Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ich folgte ihr in das Pedantenstübl. Das Pedantenstübl? fragt der Leser. Es ist zu ebener Erde das Zimmerchen links von der Hausthür. Da pflegten sich in der guten alten Zeit Abends die gelehrten Stammgäste der Scholastika zu versammeln, meistens Professoren von Innsbruck, welche hier einige Sommerwochen zubrachten. Es war ein heiterer Kreis, der sich hier gebildet; jetzt deckt die meisten Glieder derselben bereits die kühle Erde. Ja, ja, die Welt wird älter und wir nicht jünger. Am Sonntag ging ich nach Achenkirch zur Messe. Da humpelte auch Klaus daher, neben ihm Walburg, und zwei Söhne, einer bereits ein reifer Mann mit einem Knaben an der Hand, folgten mit frommem Schritt. Sie war eben so grau wie er; Beide besprengten mit dem Buchszweig, der im Weihbrunnkessel vor der Kirchthüre lag, sorgfältig die Gräber -- für die armen Seelen. Er blieb einen Augenblick vor mir stehen: Hat Euch die Lena Alles vertratscht? Ich denk', Ihr braucht Euch nicht zu schämen! Das nicht, erwiderte er ruhig, Ihr mögt es seiner Zeit auch Andern erzählen, man kann wenigstens Etwas daraus lernen -- daß der liebe Herrgott keinen ehrlichen Tiroler verläßt. Heut' ist der achtundvierzigste Jahrstag, daß ich von der Flucht ins Landl heimkehrt bin; deßwegen bring' ich meine ganze Familie mit, um Gott zu danken. Ich folgte ihr in das Pedantenstübl. Das Pedantenstübl? fragt der Leser. Es ist zu ebener Erde das Zimmerchen links von der Hausthür. Da pflegten sich in der guten alten Zeit Abends die gelehrten Stammgäste der Scholastika zu versammeln, meistens Professoren von Innsbruck, welche hier einige Sommerwochen zubrachten. Es war ein heiterer Kreis, der sich hier gebildet; jetzt deckt die meisten Glieder derselben bereits die kühle Erde. Ja, ja, die Welt wird älter und wir nicht jünger. Am Sonntag ging ich nach Achenkirch zur Messe. Da humpelte auch Klaus daher, neben ihm Walburg, und zwei Söhne, einer bereits ein reifer Mann mit einem Knaben an der Hand, folgten mit frommem Schritt. Sie war eben so grau wie er; Beide besprengten mit dem Buchszweig, der im Weihbrunnkessel vor der Kirchthüre lag, sorgfältig die Gräber — für die armen Seelen. Er blieb einen Augenblick vor mir stehen: Hat Euch die Lena Alles vertratscht? Ich denk', Ihr braucht Euch nicht zu schämen! Das nicht, erwiderte er ruhig, Ihr mögt es seiner Zeit auch Andern erzählen, man kann wenigstens Etwas daraus lernen — daß der liebe Herrgott keinen ehrlichen Tiroler verläßt. Heut' ist der achtundvierzigste Jahrstag, daß ich von der Flucht ins Landl heimkehrt bin; deßwegen bring' ich meine ganze Familie mit, um Gott zu danken. <TEI> <text> <body> <div n="6"> <pb facs="#f0087"/> <p>Ich folgte ihr in das Pedantenstübl.</p><lb/> <p>Das Pedantenstübl? fragt der Leser.</p><lb/> <p>Es ist zu ebener Erde das Zimmerchen links von der Hausthür. Da pflegten sich in der guten alten Zeit Abends die gelehrten Stammgäste der Scholastika zu versammeln, meistens Professoren von Innsbruck, welche hier einige Sommerwochen zubrachten. Es war ein heiterer Kreis, der sich hier gebildet; jetzt deckt die meisten Glieder derselben bereits die kühle Erde. Ja, ja, die Welt wird älter und wir nicht jünger.</p><lb/> <p>Am Sonntag ging ich nach Achenkirch zur Messe. Da humpelte auch Klaus daher, neben ihm Walburg, und zwei Söhne, einer bereits ein reifer Mann mit einem Knaben an der Hand, folgten mit frommem Schritt. Sie war eben so grau wie er; Beide besprengten mit dem Buchszweig, der im Weihbrunnkessel vor der Kirchthüre lag, sorgfältig die Gräber — für die armen Seelen.</p><lb/> <p>Er blieb einen Augenblick vor mir stehen: Hat Euch die Lena Alles vertratscht?</p><lb/> <p>Ich denk', Ihr braucht Euch nicht zu schämen!</p><lb/> <p>Das nicht, erwiderte er ruhig, Ihr mögt es seiner Zeit auch Andern erzählen, man kann wenigstens Etwas daraus lernen — daß der liebe Herrgott keinen ehrlichen Tiroler verläßt. Heut' ist der achtundvierzigste Jahrstag, daß ich von der Flucht ins Landl heimkehrt bin; deßwegen bring' ich meine ganze Familie mit, um Gott zu danken.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0087]
Ich folgte ihr in das Pedantenstübl.
Das Pedantenstübl? fragt der Leser.
Es ist zu ebener Erde das Zimmerchen links von der Hausthür. Da pflegten sich in der guten alten Zeit Abends die gelehrten Stammgäste der Scholastika zu versammeln, meistens Professoren von Innsbruck, welche hier einige Sommerwochen zubrachten. Es war ein heiterer Kreis, der sich hier gebildet; jetzt deckt die meisten Glieder derselben bereits die kühle Erde. Ja, ja, die Welt wird älter und wir nicht jünger.
Am Sonntag ging ich nach Achenkirch zur Messe. Da humpelte auch Klaus daher, neben ihm Walburg, und zwei Söhne, einer bereits ein reifer Mann mit einem Knaben an der Hand, folgten mit frommem Schritt. Sie war eben so grau wie er; Beide besprengten mit dem Buchszweig, der im Weihbrunnkessel vor der Kirchthüre lag, sorgfältig die Gräber — für die armen Seelen.
Er blieb einen Augenblick vor mir stehen: Hat Euch die Lena Alles vertratscht?
Ich denk', Ihr braucht Euch nicht zu schämen!
Das nicht, erwiderte er ruhig, Ihr mögt es seiner Zeit auch Andern erzählen, man kann wenigstens Etwas daraus lernen — daß der liebe Herrgott keinen ehrlichen Tiroler verläßt. Heut' ist der achtundvierzigste Jahrstag, daß ich von der Flucht ins Landl heimkehrt bin; deßwegen bring' ich meine ganze Familie mit, um Gott zu danken.
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