Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Gut! Der Anderl muß aber noch eine Bedingung erfüllen. Durchs Feuer geh' ich dir! rief der junge Bursch. Brauchst dich nicht zu verbrennen. Du giebst Nidinger's Walburg einen Brief, den ich dir durch die Bötin schick', aber heimlich. Willst du? Zehn, nicht bloß einen! antwortete Anderl. Sie gingen in das Wirthshaus. Am Allerseelentag schmückte Walburg die Gräber ihrer frühverstorbenen Mutter und Geschwister mit einfachen Laubgewinden und Kränzen. Hast ein trauriges Geschäft, unterbrach sie Anderl, der sie eine Zeitlang beobachtet hatte, aber ich will dir eine Freud' machen und gewiß keine kleine. Er schaute sorgfältig um, ob Niemand in der Nähe sei, und überreichte ihr den Brief von Klaus. Sie ließ die Schürze mit den Blumen fallen, griff hastig danach und erbrach das Siegel. "Mein herzliebes Madel! Wie es mir im Achenthal ergangen ist, kannst dir leicht vorstellen, denn dein Vater wird dir wohl Alles gesagt haben. Wenn er etwa über mich geschimpft hat, was ich ihm nicht zutrau', denn er ist sonst ehrlich, so hat er gewiß nicht recht gethan. Was du derweil Gut! Der Anderl muß aber noch eine Bedingung erfüllen. Durchs Feuer geh' ich dir! rief der junge Bursch. Brauchst dich nicht zu verbrennen. Du giebst Nidinger's Walburg einen Brief, den ich dir durch die Bötin schick', aber heimlich. Willst du? Zehn, nicht bloß einen! antwortete Anderl. Sie gingen in das Wirthshaus. Am Allerseelentag schmückte Walburg die Gräber ihrer frühverstorbenen Mutter und Geschwister mit einfachen Laubgewinden und Kränzen. Hast ein trauriges Geschäft, unterbrach sie Anderl, der sie eine Zeitlang beobachtet hatte, aber ich will dir eine Freud' machen und gewiß keine kleine. Er schaute sorgfältig um, ob Niemand in der Nähe sei, und überreichte ihr den Brief von Klaus. Sie ließ die Schürze mit den Blumen fallen, griff hastig danach und erbrach das Siegel. „Mein herzliebes Madel! Wie es mir im Achenthal ergangen ist, kannst dir leicht vorstellen, denn dein Vater wird dir wohl Alles gesagt haben. Wenn er etwa über mich geschimpft hat, was ich ihm nicht zutrau', denn er ist sonst ehrlich, so hat er gewiß nicht recht gethan. Was du derweil <TEI> <text> <body> <div n="2"> <pb facs="#f0034"/> <p>Gut! Der Anderl muß aber noch eine Bedingung erfüllen.</p><lb/> <p>Durchs Feuer geh' ich dir! rief der junge Bursch.</p><lb/> <p>Brauchst dich nicht zu verbrennen. Du giebst Nidinger's Walburg einen Brief, den ich dir durch die Bötin schick', aber heimlich. Willst du?</p><lb/> <p>Zehn, nicht bloß einen! antwortete Anderl.</p><lb/> <p>Sie gingen in das Wirthshaus.</p><lb/> </div> <div n="3"> <p>Am Allerseelentag schmückte Walburg die Gräber ihrer frühverstorbenen Mutter und Geschwister mit einfachen Laubgewinden und Kränzen. Hast ein trauriges Geschäft, unterbrach sie Anderl, der sie eine Zeitlang beobachtet hatte, aber ich will dir eine Freud' machen und gewiß keine kleine. Er schaute sorgfältig um, ob Niemand in der Nähe sei, und überreichte ihr den Brief von Klaus. Sie ließ die Schürze mit den Blumen fallen, griff hastig danach und erbrach das Siegel.</p><lb/> <floatingText> <body> <div type="letter"> <opener> <salute> „Mein herzliebes Madel!</salute> </opener> <p>Wie es mir im Achenthal ergangen ist, kannst dir leicht vorstellen, denn dein Vater wird dir wohl Alles gesagt haben. Wenn er etwa über mich geschimpft hat, was ich ihm nicht zutrau', denn er ist sonst ehrlich, so hat er gewiß nicht recht gethan. Was du derweil<lb/></p> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0034]
Gut! Der Anderl muß aber noch eine Bedingung erfüllen.
Durchs Feuer geh' ich dir! rief der junge Bursch.
Brauchst dich nicht zu verbrennen. Du giebst Nidinger's Walburg einen Brief, den ich dir durch die Bötin schick', aber heimlich. Willst du?
Zehn, nicht bloß einen! antwortete Anderl.
Sie gingen in das Wirthshaus.
Am Allerseelentag schmückte Walburg die Gräber ihrer frühverstorbenen Mutter und Geschwister mit einfachen Laubgewinden und Kränzen. Hast ein trauriges Geschäft, unterbrach sie Anderl, der sie eine Zeitlang beobachtet hatte, aber ich will dir eine Freud' machen und gewiß keine kleine. Er schaute sorgfältig um, ob Niemand in der Nähe sei, und überreichte ihr den Brief von Klaus. Sie ließ die Schürze mit den Blumen fallen, griff hastig danach und erbrach das Siegel.
„Mein herzliebes Madel! Wie es mir im Achenthal ergangen ist, kannst dir leicht vorstellen, denn dein Vater wird dir wohl Alles gesagt haben. Wenn er etwa über mich geschimpft hat, was ich ihm nicht zutrau', denn er ist sonst ehrlich, so hat er gewiß nicht recht gethan. Was du derweil
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Zitationshilfe: | Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/34>, abgerufen am 16.07.2024. |