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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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vom gesunden Witze, etc.
CL. Diesemnach gehört die Wissenschaft,
die Handlungen der Menschen zu bestimmen, da-
mit sie in der Republik einander nicht beeinträch-
tigen, und, wo solches geschehen, Ersatz gesche-
he, auch wol die unrechte That nach Befinden
bestrafet werde, oder mit einem Worte, die
Rechts-Gelehrsamkeit, zu denen Wahrheiten
vom andern Range. Zur öbersten Classe kann
man sie nicht rechnen, weil sie nur nach dem
statu hominum praesenti eingerichtet sind.
Wären wir alle vollkommen vernünftig, würde
man nicht wissen, was laesiones in lure wä-
ren. Man würde keine Processe haben; denn
jeder würde gleich wissen, was recht wäre, oder
doch durch deutlichen Vortrag sich flugs über-
zeuget finden. Es ist aber die Rechts-Wissen-
schaft nach der jetzigen Beschaffenheit der Men-
schen höchst nützlich, und einem Richter der Strei-
tigkeiten unentbehrlich.
CLI. Der menschliche Leib übertrifft an künst-
licher Zusammensetzung alle Maschinen in der
Welt. Der Umlauf des Geblütes ist so ein
Meisterstück der Natur, daß die Bewegung un-
aufhörlich fortgehen könnte, wenn nicht durch
Speise und Trank, auch andre Zufälle, solches
künstliche Triebwerk nach und nach zerstöret
würde. Die Unwissenheit nun in der zu hal-
tenden Diät, wie viel nämlich zum Ersatz der
abgehenden Kräfte nöthig sey, desgleichen die
Einführung solcher Theilgen ins menschliche Ge-
blüte, die es inflammiren, oder aber ins Stok-
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vom geſunden Witze, ꝛc.
CL. Dieſemnach gehoͤrt die Wiſſenſchaft,
die Handlungen der Menſchen zu beſtimmen, da-
mit ſie in der Republik einander nicht beeintraͤch-
tigen, und, wo ſolches geſchehen, Erſatz geſche-
he, auch wol die unrechte That nach Befinden
beſtrafet werde, oder mit einem Worte, die
Rechts-Gelehrſamkeit, zu denen Wahrheiten
vom andern Range. Zur oͤberſten Claſſe kann
man ſie nicht rechnen, weil ſie nur nach dem
ſtatu hominum praeſenti eingerichtet ſind.
Waͤren wir alle vollkommen vernuͤnftig, wuͤrde
man nicht wiſſen, was laeſiones in lure waͤ-
ren. Man wuͤrde keine Proceſſe haben; denn
jeder wuͤrde gleich wiſſen, was recht waͤre, oder
doch durch deutlichen Vortrag ſich flugs uͤber-
zeuget finden. Es iſt aber die Rechts-Wiſſen-
ſchaft nach der jetzigen Beſchaffenheit der Men-
ſchen hoͤchſt nuͤtzlich, und einem Richter der Strei-
tigkeiten unentbehrlich.
CLI. Der menſchliche Leib uͤbertrifft an kuͤnſt-
licher Zuſammenſetzung alle Maſchinen in der
Welt. Der Umlauf des Gebluͤtes iſt ſo ein
Meiſterſtuͤck der Natur, daß die Bewegung un-
aufhoͤrlich fortgehen koͤnnte, wenn nicht durch
Speiſe und Trank, auch andre Zufaͤlle, ſolches
kuͤnſtliche Triebwerk nach und nach zerſtoͤret
wuͤrde. Die Unwiſſenheit nun in der zu hal-
tenden Diaͤt, wie viel naͤmlich zum Erſatz der
abgehenden Kraͤfte noͤthig ſey, desgleichen die
Einfuͤhrung ſolcher Theilgen ins menſchliche Ge-
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[233/0241] vom geſunden Witze, ꝛc. CL. Dieſemnach gehoͤrt die Wiſſenſchaft, die Handlungen der Menſchen zu beſtimmen, da- mit ſie in der Republik einander nicht beeintraͤch- tigen, und, wo ſolches geſchehen, Erſatz geſche- he, auch wol die unrechte That nach Befinden beſtrafet werde, oder mit einem Worte, die Rechts-Gelehrſamkeit, zu denen Wahrheiten vom andern Range. Zur oͤberſten Claſſe kann man ſie nicht rechnen, weil ſie nur nach dem ſtatu hominum praeſenti eingerichtet ſind. Waͤren wir alle vollkommen vernuͤnftig, wuͤrde man nicht wiſſen, was laeſiones in lure waͤ- ren. Man wuͤrde keine Proceſſe haben; denn jeder wuͤrde gleich wiſſen, was recht waͤre, oder doch durch deutlichen Vortrag ſich flugs uͤber- zeuget finden. Es iſt aber die Rechts-Wiſſen- ſchaft nach der jetzigen Beſchaffenheit der Men- ſchen hoͤchſt nuͤtzlich, und einem Richter der Strei- tigkeiten unentbehrlich. CLI. Der menſchliche Leib uͤbertrifft an kuͤnſt- licher Zuſammenſetzung alle Maſchinen in der Welt. Der Umlauf des Gebluͤtes iſt ſo ein Meiſterſtuͤck der Natur, daß die Bewegung un- aufhoͤrlich fortgehen koͤnnte, wenn nicht durch Speiſe und Trank, auch andre Zufaͤlle, ſolches kuͤnſtliche Triebwerk nach und nach zerſtoͤret wuͤrde. Die Unwiſſenheit nun in der zu hal- tenden Diaͤt, wie viel naͤmlich zum Erſatz der abgehenden Kraͤfte noͤthig ſey, desgleichen die Einfuͤhrung ſolcher Theilgen ins menſchliche Ge- bluͤte, die es inflammiren, oder aber ins Stok- ken P 5

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/241>, abgerufen am 28.04.2024.