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Planck, Max: Vorlesungen über Thermodynamik. Leipzig: Veit & C., 1897.

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Molekulargewicht.
nur ergibt sich dann offenbar keine constante, sondern eine von
dem augenblicklichen Zustand abhängige Molekülzahl. Man
steht also hier vor der Wahl, für diesen Fall entweder wirklich
eine veränderliche Molekülzahl anzunehmen, oder aber die
Avogadro'sche Definition für die Molekülzahl überhaupt nicht
anzuwenden, mit anderen Worten: die Ursache der Abweichung
von dem idealen Gaszustand entweder in chemischen oder in
physikalischen Umständen zu suchen. Nach der letzteren An-
schauung bleibt die chemische Natur des Gases erhalten, also
die Moleküle auch bei veränderter Temperatur und verändertem
Druck dieselben, sie unterliegen nur einer complicirteren Zustands-
gleichung als der Boyle-Gay Lussac'schen, z. B. der van der
Waals
'schen oder der Clausius'schen. Wesentlich davon ver-
schieden ist aber die andere Auffassung, nach welcher ein Gas,
das Abweichungen von den Gesetzen idealer Gase zeigt, nichts
anderes ist als eine Mischung mehrerer verschiedener Molekül-
arten (bei Untersalpetersäure N2O4 und NO2, bei Phosphorpenta-
chlorid PCl5, PCl3 und Cl2), deren Volumen in jedem Augenblick
genau den durch die Gesammtzahl der Moleküle für eine
Mischung idealer Gase bestimmten Werth besitzt und sich bei
einer Aenderung der Temperatur und des Druckes nur deshalb
nicht wie bei einem idealen Gase ändert, weil durch gleichzeitige
chemische Umsetzungen die verschiedenartigen Moleküle zum
Theil ineinander übergehen und dadurch ihre Gesammtzahl
stetig ändern. Diese Anschauung hat sich am fruchtbarsten in
allen den Fällen erweisen, wo es sich um bedeutende Aende-
rungen der Dichten handelt, um die sogenannten abnormen
Dampfdichten, und dies namentlich dann, wenn die spezifische
Dichte des Dampfes jenseits eines gewissen Temperatur- oder
Druck-Intervalls wieder constant wird. Dann ist nämlich die
chemische Umsetzung vollständig geworden und die Moleküle
verändern sich nicht mehr. So z. B. verhält sich Bromwasser-
stoffamylen sowohl unterhalb 160° als auch oberhalb 360° wie
ein ideales Gas, doch im letzteren Zustand mit halber Dichte,
entsprechend einer Verdoppelung der Molekülzahl:
C5H11 Br = C5H10 + HBr.
Sind aber die Abweichungen von den Gesetzen idealer Gase
unbedeutend, so schiebt man sie gewöhnlich auf physikalische
Ursachen, wie bei Wasserdampf und Kohlensäure, und fasst sie

Molekulargewicht.
nur ergibt sich dann offenbar keine constante, sondern eine von
dem augenblicklichen Zustand abhängige Molekülzahl. Man
steht also hier vor der Wahl, für diesen Fall entweder wirklich
eine veränderliche Molekülzahl anzunehmen, oder aber die
Avogadro’sche Definition für die Molekülzahl überhaupt nicht
anzuwenden, mit anderen Worten: die Ursache der Abweichung
von dem idealen Gaszustand entweder in chemischen oder in
physikalischen Umständen zu suchen. Nach der letzteren An-
schauung bleibt die chemische Natur des Gases erhalten, also
die Moleküle auch bei veränderter Temperatur und verändertem
Druck dieselben, sie unterliegen nur einer complicirteren Zustands-
gleichung als der Boyle-Gay Lussac’schen, z. B. der van der
Waals
’schen oder der Clausius’schen. Wesentlich davon ver-
schieden ist aber die andere Auffassung, nach welcher ein Gas,
das Abweichungen von den Gesetzen idealer Gase zeigt, nichts
anderes ist als eine Mischung mehrerer verschiedener Molekül-
arten (bei Untersalpetersäure N2O4 und NO2, bei Phosphorpenta-
chlorid PCl5, PCl3 und Cl2), deren Volumen in jedem Augenblick
genau den durch die Gesammtzahl der Moleküle für eine
Mischung idealer Gase bestimmten Werth besitzt und sich bei
einer Aenderung der Temperatur und des Druckes nur deshalb
nicht wie bei einem idealen Gase ändert, weil durch gleichzeitige
chemische Umsetzungen die verschiedenartigen Moleküle zum
Theil ineinander übergehen und dadurch ihre Gesammtzahl
stetig ändern. Diese Anschauung hat sich am fruchtbarsten in
allen den Fällen erweisen, wo es sich um bedeutende Aende-
rungen der Dichten handelt, um die sogenannten abnormen
Dampfdichten, und dies namentlich dann, wenn die spezifische
Dichte des Dampfes jenseits eines gewissen Temperatur- oder
Druck-Intervalls wieder constant wird. Dann ist nämlich die
chemische Umsetzung vollständig geworden und die Moleküle
verändern sich nicht mehr. So z. B. verhält sich Bromwasser-
stoffamylen sowohl unterhalb 160° als auch oberhalb 360° wie
ein ideales Gas, doch im letzteren Zustand mit halber Dichte,
entsprechend einer Verdoppelung der Molekülzahl:
C5H11 Br = C5H10 + HBr.
Sind aber die Abweichungen von den Gesetzen idealer Gase
unbedeutend, so schiebt man sie gewöhnlich auf physikalische
Ursachen, wie bei Wasserdampf und Kohlensäure, und fasst sie

