muͤh'<lb/> errangſt,<lb/> Bitter wirſt du's dann bereuen in der letzten Todesangſt.</p> </sp><lb/> <sp who="#DIA"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Diagoras</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Meinem Tode bin ich naͤher, als du glaubſt, o hartes Weib!</p> </sp><lb/> <sp who="#ZEL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Fuͤr gewiſſenhafte Seelen iſt der Tod ein Zeitvertreib.</p> </sp><lb/> <sp who="#DIA"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Diagoras</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Doch der Selbſtmord, ſprich, Zelinde! daͤucht er dich moraliſch<lb/> gut?<lb/> Denn ich will in's Waſſer ſpringen, um zu loͤſchen meine<lb/> Glut.</p> </sp><lb/> <sp who="#ZEL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Gottes Langmuth goͤnnt dem armen Suͤnder oft zur Reue<lb/> Zeit:<lb/> Moͤg' er ſenden einen Haifiſch, der dich ſchnappt und wieder<lb/> ſpeit!</p> </sp><lb/> <sp who="#DIA"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Diagoras</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Nach der Apotheke lauf' ich, und vergebe mich mit Gift.</p> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [22/0028]
Zelinde.
O ſtill!
Unterdruͤcke den Gedanken, den die Lippe bilden will!
Diagoras.
Jetzt ſogar, o laß mich ſprechen, da wir ohne Zeugen ſind!
Zelinde.
Nur auf legitime Weiſe wuͤnſch' ich mir ein kleines Kind.
Diagoras.
Laͤnger dieſe Qual zu tragen, fehlen mir Geduld und Kraft.
Zelinde.
O bedenke, dreißig Jahre warſt du fromm und tugendhaft!
Willſt du nun den Preis verlieren, den du dir mit Muͤh'
errangſt,
Bitter wirſt du's dann bereuen in der letzten Todesangſt.
Diagoras.
Meinem Tode bin ich naͤher, als du glaubſt, o hartes Weib!
Zelinde.
Fuͤr gewiſſenhafte Seelen iſt der Tod ein Zeitvertreib.
Diagoras.
Doch der Selbſtmord, ſprich, Zelinde! daͤucht er dich moraliſch
gut?
Denn ich will in's Waſſer ſpringen, um zu loͤſchen meine
Glut.
Zelinde.
Gottes Langmuth goͤnnt dem armen Suͤnder oft zur Reue
Zeit:
Moͤg' er ſenden einen Haifiſch, der dich ſchnappt und wieder
ſpeit!
Diagoras.
Nach der Apotheke lauf' ich, und vergebe mich mit Gift.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/28 |
Zitationshilfe: | Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/28>, abgerufen am 07.07.2024. |