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Planck, Karl: Fusslümmelei. Über Stauchballspiel und englische Krankheit. Stuttgart, 1898.

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gefangen, an den Krallen sorgsam beschnitten und in ein -- Schulfach
gesteckt. Für die verlorene Freiheit durfte es "Freiübungen" machen,
auch je zuweilen nach einer schönen Wanderweise den Herrschaften zur
Aufwartung einen Reigen vortanzen. So ward das Tierchen zahm,
wirklich schulzahm, nur wollte es leider gar nicht wachsen. Doch das
erstarkende deutsche Volksbewußtsein kam ihm zu statten, und unter An-
wendung von leider nur allzuviel Bier, großen und kleinen Turnfesten,
wuchs es heran zu einem stattlichen, braunen Bären. So kam das
Jahr 1870. Die Franzosen bekamen abermals eines auf's Dach, und
der Bär hielt sich recht wacker. Doch der Sieger ist galant, und in
Sachen des Geschmacks waren ihm halter die Herren Besiegten doch
noch über. Der Franzose spielte auf, der Bär warf sich auf seine
Vorderbeine und präsentierte sich im Hochstand, strahlend in bengalisch
magnetisch elektrischem Lichtgranz, in Marmorgruppen, Pyramiden
theatralisch, famos! Da drehte sich der Wind etwas nach Nordwest.
Der Bär erinnerte sich, daß er ursprünglich doch einmal im Freien ge-
lebt. Er nahm den deutschen Namen "Sport" an, setzte sich eine dito
Mütze auf den Kopf, warf sich urplötzlich wieder auf seine Hinterbeine,
ja stand auf einem Bein trotz einer Gans und spielte flottweg "foot-
ball"
. Aber wozu hatte ihm die Natur vier äußere Gliedmaßen ver-
liehen, die Kultur aber ihrerseits ihn in zwölfjährigem Bildungsgang
"ansäßig" gemacht? Also hinauf auf das Rad, "Bicycle" deutsch ge-
nannt, im Vierhändertum die Brust zusammengepreßt, und mit dem
schönsten Schnitzbuckel der Welt dem Teufel zugeritten! Wer wird heut-
zutag noch gehen oder laufen!*) Wie unmodern! How little zeit-
gemäß! How unfashionable! Cricket matches! Tennis tournaments!
And oh! last not least: Rowing, Rowing! Juniors! Seniors! We
must have challenge cups, first prizes and so on!
Also setzte er
sich -- welches Glück! -- abermals auf seine lieben vier Buchstaben,
gampte in Gondeln, tollte in Döllenbooten, verschaffte sich gigs und
allerlei Gigerlzeug , hip, hip, hurrah!

*) Es versteht sich von selbst, daß damit kein Urteil über das Rad als Beförderungs-
mittel ausgesprochen sein soll, wenn man sich auch die Bewegungsform naturgemäßer
wünschen möchte. Der Schöpfer aber braucht sich darum von der Fahrräderfabrik von
Müller, Schulze und Comp, wahrlich nicht als Pfuscher behandeln zu lassen. Das den
wohlweisen Herren, die das Radeln über das Gehen und Laufen stellen! Ach, diese
"Herren der Schöpfung"! Sind es nicht dieselben, die an einem Ort, wo sie sich gänzlich
unbeachtet wissen, dieser selben Schöpfung ihren Zins bezahlen und dabei noch heilig
froh sind, wenn sie es täglich regelmäßig können? Beiläufig, radeln Sie vielleicht des-
wegen, Geehrtester? Das wäre etwas anderes.

gefangen, an den Krallen sorgsam beschnitten und in ein — Schulfach
gesteckt. Für die verlorene Freiheit durfte es „Freiübungen“ machen,
auch je zuweilen nach einer schönen Wanderweise den Herrschaften zur
Aufwartung einen Reigen vortanzen. So ward das Tierchen zahm,
wirklich schulzahm, nur wollte es leider gar nicht wachsen. Doch das
erstarkende deutsche Volksbewußtsein kam ihm zu statten, und unter An-
wendung von leider nur allzuviel Bier, großen und kleinen Turnfesten,
wuchs es heran zu einem stattlichen, braunen Bären. So kam das
Jahr 1870. Die Franzosen bekamen abermals eines auf's Dach, und
der Bär hielt sich recht wacker. Doch der Sieger ist galant, und in
Sachen des Geschmacks waren ihm halter die Herren Besiegten doch
noch über. Der Franzose spielte auf, der Bär warf sich auf seine
Vorderbeine und präsentierte sich im Hochstand, strahlend in bengalisch
magnetisch elektrischem Lichtgranz, in Marmorgruppen, Pyramiden
theatralisch, famos! Da drehte sich der Wind etwas nach Nordwest.
Der Bär erinnerte sich, daß er ursprünglich doch einmal im Freien ge-
lebt. Er nahm den deutschen Namen „Sport“ an, setzte sich eine dito
Mütze auf den Kopf, warf sich urplötzlich wieder auf seine Hinterbeine,
ja stand auf einem Bein trotz einer Gans und spielte flottweg „foot-
ball“
. Aber wozu hatte ihm die Natur vier äußere Gliedmaßen ver-
liehen, die Kultur aber ihrerseits ihn in zwölfjährigem Bildungsgang
„ansäßig“ gemacht? Also hinauf auf das Rad, „Bicycle“ deutsch ge-
nannt, im Vierhändertum die Brust zusammengepreßt, und mit dem
schönsten Schnitzbuckel der Welt dem Teufel zugeritten! Wer wird heut-
zutag noch gehen oder laufen!*) Wie unmodern! How little zeit-
gemäß! How unfashionable! Cricket matches! Tennis tournaments!
And oh! last not least: Rowing, Rowing! Juniors! Seniors! We
must have challenge cups, first prizes and so on!
Also setzte er
sich — welches Glück! — abermals auf seine lieben vier Buchstaben,
gampte in Gondeln, tollte in Döllenbooten, verschaffte sich gigs und
allerlei Gigerlzeug , hip, hip, hurrah!

*) Es versteht sich von selbst, daß damit kein Urteil über das Rad als Beförderungs-
mittel ausgesprochen sein soll, wenn man sich auch die Bewegungsform naturgemäßer
wünschen möchte. Der Schöpfer aber braucht sich darum von der Fahrräderfabrik von
Müller, Schulze und Comp, wahrlich nicht als Pfuscher behandeln zu lassen. Das den
wohlweisen Herren, die das Radeln über das Gehen und Laufen stellen! Ach, diese
„Herren der Schöpfung“! Sind es nicht dieselben, die an einem Ort, wo sie sich gänzlich
unbeachtet wissen, dieser selben Schöpfung ihren Zins bezahlen und dabei noch heilig
froh sind, wenn sie es täglich regelmäßig können? Beiläufig, radeln Sie vielleicht des-
wegen, Geehrtester? Das wäre etwas anderes.
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Zitationshilfe: Planck, Karl: Fusslümmelei. Über Stauchballspiel und englische Krankheit. Stuttgart, 1898, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/planck_fussluemmelei_1898/18>, abgerufen am 24.11.2024.