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Planck, Karl: Fusslümmelei. Über Stauchballspiel und englische Krankheit. Stuttgart, 1898.

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nur galten sie nicht dem Ball, sondern unmittelbar dem Gegner, um
ihn abzutreiben. Man bedenke auch: jene Spiele wurden von den
Spartanern vollständig nackt und jedenfalls barfuß ausgeführt. Bei
förmlichem Fußballspiel konnte man sich also die Zehen bis zu völliger
Marschunfähigkeit verstauchen. So thöricht waren aber auch die Spartaner
sicher nicht, und auch nicht so widernatürlich, nur damit die Herren
Engländer für ihren Stauchball einen "klassischen" Vorgang hätten.
Übrigens klassisch hin, klassisch her! Selbst wenn die Griechen Fuß-
ball gespielt hätten, so müßten wir es ihnen eben zu dem übrigen
kreiden, was nicht war, wie es sein sollte.

Doch das Spiel soll als "giuoco del calcio" im 16. Jahrhundert
von Italien nach Deutschland und von da nach England gewandert
sein. Mag sein! Hoffentlich folgt aber daraus nicht, daß wir nun
den Wechselbalg auch als unser Kind ansehen müßten. Denn wenn
wir alle Tollheiten und Verkehrtheiten, die bei uns schon einmal Ein-
gang gefunden haben, nun auch jederzeit auf Lager zu halten ver-
pflichtet würden, so würde unser liebes Deutschland in Kürze das euro-
päische Narrenhaus werden. Eine gewisse Veranlagung dafür will ich
ja uns Deutschen nicht absprechen. Wenn aber im 16. Jahrhundert
wirklich in Italien das Fußballspiel gespielt wurde, so ist es allerdings
nicht unwahrscheinlich, daß es ein Erbstück vom Rom der Cäsaren war,
eine leicht erklärliche Entartung des edleren griechischen "Episkyros" oder
"Harpaston". Das welterobernde Rom und das länderverschluckende
England! Das stimmt!

So also ging es mit diesem Spiele: das "Festland" schob es im
16. Jahrhundert ab, in England aber fiel es auf einen guten Boden.
Mit dem englischen Sport, der alle Welt beleckt, ist es wieder zu uns
gekommen*).

*) Ob wohl Shakespeare ein Freund des Fußballspiels war? Man höre: Im
1. Aufzug 4. Auftritt des König Lear stellt Lear den Haushofmeister Oswald, der
seinem ehemaligen Herrn und König den Gehorsam verweigert, zur Rede. Da ihm
dieser höhnische Blicke zuwirft, schlägt er ihn. Haushofmeister: Ich lasse mich nicht schlagen, Herr.
Kent: Auch kein Bein stellen, du niederträchtiger Fußballspieler? (you base foot-
ballplayer). (Stellt ihm ein Bein und wirft ihn nieder.)
Lear: Ich danke dir, Bursch, du dienst mir, und ich will dich heben.
Kent: Kommt, Herr, auf! Packt Euch! Ich will Euch Unterschied lehren; fort, fort!
Wenn Ihr eure Flegelslänge noch einmal messen wollt, bleibt. Nun fort,
packt Euch! Seid Ihr klug? (Stößt ihn fort). So.
Lear zu Kent: Nun, mein freundlicher Gesell, ich danke dir.
Freilich, Lear und Kent sind offenbar Narren, Oswald aber gehört zu
den Klugen, zu den ganz Klugen.

nur galten sie nicht dem Ball, sondern unmittelbar dem Gegner, um
ihn abzutreiben. Man bedenke auch: jene Spiele wurden von den
Spartanern vollständig nackt und jedenfalls barfuß ausgeführt. Bei
förmlichem Fußballspiel konnte man sich also die Zehen bis zu völliger
Marschunfähigkeit verstauchen. So thöricht waren aber auch die Spartaner
sicher nicht, und auch nicht so widernatürlich, nur damit die Herren
Engländer für ihren Stauchball einen „klassischen“ Vorgang hätten.
Übrigens klassisch hin, klassisch her! Selbst wenn die Griechen Fuß-
ball gespielt hätten, so müßten wir es ihnen eben zu dem übrigen
kreiden, was nicht war, wie es sein sollte.

Doch das Spiel soll als „giuoco del calcio“ im 16. Jahrhundert
von Italien nach Deutschland und von da nach England gewandert
sein. Mag sein! Hoffentlich folgt aber daraus nicht, daß wir nun
den Wechselbalg auch als unser Kind ansehen müßten. Denn wenn
wir alle Tollheiten und Verkehrtheiten, die bei uns schon einmal Ein-
gang gefunden haben, nun auch jederzeit auf Lager zu halten ver-
pflichtet würden, so würde unser liebes Deutschland in Kürze das euro-
päische Narrenhaus werden. Eine gewisse Veranlagung dafür will ich
ja uns Deutschen nicht absprechen. Wenn aber im 16. Jahrhundert
wirklich in Italien das Fußballspiel gespielt wurde, so ist es allerdings
nicht unwahrscheinlich, daß es ein Erbstück vom Rom der Cäsaren war,
eine leicht erklärliche Entartung des edleren griechischen „Episkyros“ oder
„Harpaston“. Das welterobernde Rom und das länderverschluckende
England! Das stimmt!

