Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Planck, Karl: Fusslümmelei. Über Stauchballspiel und englische Krankheit. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Art. Nach dem ,,Brit. Med. Journ." ist die Wahrscheinlichkeit eines
Unglücks beim Fußball 18mal größer, als wenn man reitet, und 20mal
größer, als wenn man "Gymnastik" treibt. Auf den Spielplätzen in
Amerika, wo der sportmäßige Betrieb, der auf Sieg um jeden Preis
ausgeht, noch stärker ausgebildet ist, ist die Sache noch schlimmer, ob-
wohl die Spieler schon mit ganzen Fußballrüstungen, Gummiringen,
Binden, Polstern u. s. w. ausgestattet sind. Kein Wunder, daß hier
gegen so "groben Unfug" bereits gesetzgeberische Maßnahmen in Aus-
sicht genommen sind! Und ein solches Spiel soll für unser deutsches
Volk wünschenswert, ja notwendig sein?

Nun sagt man zwar, "bei gewissenhafter Aussicht" oder "von
Gebildeten gespielt", oder "wenn der leidenschaftliche, sportartige Betrieb
ferngehalten wird", sei das Spiel ganz unbedenklich. Allein liegt denn
nicht gerade in solchen Versicherungen und ihren bezeichnenden Ein-
schränkungen ein deutliches Zugeständnis, daß das Spiel wirklich an
sich bedenklich ist? Warum bedarf es denn solcher Versicherungen
und Vorsichtsmaßregeln nicht bei unseren deutschen Spielen, auch
wenn sie noch so "leidenschaftlich" gespielt werden? Und sollen wir
diese "Leidenschaft" nur verabscheuen und bekämpfen? Wäre es
nicht vielmehr dringend zu wünschen, daß es den deutschen Philister
künftig allfeierabendlich mit derselben Leidenschaft zum Turn- und
Spielplatz zöge, mit der es ihn heute zur Kneipe zieht? Ist nicht
diese Leidenschaft im Spiel etwas echt und allgemein Germanisches,
wie wir schon durch Tacitus wissen? Umso weniger gleichgültig ist
daher freilich auch, auf was für ein Ziel sich diese Leidenschaft
richtet.

Das Fußballspiel hat nun die Kraft, diese Leidenschaft zu erwecken,
weil es reich ist an spannenden Augenblicken, an aufregenden Kampf-
und Sturmesscenen. Wieder ein Grund mehr, warum sich gerade
etliche der tüchtigsten Naturen dadurch bestechen ließen. Aber es hat
auch andererseits jenen Stich ins Widernatürliche, Gemeine, "Weither-
geholte", der dazu nötig ist, etwas bei uns in die Mode zu
bringen.

Oder ist etwa die verfluchte deutsche Fremdsucht dabei nicht im
Spiel? Ei, so sieh ihn doch an, den feuchtohrigen Laffen, wie er mit
seinen bunten, frisch aus Albion geholten Flicken und dem breitesten
englischen Bulldoggengesicht dem erstaunten Repsbauern sein "half-time",
"Full-backs" "scrummage"
entgegenfletscht! Wer das mit ansehen muß,
dessen Geduld ist "out", er macht einen wütenden "try", den ganzen Fuß-
ball- "match" und "matsch" mit einem "Kick" in die Luft zu sprengen.

Art. Nach dem ,,Brit. Med. Journ.“ ist die Wahrscheinlichkeit eines
Unglücks beim Fußball 18mal größer, als wenn man reitet, und 20mal
größer, als wenn man „Gymnastik“ treibt. Auf den Spielplätzen in
Amerika, wo der sportmäßige Betrieb, der auf Sieg um jeden Preis
ausgeht, noch stärker ausgebildet ist, ist die Sache noch schlimmer, ob-
wohl die Spieler schon mit ganzen Fußballrüstungen, Gummiringen,
Binden, Polstern u. s. w. ausgestattet sind. Kein Wunder, daß hier
gegen so „groben Unfug“ bereits gesetzgeberische Maßnahmen in Aus-
sicht genommen sind! Und ein solches Spiel soll für unser deutsches
Volk wünschenswert, ja notwendig sein?

Nun sagt man zwar, „bei gewissenhafter Aussicht“ oder „von
Gebildeten gespielt“, oder „wenn der leidenschaftliche, sportartige Betrieb
ferngehalten wird“, sei das Spiel ganz unbedenklich. Allein liegt denn
nicht gerade in solchen Versicherungen und ihren bezeichnenden Ein-
schränkungen ein deutliches Zugeständnis, daß das Spiel wirklich an
sich bedenklich ist? Warum bedarf es denn solcher Versicherungen
und Vorsichtsmaßregeln nicht bei unseren deutschen Spielen, auch
wenn sie noch so „leidenschaftlich“ gespielt werden? Und sollen wir
diese „Leidenschaft“ nur verabscheuen und bekämpfen? Wäre es
nicht vielmehr dringend zu wünschen, daß es den deutschen Philister
künftig allfeierabendlich mit derselben Leidenschaft zum Turn- und
Spielplatz zöge, mit der es ihn heute zur Kneipe zieht? Ist nicht
diese Leidenschaft im Spiel etwas echt und allgemein Germanisches,
wie wir schon durch Tacitus wissen? Umso weniger gleichgültig ist
daher freilich auch, auf was für ein Ziel sich diese Leidenschaft
richtet.

