Wenn die Satyre eines wahrhafte Fehler sinnreich aufdecket, daß, wo er vernünftig ist, er darüber schaamroth wird: So gehört solche unter die Besserungs-Mittel und vernünftige Kunstgriffe der neuen Poeten. Da nun aber ein kriechender Poete nur andre aus Hochmuth verachtet (§ 30, 2), mithin sich allein groß dün- ket, folglich aber es ihm um anderer Besserung gar nicht, sondern nur um ihre Beschimpfung, zu thun ist: So handelt er dadurch seinem Cha- racter gemäß; welches das erste war.
Da nun aber ferner die falschen Auflagen öfters leichtgläubige Ohren finden, mithin durch spöttische Satyren, darinn unerweisliche Be- schuldigungen stehen, einer vor der Welt pro- stituiret werden, und an seiner Wohlfahrt Scha- den leiden kann: So gleichet er hierinn einer stechenden Otter und tückischen Schlange, wenn man ihr gleich nichts zu Leide gethan. Alldieweil nun aber dis kriechende Thiere sind, mithin eine gewisse Aehnlichkeit mit kriechenden Poeten haben: So folget, daß solche heimliche Anstecher, Pasquillanten und Verleumder auch unter kriechende Poeten zu rechnen. Q. E. D.
Vierter Lehrsatz.
§ 32. Ein schmeichelnder poetischer Fuchs- schwänzer verwandelt sich öfters in einen kriechenden Wurm.
Erweis.
Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc.
Erweis.
Wenn die Satyre eines wahrhafte Fehler ſinnreich aufdecket, daß, wo er vernuͤnftig iſt, er daruͤber ſchaamroth wird: So gehoͤrt ſolche unter die Beſſerungs-Mittel und vernuͤnftige Kunſtgriffe der neuen Poeten. Da nun aber ein kriechender Poete nur andre aus Hochmuth verachtet (§ 30, 2), mithin ſich allein groß duͤn- ket, folglich aber es ihm um anderer Beſſerung gar nicht, ſondern nur um ihre Beſchimpfung, zu thun iſt: So handelt er dadurch ſeinem Cha- racter gemaͤß; welches das erſte war.
Da nun aber ferner die falſchen Auflagen oͤfters leichtglaͤubige Ohren finden, mithin durch ſpoͤttiſche Satyren, darinn unerweisliche Be- ſchuldigungen ſtehen, einer vor der Welt pro- ſtituiret werden, und an ſeiner Wohlfahrt Scha- den leiden kann: So gleichet er hierinn einer ſtechenden Otter und tuͤckiſchen Schlange, wenn man ihr gleich nichts zu Leide gethan. Alldieweil nun aber dis kriechende Thiere ſind, mithin eine gewiſſe Aehnlichkeit mit kriechenden Poeten haben: So folget, daß ſolche heimliche Anſtecher, Pasquillanten und Verleumder auch unter kriechende Poeten zu rechnen. Q. E. D.
Vierter Lehrſatz.
§ 32. Ein ſchmeichelnder poetiſcher Fuchs- ſchwaͤnzer verwandelt ſich oͤfters in einen kriechenden Wurm.
Erweis.
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Die Reimſchmiede-Kunſt ꝛc.
Erweis.
Wenn die Satyre eines wahrhafte Fehler
ſinnreich aufdecket, daß, wo er vernuͤnftig iſt,
er daruͤber ſchaamroth wird: So gehoͤrt ſolche
unter die Beſſerungs-Mittel und vernuͤnftige
Kunſtgriffe der neuen Poeten. Da nun aber
ein kriechender Poete nur andre aus Hochmuth
verachtet (§ 30, 2), mithin ſich allein groß duͤn-
ket, folglich aber es ihm um anderer Beſſerung
gar nicht, ſondern nur um ihre Beſchimpfung,
zu thun iſt: So handelt er dadurch ſeinem Cha-
racter gemaͤß; welches das erſte war.
Da nun aber ferner die falſchen Auflagen
oͤfters leichtglaͤubige Ohren finden, mithin durch
ſpoͤttiſche Satyren, darinn unerweisliche Be-
ſchuldigungen ſtehen, einer vor der Welt pro-
ſtituiret werden, und an ſeiner Wohlfahrt Scha-
den leiden kann: So gleichet er hierinn einer
ſtechenden Otter und tuͤckiſchen Schlange,
wenn man ihr gleich nichts zu Leide gethan.
Alldieweil nun aber dis kriechende Thiere ſind,
mithin eine gewiſſe Aehnlichkeit mit kriechenden
Poeten haben: So folget, daß ſolche heimliche
Anſtecher, Pasquillanten und Verleumder auch
unter kriechende Poeten zu rechnen. Q. E. D.
Vierter Lehrſatz.
§ 32. Ein ſchmeichelnder poetiſcher Fuchs-
ſchwaͤnzer verwandelt ſich oͤfters in einen
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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/42>, abgerufen am 22.07.2024.
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