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Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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entworfen, die Ausführung jedoch auf den Frühling verschoben, wo noch die Mulden Schnee ausfüllt, welcher festgefroren einen viel leichtern Uebergang gestattet, als das lockere Steingerölle, das leicht kollernd jeden Schritt unsicher macht.

Ich erstieg voriges Jahr zu Pfingsten den Unutz. Unter mancherlei Schwierigkeiten hatte ich endlich die Mitte des Absturzes erreicht, wo sich die Schlucht erst ein wenig erweitert und dann wieder zusammenschnürt. Die Buchen trugen bereits junges Laub, blühende Sträuche von Steinmispel und Schlingbaum hingen aus den Felsenritzen, während an einem kleinen Wasserfalle, der von einem Absatze niederflatterte, die Moospolster schon mit frisch grünem Ueberzuge prangten. Der Platz schien mir zu einer kleinen Rast geeignet, um so mehr, da ich erst über die Fortsetzung meines Weges nachdenken mußte. Die Welt war hier wie mit Brettern vernagelt, an den Schrofen könnte nur eine Fliege emporklettern, der Rinne zu folgen hinderte ein steiler, schlüpfriger Abbruch. Unschlüssig klomm ich hin und her, da fand ich, verdeckt, von einem Vorsprunge, die Trümmer einer Hütte. Nur einzelne Pfähle ragten noch empor, dazwischen faulten die Planken auf dem Boden zerstreut, ganz hinten lag ein Viereck von angerauchten Steinen, die einmal zum Herde gedient hatten. Wer mochte hier gehaus't haben? Ein Wurzelgräber hatte an diesen Schrofen nichts zu holen, für eine Alm war der Platz zu klein, Rinder

entworfen, die Ausführung jedoch auf den Frühling verschoben, wo noch die Mulden Schnee ausfüllt, welcher festgefroren einen viel leichtern Uebergang gestattet, als das lockere Steingerölle, das leicht kollernd jeden Schritt unsicher macht.

Ich erstieg voriges Jahr zu Pfingsten den Unutz. Unter mancherlei Schwierigkeiten hatte ich endlich die Mitte des Absturzes erreicht, wo sich die Schlucht erst ein wenig erweitert und dann wieder zusammenschnürt. Die Buchen trugen bereits junges Laub, blühende Sträuche von Steinmispel und Schlingbaum hingen aus den Felsenritzen, während an einem kleinen Wasserfalle, der von einem Absatze niederflatterte, die Moospolster schon mit frisch grünem Ueberzuge prangten. Der Platz schien mir zu einer kleinen Rast geeignet, um so mehr, da ich erst über die Fortsetzung meines Weges nachdenken mußte. Die Welt war hier wie mit Brettern vernagelt, an den Schrofen könnte nur eine Fliege emporklettern, der Rinne zu folgen hinderte ein steiler, schlüpfriger Abbruch. Unschlüssig klomm ich hin und her, da fand ich, verdeckt, von einem Vorsprunge, die Trümmer einer Hütte. Nur einzelne Pfähle ragten noch empor, dazwischen faulten die Planken auf dem Boden zerstreut, ganz hinten lag ein Viereck von angerauchten Steinen, die einmal zum Herde gedient hatten. Wer mochte hier gehaus't haben? Ein Wurzelgräber hatte an diesen Schrofen nichts zu holen, für eine Alm war der Platz zu klein, Rinder

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Zitationshilfe: Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/9>, abgerufen am 26.04.2024.