So also ging es mit diesem Spiele: das „Festland“ schob es im
16. Jahrhundert ab, in England aber fiel es auf einen guten Boden.
Mit dem englischen Sport, der alle Welt beleckt, ist es wieder zu uns
gekommen*).

*) Ob wohl Shakespeare ein Freund des Fußballspiels war? Man höre: Im
1. Aufzug 4. Auftritt des König Lear stellt Lear den Haushofmeister Oswald, der
seinem ehemaligen Herrn und König den Gehorsam verweigert, zur Rede. Da ihm
dieser höhnische Blicke zuwirft, schlägt er ihn. Haushofmeister: Ich lasse mich nicht schlagen, Herr.
Kent: Auch kein Bein stellen, du niederträchtiger Fußballspieler? (you base foot-
ballplayer). (Stellt ihm ein Bein und wirft ihn nieder.)
Lear: Ich danke dir, Bursch, du dienst mir, und ich will dich heben.
Kent: Kommt, Herr, auf! Packt Euch! Ich will Euch Unterschied lehren; fort, fort!
Wenn Ihr eure Flegelslänge noch einmal messen wollt, bleibt. Nun fort,
packt Euch! Seid Ihr klug? (Stößt ihn fort). So.
Lear zu Kent: Nun, mein freundlicher Gesell, ich danke dir.
Freilich, Lear und Kent sind offenbar Narren, Oswald aber gehört zu
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[14/0020] nur galten sie nicht dem Ball, sondern unmittelbar dem Gegner, um ihn abzutreiben. Man bedenke auch: jene Spiele wurden von den Spartanern vollständig nackt und jedenfalls barfuß ausgeführt. Bei förmlichem Fußballspiel konnte man sich also die Zehen bis zu völliger Marschunfähigkeit verstauchen. So thöricht waren aber auch die Spartaner sicher nicht, und auch nicht so widernatürlich, nur damit die Herren Engländer für ihren Stauchball einen „klassischen“ Vorgang hätten. Übrigens klassisch hin, klassisch her! Selbst wenn die Griechen Fuß- ball gespielt hätten, so müßten wir es ihnen eben zu dem übrigen kreiden, was nicht war, wie es sein sollte. Doch das Spiel soll als „giuoco del calcio“ im 16. Jahrhundert von Italien nach Deutschland und von da nach England gewandert sein. Mag sein! Hoffentlich folgt aber daraus nicht, daß wir nun den Wechselbalg auch als unser Kind ansehen müßten. Denn wenn wir alle Tollheiten und Verkehrtheiten, die bei uns schon einmal Ein- gang gefunden haben, nun auch jederzeit auf Lager zu halten ver- pflichtet würden, so würde unser liebes Deutschland in Kürze das euro- päische Narrenhaus werden. Eine gewisse Veranlagung dafür will ich ja uns Deutschen nicht absprechen. Wenn aber im 16. Jahrhundert wirklich in Italien das Fußballspiel gespielt wurde, so ist es allerdings nicht unwahrscheinlich, daß es ein Erbstück vom Rom der Cäsaren war, eine leicht erklärliche Entartung des edleren griechischen „Episkyros“ oder „Harpaston“. Das welterobernde Rom und das länderverschluckende England! Das stimmt! So also ging es mit diesem Spiele: das „Festland“ schob es im 16. Jahrhundert ab, in England aber fiel es auf einen guten Boden. Mit dem englischen Sport, der alle Welt beleckt, ist es wieder zu uns gekommen *). *) Ob wohl Shakespeare ein Freund des Fußballspiels war? Man höre: Im 1. Aufzug 4. Auftritt des König Lear stellt Lear den Haushofmeister Oswald, der seinem ehemaligen Herrn und König den Gehorsam verweigert, zur Rede. Da ihm dieser höhnische Blicke zuwirft, schlägt er ihn. Haushofmeister: Ich lasse mich nicht schlagen, Herr. Kent: Auch kein Bein stellen, du niederträchtiger Fußballspieler? (you base foot- ballplayer). (Stellt ihm ein Bein und wirft ihn nieder.) Lear: Ich danke dir, Bursch, du dienst mir, und ich will dich heben. Kent: Kommt, Herr, auf! Packt Euch! Ich will Euch Unterschied lehren; fort, fort! Wenn Ihr eure Flegelslänge noch einmal messen wollt, bleibt. Nun fort, packt Euch! Seid Ihr klug? (Stößt ihn fort). So. Lear zu Kent: Nun, mein freundlicher Gesell, ich danke dir. Freilich, Lear und Kent sind offenbar Narren, Oswald aber gehört zu den Klugen, zu den ganz Klugen.

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Zitationshilfe: Planck, Karl: Fusslümmelei. Über Stauchballspiel und englische Krankheit. Stuttgart, 1898, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/planck_fussluemmelei_1898/20>, abgerufen am 24.11.2024.