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[27/0043] Molekulargewicht. nur ergibt sich dann offenbar keine constante, sondern eine von dem augenblicklichen Zustand abhängige Molekülzahl. Man steht also hier vor der Wahl, für diesen Fall entweder wirklich eine veränderliche Molekülzahl anzunehmen, oder aber die Avogadro’sche Definition für die Molekülzahl überhaupt nicht anzuwenden, mit anderen Worten: die Ursache der Abweichung von dem idealen Gaszustand entweder in chemischen oder in physikalischen Umständen zu suchen. Nach der letzteren An- schauung bleibt die chemische Natur des Gases erhalten, also die Moleküle auch bei veränderter Temperatur und verändertem Druck dieselben, sie unterliegen nur einer complicirteren Zustands- gleichung als der Boyle-Gay Lussac’schen, z. B. der van der Waals’schen oder der Clausius’schen. Wesentlich davon ver- schieden ist aber die andere Auffassung, nach welcher ein Gas, das Abweichungen von den Gesetzen idealer Gase zeigt, nichts anderes ist als eine Mischung mehrerer verschiedener Molekül- arten (bei Untersalpetersäure N2O4 und NO2, bei Phosphorpenta- chlorid PCl5, PCl3 und Cl2), deren Volumen in jedem Augenblick genau den durch die Gesammtzahl der Moleküle für eine Mischung idealer Gase bestimmten Werth besitzt und sich bei einer Aenderung der Temperatur und des Druckes nur deshalb nicht wie bei einem idealen Gase ändert, weil durch gleichzeitige chemische Umsetzungen die verschiedenartigen Moleküle zum Theil ineinander übergehen und dadurch ihre Gesammtzahl stetig ändern. Diese Anschauung hat sich am fruchtbarsten in allen den Fällen erweisen, wo es sich um bedeutende Aende- rungen der Dichten handelt, um die sogenannten abnormen Dampfdichten, und dies namentlich dann, wenn die spezifische Dichte des Dampfes jenseits eines gewissen Temperatur- oder Druck-Intervalls wieder constant wird. Dann ist nämlich die chemische Umsetzung vollständig geworden und die Moleküle verändern sich nicht mehr. So z. B. verhält sich Bromwasser- stoffamylen sowohl unterhalb 160° als auch oberhalb 360° wie ein ideales Gas, doch im letzteren Zustand mit halber Dichte, entsprechend einer Verdoppelung der Molekülzahl: C5H11 Br = C5H10 + HBr. Sind aber die Abweichungen von den Gesetzen idealer Gase unbedeutend, so schiebt man sie gewöhnlich auf physikalische Ursachen, wie bei Wasserdampf und Kohlensäure, und fasst sie

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Zitationshilfe: Planck, Max: Vorlesungen über Thermodynamik. Leipzig: Veit & C., 1897, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/planck_thermodynamik_1897/43>, abgerufen am 27.04.2024.