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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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vom gesunden Witze, etc.
CLIII. Die Gemüther der Menschen sind so
gar mannigfaltig, daß es in der Ausübung schwer
ist, sich in alle Leute zu schicken. Doch werden
als Leute von gutem Geschmacke und politer
Conversation
diejenigen gehalten, die leutselig,
bescheiden, keine Großsprecher, demüthig, freund-
lich, dienstfertig, schlau, treuherzig, aufgeweckt,
scharfsinnig und tugendhaft sind. Es ist ein so
wunderbarer Gegensatz unter den Menschen,
daß mancher das liebet, was der andere hasset;
dieser etwas hochachtet, was dem andern als
gering vorkömmt; einer etwas billiget, das der
andere tadelt. Hier ist nun der Klugheit gemäß,
wenn man bey Leuten ist, vor denen man Re-
spect brauchen muß, mit seinem Urtheile zurück
zu halten, bis man jene ausgeforschet. Kom-
men wir mit ihren Maximen überein: So wer-
den wir nach ihrem Geschmacke seyn. Gehen
sie von uns ab, und wir wissen uns klüglich zu ver-
stellen: So werden wir selten dabey übel fahren.
CLIV. Mißtrauen, Argwohn, Eifersucht,
schicken sich besser für Leute von niederträchti-
gem Geschmacke,
als edle Gemüther. Ein
heimtückisch Gemüth ist im Umgange unleidlich,
und man trauet ihm niemals. Ein redlich Herz
wird wol wegen seiner allzugroßen Aufrichtigkeit
heimlich manchmal verlachet; aber man versie-
het sich doch zu ihm kein Böses. Die hämi-
schen
Gemüther denken zwar, sie haben die
Klugheit bey allen Zipfeln; aber sie werden
schwerlich einen einzigen guten Freund haben,
und
vom geſunden Witze, ꝛc.
CLIII. Die Gemuͤther der Menſchen ſind ſo
gar mannigfaltig, daß es in der Ausuͤbung ſchwer
iſt, ſich in alle Leute zu ſchicken. Doch werden
als Leute von gutem Geſchmacke und politer
Converſation
diejenigen gehalten, die leutſelig,
beſcheiden, keine Großſprecher, demuͤthig, freund-
lich, dienſtfertig, ſchlau, treuherzig, aufgeweckt,
ſcharfſinnig und tugendhaft ſind. Es iſt ein ſo
wunderbarer Gegenſatz unter den Menſchen,
daß mancher das liebet, was der andere haſſet;
dieſer etwas hochachtet, was dem andern als
gering vorkoͤmmt; einer etwas billiget, das der
andere tadelt. Hier iſt nun der Klugheit gemaͤß,
wenn man bey Leuten iſt, vor denen man Re-
ſpect brauchen muß, mit ſeinem Urtheile zuruͤck
zu halten, bis man jene ausgeforſchet. Kom-
men wir mit ihren Maximen uͤberein: So wer-
den wir nach ihrem Geſchmacke ſeyn. Gehen
ſie von uns ab, und wir wiſſen uns kluͤglich zu ver-
ſtellen: So werden wir ſelten dabey uͤbel fahren.
CLIV. Mißtrauen, Argwohn, Eiferſucht,
ſchicken ſich beſſer fuͤr Leute von niedertraͤchti-
gem Geſchmacke,
als edle Gemuͤther. Ein
heimtuͤckiſch Gemuͤth iſt im Umgange unleidlich,
und man trauet ihm niemals. Ein redlich Herz
wird wol wegen ſeiner allzugroßen Aufrichtigkeit
heimlich manchmal verlachet; aber man verſie-
het ſich doch zu ihm kein Boͤſes. Die haͤmi-
ſchen
Gemuͤther denken zwar, ſie haben die
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ſchwerlich einen einzigen guten Freund haben,
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[235/0243] vom geſunden Witze, ꝛc. CLIII. Die Gemuͤther der Menſchen ſind ſo gar mannigfaltig, daß es in der Ausuͤbung ſchwer iſt, ſich in alle Leute zu ſchicken. Doch werden als Leute von gutem Geſchmacke und politer Converſation diejenigen gehalten, die leutſelig, beſcheiden, keine Großſprecher, demuͤthig, freund- lich, dienſtfertig, ſchlau, treuherzig, aufgeweckt, ſcharfſinnig und tugendhaft ſind. Es iſt ein ſo wunderbarer Gegenſatz unter den Menſchen, daß mancher das liebet, was der andere haſſet; dieſer etwas hochachtet, was dem andern als gering vorkoͤmmt; einer etwas billiget, das der andere tadelt. Hier iſt nun der Klugheit gemaͤß, wenn man bey Leuten iſt, vor denen man Re- ſpect brauchen muß, mit ſeinem Urtheile zuruͤck zu halten, bis man jene ausgeforſchet. Kom- men wir mit ihren Maximen uͤberein: So wer- den wir nach ihrem Geſchmacke ſeyn. Gehen ſie von uns ab, und wir wiſſen uns kluͤglich zu ver- ſtellen: So werden wir ſelten dabey uͤbel fahren. CLIV. Mißtrauen, Argwohn, Eiferſucht, ſchicken ſich beſſer fuͤr Leute von niedertraͤchti- gem Geſchmacke, als edle Gemuͤther. Ein heimtuͤckiſch Gemuͤth iſt im Umgange unleidlich, und man trauet ihm niemals. Ein redlich Herz wird wol wegen ſeiner allzugroßen Aufrichtigkeit heimlich manchmal verlachet; aber man verſie- het ſich doch zu ihm kein Boͤſes. Die haͤmi- ſchen Gemuͤther denken zwar, ſie haben die Klugheit bey allen Zipfeln; aber ſie werden ſchwerlich einen einzigen guten Freund haben, und

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/243>, abgerufen am 27.04.2024.