Das Fußballspiel hat nun die Kraft, diese Leidenschaft zu erwecken,
weil es reich ist an spannenden Augenblicken, an aufregenden Kampf-
und Sturmesscenen. Wieder ein Grund mehr, warum sich gerade
etliche der tüchtigsten Naturen dadurch bestechen ließen. Aber es hat
auch andererseits jenen Stich ins Widernatürliche, Gemeine, „Weither-
geholte“, der dazu nötig ist, etwas bei uns in die Mode zu
bringen.

Oder ist etwa die verfluchte deutsche Fremdsucht dabei nicht im
Spiel? Ei, so sieh ihn doch an, den feuchtohrigen Laffen, wie er mit
seinen bunten, frisch aus Albion geholten Flicken und dem breitesten
englischen Bulldoggengesicht dem erstaunten Repsbauern sein „half-time“,
„Full-backs“ „scrummage“
entgegenfletscht! Wer das mit ansehen muß,
dessen Geduld ist „out“, er macht einen wütenden „try“, den ganzen Fuß-
ball- „match“ und „matsch“ mit einem „Kick“ in die Luft zu sprengen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0025" n="19"/>
Art.
                     Nach dem ,,Brit. Med. Journ.&#x201C; ist die Wahrscheinlichkeit eines<lb/>
Unglücks
                     beim Fußball 18mal größer, als wenn man reitet, und 20mal<lb/>
größer, als wenn
                     man &#x201E;Gymnastik&#x201C; treibt. Auf den Spielplätzen in<lb/>
Amerika, wo der sportmäßige
                     Betrieb, der auf Sieg um jeden Preis<lb/>
ausgeht, noch stärker ausgebildet ist,
                     ist die Sache noch schlimmer, ob-<lb/>
wohl die Spieler schon mit ganzen
                     Fußballrüstungen, Gummiringen,<lb/>
Binden, Polstern u. s. w. ausgestattet sind.
                     Kein Wunder, daß hier<lb/>
gegen so &#x201E;groben Unfug&#x201C; bereits gesetzgeberische
                     Maßnahmen in Aus-<lb/>
sicht genommen sind! Und ein solches Spiel soll für unser
                     deutsches<lb/>
Volk wünschenswert, ja notwendig sein?</p><lb/>
        <p>Nun sagt man zwar, &#x201E;bei gewissenhafter Aussicht&#x201C; oder &#x201E;von<lb/>
Gebildeten
                     gespielt&#x201C;, oder &#x201E;wenn der leidenschaftliche, sportartige Betrieb<lb/>
ferngehalten wird&#x201C;, sei das Spiel ganz unbedenklich. Allein liegt denn<lb/>
nicht gerade in solchen Versicherungen und ihren bezeichnenden
                     Ein-<lb/>
schränkungen ein deutliches Zugeständnis, daß das Spiel wirklich
                     an<lb/>
sich bedenklich ist? Warum bedarf es denn solcher Versicherungen<lb/>
und Vorsichtsmaßregeln nicht bei unseren deutschen Spielen, auch<lb/>
wenn sie
                     noch so &#x201E;leidenschaftlich&#x201C; gespielt werden? Und sollen wir<lb/>
diese
                     &#x201E;Leidenschaft&#x201C; nur verabscheuen und bekämpfen? Wäre es<lb/>
nicht vielmehr
                     dringend zu wünschen, daß es den deutschen Philister<lb/>
künftig
                     allfeierabendlich mit derselben Leidenschaft zum Turn- und<lb/>
Spielplatz zöge,
                     mit der es ihn heute zur Kneipe zieht? Ist nicht<lb/>
diese Leidenschaft im
                     Spiel etwas echt und allgemein Germanisches,<lb/>
wie wir schon durch Tacitus
                     wissen? Umso weniger gleichgültig ist<lb/>
daher freilich auch, auf was für ein
                     Ziel sich diese Leidenschaft<lb/>
richtet.</p><lb/>
        <p>Das Fußballspiel hat nun die Kraft, diese Leidenschaft zu erwecken,<lb/>
weil es
                     reich ist an spannenden Augenblicken, an aufregenden Kampf-<lb/>
und
                     Sturmesscenen. Wieder ein Grund mehr, warum sich gerade<lb/>
etliche der
                     tüchtigsten Naturen dadurch bestechen ließen. Aber es hat<lb/>
auch andererseits
                     jenen Stich ins Widernatürliche, Gemeine, &#x201E;Weither-<lb/>
geholte&#x201C;, der dazu nötig
                     ist, etwas bei uns in die Mode zu<lb/>
bringen.</p><lb/>
        <p>Oder ist etwa die verfluchte deutsche Fremdsucht dabei nicht im<lb/>
Spiel? Ei,
                     so sieh ihn doch an, den feuchtohrigen Laffen, wie er mit<lb/>
seinen bunten,
                     frisch aus Albion geholten Flicken und dem breitesten<lb/>
englischen
                     Bulldoggengesicht dem erstaunten Repsbauern sein <hi rendition="#aq">&#x201E;half-time&#x201C;,<lb/>
&#x201E;Full-backs&#x201C; &#x201E;scrummage&#x201C;</hi> entgegenfletscht! Wer das
                     mit ansehen muß,<lb/>
dessen Geduld ist <hi rendition="#aq"> &#x201E;out&#x201C;</hi>, er
                     macht einen wütenden <hi rendition="#aq"> &#x201E;try&#x201C;</hi>, den ganzen
                         Fuß-<lb/>
ball-<hi rendition="#aq"> &#x201E;match&#x201C;</hi> und &#x201E;matsch&#x201C; mit <hi rendition="#g">einem</hi> <hi rendition="#aq"> &#x201E;Kick&#x201C;</hi> in die Luft zu sprengen.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0025] Art. Nach dem ,,Brit. Med. Journ.“ ist die Wahrscheinlichkeit eines Unglücks beim Fußball 18mal größer, als wenn man reitet, und 20mal größer, als wenn man „Gymnastik“ treibt. Auf den Spielplätzen in Amerika, wo der sportmäßige Betrieb, der auf Sieg um jeden Preis ausgeht, noch stärker ausgebildet ist, ist die Sache noch schlimmer, ob- wohl die Spieler schon mit ganzen Fußballrüstungen, Gummiringen, Binden, Polstern u. s. w. ausgestattet sind. Kein Wunder, daß hier gegen so „groben Unfug“ bereits gesetzgeberische Maßnahmen in Aus- sicht genommen sind! Und ein solches Spiel soll für unser deutsches Volk wünschenswert, ja notwendig sein? Nun sagt man zwar, „bei gewissenhafter Aussicht“ oder „von Gebildeten gespielt“, oder „wenn der leidenschaftliche, sportartige Betrieb ferngehalten wird“, sei das Spiel ganz unbedenklich. Allein liegt denn nicht gerade in solchen Versicherungen und ihren bezeichnenden Ein- schränkungen ein deutliches Zugeständnis, daß das Spiel wirklich an sich bedenklich ist? Warum bedarf es denn solcher Versicherungen und Vorsichtsmaßregeln nicht bei unseren deutschen Spielen, auch wenn sie noch so „leidenschaftlich“ gespielt werden? Und sollen wir diese „Leidenschaft“ nur verabscheuen und bekämpfen? Wäre es nicht vielmehr dringend zu wünschen, daß es den deutschen Philister künftig allfeierabendlich mit derselben Leidenschaft zum Turn- und Spielplatz zöge, mit der es ihn heute zur Kneipe zieht? Ist nicht diese Leidenschaft im Spiel etwas echt und allgemein Germanisches, wie wir schon durch Tacitus wissen? Umso weniger gleichgültig ist daher freilich auch, auf was für ein Ziel sich diese Leidenschaft richtet. Das Fußballspiel hat nun die Kraft, diese Leidenschaft zu erwecken, weil es reich ist an spannenden Augenblicken, an aufregenden Kampf- und Sturmesscenen. Wieder ein Grund mehr, warum sich gerade etliche der tüchtigsten Naturen dadurch bestechen ließen. Aber es hat auch andererseits jenen Stich ins Widernatürliche, Gemeine, „Weither- geholte“, der dazu nötig ist, etwas bei uns in die Mode zu bringen. Oder ist etwa die verfluchte deutsche Fremdsucht dabei nicht im Spiel? Ei, so sieh ihn doch an, den feuchtohrigen Laffen, wie er mit seinen bunten, frisch aus Albion geholten Flicken und dem breitesten englischen Bulldoggengesicht dem erstaunten Repsbauern sein „half-time“, „Full-backs“ „scrummage“ entgegenfletscht! Wer das mit ansehen muß, dessen Geduld ist „out“, er macht einen wütenden „try“, den ganzen Fuß- ball- „match“ und „matsch“ mit einem „Kick“ in die Luft zu sprengen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning: Texterfassung und Korrekturen (2013-05-07T06:54:31Z)
Hannah Sophia Glaum: Konversion nach XML (2013-05-07T06:54:31Z)
Melanie Henss: Nachkorrekturen (2013-05-07T06:54:31Z)
Universitätsbibliothek Marburg: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-05-07T06:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Seiten- und Zeilenumbrüche markiert.
  • Silbentrennung entsprechend Vorlage.
  • Langes s als rundes s transkribiert.
  • Rundes r als r/et transkribiert.
  • Hervorhebungen ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/planck_fussluemmelei_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/planck_fussluemmelei_1898/25
Zitationshilfe: Planck, Karl: Fusslümmelei. Über Stauchballspiel und englische Krankheit. Stuttgart, 1898, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/planck_fussluemmelei_1898/25>, abgerufen am 24.11.2024.